Wichtige Erfolge bei Krankenhausreform, Mütterrente, Rentenniveau
Einige wichtige Erfolge sieht der VdK: Die Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent, die Erweiterung der Mütterrente und die Finanzierung der Krankenhausreform aus dem Sondervermögen für Infrastruktur tragen die eindeutig die Handschrift des VdK. In anderen Bereichen sind bisher noch zu wenige überzeugende Lösungen für sozialpolitische Probleme gefunden worden.
VdK-Präsidentin Verena Bentele sagt: „Mir fehlt von der neuen Regierung ein Bekenntnis zu einem starken Sozialstaat und der Mut, die wirklich großen Strukturreformen anzugehen. Viele Menschen, die ihre Angehörigen pflegen, die kleine Einkommen oder Renten haben oder die langzeitarbeitslos sind, verdienen endlich gute Unterstützung in ihren schwierigen Lebenssituationen.“
Beim Sozialstaat wird gespart
Die Sozialpolitik war ein zentrales Streitthema im diesjährigen Wahlkampf. Leider ging es zu oft darum, wo beim Sozialstaat gespart werden soll, um damit vermeintlich die Staatsfinanzen zu sanieren und die Belastung mit zu hohen Sozialversicherungsbeiträgen zu reduzieren. Nachhaltige, solide berechnete und überzeugende Finanzierungsvorschläge, die auf eine Verteilung auf breitere Schultern setzen, waren bei vielen Parteien Fehlanzeige.
Das Thema ist weiterhin hochbrisant. Das Magazin Der Spiegel zeigt Externer Link:in einer aktuellen Analyse anhand von Daten des Bochumer Ökonomen Martin Werding, der zu den sogenannten Wirtschaftweisen gehört, dass die Sozialversicherungsbeiträge in den nächsten Jahren dramatisch ansteigen könnten. Eine weitere im Artikel zitierte Externer Link:Studie des Berliner Iges-Instituts geht sogar von noch höheren Beitragsanstiegen aus. Demnach könnten die Sozialversicherungsbeiträge in wenigen Jahren die 50-Prozent-Marke durchbrechen und sogar auf fast 60 Prozent steigen. Aktuell liegt die Sozialabgabenlast der beitragspflichtigen Einnahmen bei rund 42 Prozent.
Die Sozialversicherungen, also die Arbeitslosen-, Kranken-, Pflege- und die Rentenversicherung, werden von Menschen, die keinen deutschen Pass haben, in einem großen Maße mitgetragen. Ohne stetige Zuwanderung wäre beispielsweise der Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung deutlich höher. Das hat die Techniker Krankenkasse (TK) berechnet. Die TK spricht von einer Entlastung durch Zuwanderung von rund 0,6 Beitragspunkten, was in etwa acht Milliarden Euro entspricht.
Mehr aktiv Versicherte
Nach Zahlen der Deutschen Rentenversicherung (DRVkurz fürDeutsche Rentenversicherung) hat ein Fünftel der insgesamt mehr als 40,1 Millionen aktiv Versicherten keinen deutschen Pass. Das sind rund 8,5 Millionen Menschen. Aktiv Versicherte zahlen als Beschäftigte und Selbstständige selbst Rentenbeiträge, oder die Beiträge gelten für sie in Zeiten der Arbeitslosigkeit oder Kindererziehung als gezahlt. Auffällig ist, dass sich die Zahl der zugewanderten aktiven Versicherten seit dem Jahr 2000 mehr als verdreifacht hat. Eine Entwicklung, die sich im deutschen Arbeitsmarkt zeigt: Nach Angaben der Bundesarbeitsagentur ist die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in den vergangenen Jahren ausschließlich durch Ausländerinnen und Ausländern gestiegen.
Die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Deutschen ist in den letzten Jahrzehnten nicht ausreichend gewachsen, um bei der Rentenkasse für zusätzliche Einnahmen zu sorgen. Der deutsche Sozialstaat ist auf Einwanderung und Integration angewiesen.
Nach einer Analyse der Bertelsmann Stiftung würde die Zahl der Arbeitskräfte bis 2040 ohne Zuwanderung um zehn Prozent zurückgehen. Nach Aussage von Susanne Schultz, Migrationsexpertin der Bertelsmann Stiftung, benötigt der Arbeitsmarkt durch das Ausscheiden der Babyboomer in hohem Maße neue Impulse, neben der Zuwanderung auch die Aktivierung der sogenannten stillen Reserve. Das können beispielsweise Frauen sein, die aufgrund fehlender Kinderbetreuung nicht oder wenig arbeiten. „Natürlich muss vorrangig das inländische Arbeitskräftepotenzial – sowohl von Einheimischen als auch von bereits Zugewanderten – entwickelt und die Arbeitsmarktbeteiligung erhöht werden.
Aber der künftige Arbeitskräftebedarf bis 2040 wird damit allein nicht gedeckt werden können“, so Schultz. Sobald Menschen eine Arbeitserlaubnis haben und arbeiten, stärken sie mit ihrer Arbeit und ihren Versicherungsbeiträgen den Sozialstaat. Dann sind sie Teil des Systems Sozialversicherung. Sie zahlen ein und erwerben damit Ansprüche. Besonders im Pflege- und Gesundheitssektor zeigt sich: Ohne ausländische Fachkräfte würde das System zusammenbrechen. Jeder sechste Beschäftigte in der Pflege kommt aus dem Ausland.
Integration
VdK-Präsidentin Verena Bentele erklärt, was für eine solide Entwicklung im Arbeitsmarkt und bei den Sozialversicherungen relevant ist: „Wie schaffen wir eine gute Qualifikation und Integration in den Arbeitsmarkt? Wie können wir für Menschen, die hier geboren sind, für Menschen, die aus anderen Ländern kommen, sowie für Menschen mit Behinderungen den Arbeitsmarkt so gestalten, dass sie ein aktiver Teil davon werden und unsere Sozialversicherungen gemeinsam als große Errungenschaft tragen?“ Ihr Appell lautet: „Wenn sich die nächste Bundesregierung beim Thema Zuwanderung mit diesem Aspekt des Förderns, Lernens und der Verbesserung der Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt befasst, sind wir auf einem guten Weg.“
Pläne für die Sozialversicherung sind nicht konkret genug
Der Koalitionsvertrag bietet bisher nur unkonkrete Pläne für eine Stabilisierung der Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung, für eine effektive Armutsbekämpfung sowie eine dringend bessere Unterstützung von pflegenden Angehörigen. Auch finden sich nur wenig konkrete Ideen zur besseren Inklusion und Barrierefreiheit. Bentele erklärt: „Es fehlt eine dringend notwendige Verpflichtung für private Anbieter, Barrierefreiheit umzusetzen.“
Kritisch sieht der VdK, dass die kommende Koalition plant, verschiedene Kommissionen für den Sozialstaat als Ganzes, die gesetzliche Rente, für Kranken- und Pflegeversicherung einzusetzen. „Anstatt entschieden gegen die Löcher in den Kassen der Sozialversicherungen vorzugehen, gründet die neue Regierung erst einmal Kommissionen. Dabei gibt es bei der Stabilisierung der Sozialversicherungen keine Zeit zu verlieren, denn es drohen schon die nächsten Beitragserhöhungen.“
VdK kann die Koalition mit seiner Expertise unterstützen
Als heikel bezeichnet Bentele, dass viele Lösungsansätze im Koalitionsvertrag nur mit einem starken Wirtschaftswachstum verwirklicht werden sollen und unter Finanzierungsvorbehalt gestellt werden.
Sie warnt: „Ein höheres Beschäftigungsniveau bei ungewissem Wirtschaftswachstum darf nicht Grundvoraussetzung für sozialpolitische Lösungen sein. Der Sozialstaat ist kein Extra, sondern das Fundament unserer Gesellschaft. Bei solchen Vorbedingungen drohen Leistungsverschlechterungen für die Menschen in unserem Land.“
Sie sagt weiter: „Es darf nicht passieren, dass die neue Regierung bei ihren wenig fortschrittlichen Plänen bleibt. Wir bringen uns gerne mit dem Rückhalt und dem Wissen unserer 2,3 Millionen Mitglieder in die Kommissionen zur Zukunft der Sozialversicherungen ein. Der VdK kann mit seiner jahrzehntelangen sozialrechtlichen Expertise die neue Koalition bei der Erarbeitung tragfähiger sozialpolitischer Lösungen unterstützen.“
Hinweis: Dieser Artikel erscheint auch in der VdK-Zeitung. Bei Redaktionsschluss der VdK-Zeitung vor Ostern stand das Mitgliedervotum der SPD und der Beschluss des kleinen CDU-Parteitags zum Koalitionsvertrag noch aus. Die Wahl von Friedrich Merz zum Bundeskanzler ist bisher am 6. Mai geplant.
Unsozial: Auslagerung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben in die Sozialversicherungen
In der Diskussion, wie man die finanzielle Schieflage der Sozialversicherungen auffangen kann, werden in der Regel zwei “Lösungen” vorgeschlagen:
- Leistungskürzungen oder
- Beitragssteigerungen zu Lasten der Beschäftigten und ihrer Arbeitgeber
Dabei könnten die Sozialversicherungen um einen hohen zweistelligen Milliardenbetrag entlastet werden durch einen anderen Weg: Nämlich durch die Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben aus Steuermitteln anstelle aus den jeweiligen Sozialversicherungen.
Bereits im Januar 2025 hat der Sozialverband VdK gemeinsam mit der NGO Fiscal Future Externer Link:exklusive Berechnungen vorgelegt, nach denen die Sozialkassen um insgesamt mindestens 70,8 Milliarden Euro entlastet werden könnten, würde man die versicherungsfremden Leistungen aus Steuermitteln finanzieren und nicht die Sozialversicherungen damit belasten. Woraus ergibt sich dieses Einsparpotenzial? Die Berechnung folgt weiter unten.
Beispiele für gesamtgesellschaftliche Aufgaben
- Rentenversicherung: Anrechnung von Kindererziehungs- oder Ausbildungszeiten
- Pflegeversicherung: Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige
- Gesetzliche Krankenversicherung: familienpolitische Leistungen wie die Beitragsfreiheit von Ehegatten und Kindern; Leistungen für Schwangerschaft und Mutterschaft
- Arbeitslosenversicherung: Kurzarbeitergeld; Förderung der Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben
Bei den genannten Beispielen handelt es sich um wertvolle und wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgaben – doch die Finanzierung durch die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler ist ein Skandal. Schon jetzt werden zwar teilweise Bundeszuschüsse gezahlt, diese sind aber nicht ausreichend.
Gesamtgesellschaftliche Aufgaben müssen von der gesamten Gesellschaft bezahlt werden. Es darf nicht sein nicht, dass sich Beamte, Selbstständige, Abgeordnete oder Hochvermögende, die privat versichert sind oder von ihren Kapitalrenditen leben, nicht daran beteiligen. Denn auch sie profitieren davon.
Die Forderung des Sozialverbands VdK ist: Gesamtgesellschaftliche Aufgaben müssen vollständig aus dem Bundeshaushalt und damit aus Steuern bezahlt werden.
Unsere Berechnungen zur Unterfinanzierung der Sozialversicherung
Die Sozialversicherungen sind unterfinanziert, es geht nach VdK-Berechnungen um mehr als 70 Milliarden Euro. Welche versicherungsfremden Leistungen werden ungerechterweise aus den Sozialversicherungen finanziert und welches Einsparpotenzial besteht?
Berechnung für die Rentenversicherung
Insgesamt wurden zuletzt von der Rentenkasse – nach einer von Fiscal Future fortgeschriebenen Externer Link:Aufstellung der Deutschen Rentenversicherung – gesamtgesellschaftliche Aufgaben in Höhe von 108,2 Milliarden Euro übernommen. Zum Ausgleich dessen wurden Bundeszuschüsse in Höhe von 84,3 Milliarden Euro gezahlt. Daraus ergibt sich eine Unterfinanzierung von jährlich 23,9 Milliarden Euro. Diese Unterfinanzierung hat zur Folge, dass die gesetzlich Versicherten 1,5 Prozent höhere Beiträge zahlen als nötig, um den Status quo zu finanzieren.
Berechnung für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV)
Die Beitragszahlenden in der gesetzlichen Krankenversicherung übernehmen aktuell gesamtgesellschaftliche Aufgaben in Höhe von 54,3 Milliarden Euro. Zum Ausgleich fließen dazu 16,5 Milliarden Euro an Bundeszuschüssen. Die Unterfinanzierung beträgt also 37,7 Milliarden Euro. Dieser Betrag allein macht 2,21 Beitragssatzpunkte der in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegenen Krankenkassenbeiträge aus.
Berechnung für die Pflegeversicherung
Während die Renten- und Krankenkasse zwar mit Bundeszuschüssen bedacht, aber unterfinanziert werden, muss die Soziale Pflegeversicherung aktuell gänzlich ohne einen Bundeszuschuss auskommen – entgegen der gesetzlichen Grundlage. Das, obwohl auch durch sie gesamtgesellschaftliche Aufgaben finanziert werden. Insgesamt sind das 9,2 Milliarden Euro jährlich, die eine kontinuierliche Belastung der Beitragszahlenden von 0,48 Prozent ausmacht. Hinzu kommen Kosten in Höhe von 6 Milliarden Euro zur Bewältigung der Corona-Pandemie, die, entgegen anderslautender Versprechungen, nie zurückgezahlt wurden.
- 23,9 Milliarden Euro aus der Rentenversicherung,
- + 37,7 Milliarden Euro aus der Rentenversicherung,
- + 9,2 Milliarden Euro aus der Pflegeversicherung:
Bis hierhin sind es bereits mindestens 70,8 Milliarden Euro, die die Sozialversicherungen ungerecht belasten und die aus Sicht des VdK aus Steuermitteln finanziert werden müssen.
Berechnung für die Arbeitslosenversicherung
Auch die Arbeitslosenversicherung wurde zur Zeit der Corona-Pandemie herangezogen, um starke Mehrbelastungen abzufedern. Eine wichtige arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitische Maßnahme war der erleichterte Zugang zum Kurzarbeitergeld. Dadurch entstanden hohe Ausgaben. Die Rücklagen der Bundesagentur für Arbeit wurden komplett aufgebraucht, und der Bund musste Finanzmittel zuschießen. Nun fordert der Bund Rückzahlungen in Höhe von 5,2 Milliarden Euro aus der Arbeitslosenversicherung und verhindert damit eine erneute Rücklagenbildung.
In unserem Faktenblatt finden sich die Forderungen des VdK, die Quellen zu den Berechnungen sowie eine tabellarische Übersicht über die Einnahmenanalyse des Sozialversicherungssystems:
Download: Faktenblatt "Ein guter Sozialstaat ist finanzierbar"
Weitere 100 Milliarden Euro durch VdK-Vorschläge für eine gerechte Steuerpolitik
Über die Berechnung der ungerechten Belastung der Sozialversicherungen hinaus hat der VdK steuerpolitische Reformvorschläge erarbeitet. Sie führen zu Mehreinnahmen für alle staatlichen Ebenen von bis zu 100 Milliarden Euro. Außerdem werden kleine und mittlere Einkommen und Gruppen wie Menschen mit Behinderungen in Höhe von 35 Milliarden Euro entlastet. Dazu fordert der VdK
- eine sozial gerechte Ausgestaltung der Erbschaftssteuer
- die Wiedereinführung der Vermögenssteuer
- die Einführung einer Digitalsteuer nach französischem Vorbild
- eine Reform der Einkommenssteuer
- die Einführung einer Finanztransaktionssteuer
- eine Reform der Umsatzsteuer
- die verstärkte Bekämpfung von Steuerflucht und -hinterziehung
Details und Berechnungen dazu finden sich ebenfalls in unserem Herunterladen:Faktenblatt “Ein guter Sozialstaat ist finanzierbar” (PDF, 587 KB, Datei ist nicht barrierefrei ⁄ barrierearm).
Bewertung des Koalitionsvertrags 2025 durch den Sozialverband VdK
Verlorenes Jahrzehnt im Kampf gegen Armut
Zugleich sind rund 60 Prozent der Erwerbspersonen der Ansicht, dass der Staat zu wenig gegen soziale Ungleichheit tut. Der Sozialstaat und das Steuersystem würden zwar für einen sozialen Ausgleich in Deutschland sorgen, allerdings weniger ausgeprägt als früher, so die Forschenden in ihrer Studie.
Gerade in den 2010er-Jahren hätten sich Einkommenskonzentration auf der einen Seite und Armut auf der anderen Seite weiter verstärkt, obwohl die Wirtschaft gewachsen und die Arbeitslosigkeit relativ niedrig gewesen sei. Sie bezeichnen diese Jahre als „verlorenes Jahrzehnt“
im Kampf gegen Armut und Ungleichheit in Deutschland.
Ergebnisse der Studie
In der Untersuchung wurden zudem die Daten von mehr als 7000 Erwerbspersonen ausgewertet, die nach ihrer Einstellung zum Sozialstaat und zur Ungleichheit befragt worden waren. Hier nahm das WSI jene Personen in den Fokus, die den Sozialstaat durch ihre Abgaben und Steuern maßgeblich finanzieren.
Von den Befragten gaben rund 60 Prozent an, dass der Staat zu wenig dafür tut, soziale Ungleichheit zu bekämpfen. Dem stimmten rund 15 Prozent nicht oder gar nicht zu. Fast 50 Prozent der Befragten sprachen sich dafür aus, Menschen mit geringerem Einkommen finanziell stärker als jetzt zu unterstützen. Rund 20 Prozent teilten diese Ansicht nicht oder gar nicht.
Mit Blick auf diese Ergebnisse sind politische Forderungen nach einem Sozialabbau nicht nachvollziehbar, so die Forschenden. Sie bewerten zudem eine „solide funktionierende soziale Absicherung“
als zentralen Baustein für sozialen Frieden und demokratisches Miteinander.
Armutsbekämpfung ist kein Randthema
Der Sozialverband VdK ist überzeugt, dass eine neue Regierung das Vertrauen der Menschen zurückgewinnen kann, wenn die Koalitionspartner gemeinsam nach Lösungen suchen und die sozialen Belange genauso ernst nehmen wie eine gute Wirtschafts- oder Energiepolitik. „Armutsbekämpfung darf kein Randthema sein. Die Altersvorsorge und die Absicherung des Rentenniveaus müssen ganz oben auf die politische Agenda“
, fordert VdK-Präsidentin Verena Bentele.
Die Kosten für Wohnen, Heizen und Essen müssen für alle bezahlbar sein. „Hier braucht es mehr staatliche Unterstützung, etwa durch Wohngeld oder eine gute Kindergrundsicherung“
, so Bentele. Sie fordert ein gerechtes Steuersystem, um ein starkes Gemeinwesen zu finanzieren. „Starke Schultern müssen mehr Verantwortung tragen.“
Mehr zur Studie des WSI
Die Studie “Weniger Umverteilung. Warum der Sozialstaat schlechter vor Armut schützt. WSI Report Nr. 99, Februar 2025" kann Externer Link:hier auf der Website des WSI am Seitenfuß heruntergeladen werden.
Sondierungspapier wenig konkret bei Pflege und Rente
Im Sondierungspapier von Union und SPDkurz fürSozialdemokratische Partei Deutschlands ist der Anteil an sozialpolitischen Inhalten gering. Da hier aber viele drängende Reformen in der Ampelregierung nicht mehr angepackt wurden, müssen sie nach Auffassung des VdK jetzt ganz oben auf die Agenda.
So wird im Sondierungspapier zwar „eine große
Externer Link:Pflegereform
“
angekündigt, aber nicht konkretisiert. VdK-Präsidentin Verena Bentele appelliert an die Verhandelnden, bei diesem Thema nichts im Ungefähren zu lassen: „Angesichts der desaströsen Lage der Pflegeversicherung braucht es eine umfassende und gerechte Finanzreform, einen Pflegelohn für pflegende Angehörige und langfristige Maßnahmen zur Sicherstellung der Versorgung. Leistungskürzungen darf es nicht geben.“
Eine Alterssicherung, die für die nächsten Jahrzehnte stabil aufgestellt ist und ein gutes Leben in der Externer Link:Rente ermöglicht, ist ebenfalls ein großes Anliegen der Bürgerinnen und Bürger. Hier wird das Sondierungspapier immerhin etwas konkreter, jedoch geht Bentele das Versprochene nicht weit genug: „Die angekündigte Stabilisierung des Rentenniveaus ist ein guter erster Schritt. Wir fordern aber dessen Erhöhung auf 53 Prozent.“
Mütterrente: Wichtige Anerkennung
Erfreulich ist, dass eine langjährige Forderung des VdK umgesetzt werden soll: die Angleichung der Externer Link:Mütterrente. „Das ist eine wichtige Anerkennung für die Müttergeneration, die auf vieles verzichten musste, was heute selbstverständlich ist.“
Zukünftig sollen für jedes Kind, egal, ob es vor oder ab 1992 geboren wurde, drei Rentenpunkte gutgeschrieben werden. Gerade für alte Frauen, die oft nur kleine Renten haben, ist diese Leistung wichtig. „Wir fordern jedoch, dass die Finanzierung der Mütterrente vollständig aus Steuer- und nicht aus den Beitragsmitteln der Rentenkasse erfolgt.“
Ohnehin dürfe dies nicht die einzige Maßnahme gegen Altersarmut sein, so Bentele. „Armut hat strukturelle Ursachen, an die müssen wir ran, das geht bei Kindern und Familien los.“
Externer Link:Mehr zur Mütterrente in unserer aktuellen Pressemitteilung
Mindestlohn-Erhöhung: Gut, aber allein zu wenig
Die in Aussicht gestellte Anhebung des Mindestlohns auf 15 Euro ist aus VdK-Sicht ein wichtiger Baustein, auch im Hinblick auf die spätere Rentenhöhe. Das alleine wäre aber zu wenig als arbeitsmarktpolitische Maßnahme. Damit Ältere länger aktiv im Arbeitsleben bleiben und weniger Menschen Erwerbsminderungsrenten beantragen müssen, braucht es gezielte Verbesserungen für gesundheitlich belastete ältere Arbeitnehmende, wie Weiterbildungen, Gesundheitsprävention und flexible Arbeitszeitmodelle.
Barrierefreiheit: Vollkommen unzureichend
„Vollkommen unzureichend“
lautet Benteles Urteil über den einzigen Satz im Sondierungspapier zu mehr Bemühungen für Barrierefreiheit. „Mit dieser Null-Aussage landen die Ansprüche von zehn Prozent der Bevölkerung ganz hinten im Schrank.“
Sie fordert, Investitionen in Barrierefreiheit verbindlich einzuplanen.
„Der Sozialstaat als Fundament unserer Demokratie muss gestärkt werden. Das muss sich neben dem Bekenntnis zu Wirtschaft und Verteidigung im Koalitionsvertrag wiederfinden. Der VdK wird seine Forderungen einbringen“
, verspricht die VdK-Präsidentin.
Der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung, der Rentenversicherung und der Arbeitslosenversicherung fehlen Geld. Denn aus ihren Kassen werden Milliarden Euro für gesamtgesellschaftliche Aufgaben entnommen, die stattdessen aus Steuermitteln bezahlt werden müssten. Zur Finanzierung und für eine gerechtere Beteiligung von Superreichen an den Aufgaben des Sozialstaats hat der VdK ein Externer Link:Steuerkonzept vorgelegt, das in Kooperation mit der Organisation „Fiscal Future“ entstanden ist. Es hält steuerliche Mehreinnahmen von über 100 Milliarden Euro und Entlastungen kleiner und mittlerer Einkommen um rund 35 Millionen Euro für möglich.
Bei der Erbschaftssteuer schlägt der VdK vor, den Freibetrag auf zwei Millionen Euro zu erhöhen. Dadurch wären ausschließlich Superreiche von dieser Steuer betroffen. Durch die gleichzeitige Abschaffung von Ausnahmen für Betriebsvermögen und sehr große Erbschaften ließen sich bis zu zehn Milliarden Euro mehr einnehmen. Die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer ab fünf Millionen Euro Vermögen mit einem Prozent, ab 100 Millionen mit zwei Prozent würde etwa 40 Milliarden Euro einbringen und rund 300.000 sehr reiche Menschen betreffen.
Faktenblatt: Ein guter Sozialstaat ist finanzierbar
Mythos Vermögenssteuer
Kritiker behaupten, die Erhebung der Vermögenssteuer würde 30 Prozent der Einnahmen kosten. Fakt ist: Weil das VdK-Konzept hohe Freibeträge vorsieht, wären viel weniger Haushalte betroffen, als die Kritiker annehmen. Die Erhebungskosten würden daher vermutlich unter fünf Prozent liegen.
Dass Milliardäre wegen einer Vermögenssteuer das Land verlassen, ist unwahrscheinlich. Grund ist die Wegzugsbesteuerung. In Deutschland erwirtschaftete Vermögen werden mit dem persönlichen Einkommensteuersatz versteuert. Betroffene würde der Wegzug Milliarden Euro kosten.
Finanztransaktionssteuer einführen und Steuerhinterziehung bekämpfen
Bei der Einkommensteuer fordert der VdK mehr Gerechtigkeit und den Grundfreibetrag auf rund 15.000 Euro anzuheben. Gleichzeitig sollte ein Spitzensteuersatz von 49 Prozent ab 87.000 Euro sowie ein zusätzlicher Reichensteuersatz von 52 Prozent ab 140.000 Euro gelten. Untere und mittlere Einkommen würden so um etwa 25 Milliarden Euro entlastet.
Die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, die insbesondere Börsenspekulanten beträfe, und die verstärkte Bekämpfung von Steuerhinterziehung könnten dem Fiskus jeweils 25 Milliarden Euro einbringen. Mit diesen Steuereinnahmen könnte das Land sozial gerechter werden.
Sozialstaat stärken und ökologischen Umbau vorantreiben
Der Sozialstaat ermöglicht ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit. Geringere Einkommens- und Vermögensunterschiede sowie ein sozial durchlässiges Bildungssystem sollen für gleiche Lebenschancen sorgen.
Die institutionalisierte Solidarität der Sozialversicherungen soll die zentralen Lebensrisiken absichern. Sozialleistungen sollen am Bedarf und nicht am persönlichen Gesundheitsrisiko oder Geldbeutel ausgerichtet werden. Soziale Sicherungssysteme - wie die Arbeitslosen- und Rentenversicherung - sollen den Lebensstandard sichern.
Der Sozialstaat ist zugleich Produktivkraft. Leistungsfähige Kitas, Schulen und Hochschulen sowie ein gutes Gesundheitswesen sorgen für gesunde und hochqualifizierte Fachkräfte. Darüber hinaus ist ein starker Sozialstaat notwendig, um den ökologischen Umbau erfolgreich zu gestalten.
Klimawandel und Artensterben sind globale Krisen, die weiterhin konsequent eingedämmt werden müssen. Hierbei muss es gerecht zugehen. Die Klimaziele, die Wiederherstellung natürlicher Lebensräume (WVO) sowie umwelt- und sozialpolitische Errungenschaften wie das europäische Lieferkettengesetz sind Leitplanken, die sicherstellen sollen, dass wir unsere natürlichen Ressourcen nachhaltiger nutzen.
Wir erwarten von der nächsten Bundesregierung, dass sie bestehende soziale und ökologische Standards nicht absenkt, sondern unseren Sozialstaat stärkt und den ökologischen Umbau weiter vorantreibt. Großen Handlungsbedarf sehen wir bei guter Arbeit, bei der Rente, in den Krankenhäusern, in der Pflege, im Bildungswesen, dem sozial-ökologischen Umbau, dem Naturschutz, bei bezahlbarem Wohnen und in den sozialen Diensten.
Forderungen an die Bundesregierung
- Wir brauchen eine Politik für gute Arbeit. Tarifverträge sind zentral für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen. Deshalb müssen die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen erleichtert und öffentliche Aufträge des Bundes, der Länder und Kommunen an einschlägige Tarifverträge geknüpft werden (Bundestariftreuegesetz). Der allgemeine gesetzlich Mindestlohn muss zeitnah auf 15 Euro brutto die Stunde erhöht werden.
- Wir müssen unsere Sozialversicherungen stärken. Dafür sollte die Einnahmeseite der sozialen Sicherungssysteme verbessert werden. Andere Einkommensarten – insbesondere Vermögenseinkommen - müssen zukünftig verbeitragt werden. Die Bundeszuschüsse müssen dynamisiert und für die Soziale Pflegeversicherung wieder bereitgestellt werden. Eine Kürzung der Bundeszuschüsse lehnen wir entschieden ab. Die aktuell von den Sozialversicherungen finanzierten gesamtgesellschaftlichen Aufgaben – so genannte versicherungsfremde Leistungen – sollten zukünftig aus dem Bundeshaushalt finanziert werden. Hierbei handelt es sich um Leistungen im allgemeinen gesellschaftlichen Interesse. Deswegen sollten alle Steuerzahler*innen und nicht nur die Beitragszahler*innen an ihrer Finanzierung beteiligt werden. Dies ist für uns eine Frage der sozialen Gerechtigkeit.
- Die soziale Absicherung des Alters ist eine große Errungenschaft unseres Sozialstaats. Die gesetzliche Rente muss Armut vermeiden und den Lebensstandard sichern. Ein wichtiger Beitrag dazu wäre die gesetzliche Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent. Perspektivisch muss das Rentenniveau über 50 Prozent steigen. Zudem müssen die Zuschläge zur Grundrente zu erhöht werden, um Altersarmut zu verhindern. Die betriebliche Altersversorgung sollte als tarifliches Gestaltungselement ausgebaut werden.
- Die Pflegeversicherung muss zu einer solidarischen Pflegegarantie – als Pflegevollversicherung für alle pflegebedingten Kosten, die alle Bürger*innen einbezieht - weiterentwickelt werden. Die Eigenanteile müssen sowohl im stationären wie auch im ambulanten Bereich sofort gedeckelt werden. Für die häusliche Pflege brauchen wir für pflegende Angehörige eine Lohnersatzleistung in Form eines Pflegelohns.
- In Krankenhäusern müssen verbindliche, bedarfsgerechte Personalvorgaben eingeführt und das System der Fallpauschalen überwunden werden. Die Strukturveränderungen der Krankenhauslandschaft müssen von Bund und Ländern gemeinsam über Steuern finanziert werden – nicht über Beitragsmittel der Versicherten.
- Die gesetzliche Krankenversicherung muss finanziell gestärkt werden. Die Bundeszuschüsse müssen dynamisiert werden und regelhaft an die steigenden Bedarfe angepasst werden. Leistungen im allgemeinen gesellschaftlichen Interesse müssen vollständig über Steuern finanziert werden. Zudem sollte die Beitragsbemessungsgrenze auf das Niveau der gesetzlichen Rentenversicherung angehoben und alle Einkommensarten, insbesondere auch Vermögenseinkommen, einbezogen werden. Perspektivisch wollen wir eine Bürgerversicherung.
- In der aktuellen Konjunkturflaute muss Beschäftigung gesichert und Arbeitslosigkeit bekämpft werden. Deswegen muss der Zugang zu Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung erleichtert werden. Zudem brauchen wir höhere Lohnersatzleistungen, einen starken Qualifikations- und Berufsschutz und eine längere Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes. Die Arbeitslosenversicherung muss über ausreichende finanzielle und personelle Ressourcen für eine aktive Arbeitsmarktpolitik verfügen.
- Wir brauchen eine existenzsichernde Grundsicherung. Verschlechterungen beim Bürgergeld, wie die Verschärfung von Sanktionen und die Wiedereinführung des Vermittlungsvorrangs, lehnen wir entschieden ab. Stattdessen muss die Unterfinanzierung der Jobcenter beendet werden. Zudem benötigen wir eine gemeinsame Kraftanstrengung von Bund und Ländern bezogen auf Berufsausbildung, Weiterbildung und Standortsicherung.
- Wir wollen Kinder- und Jugendarmut überwinden. Dafür wollen wir eine Kindergrundsicherung einführen.
Unser Bildungswesen muss gestärkt werden. Bund und Länder müssen gemeinsam mehr Verantwortung für das Bildungssystem übernehmen. Wir wollen ein echtes Kita- und Ganztagsqualitätsgesetz, inklusive Kinder- und Jugendhilfe sowie eine gemeinsame Ausbildungsoffensive für pädagogische, sozialpädagogische und soziale Berufe. Ferner müssen die BAföG-Bedarfssätze deutlich angehoben und das Befristungsunwesen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen beendet werden. Das Angebot an Integrations- und Sprachkursen muss ausgeweitet und auskömmlich finanziert werden. - Unsere soziale und gemeinnützige Infrastruktur muss gestärkt werden. Dafür müssen die öffentlichen Investitionen und die Investitionen in gemeinnützige Bereiche erhöht werden. Eine solche Investitionsoffensive stärkt unsere Zivilgesellschaft.
- Die sozial-ökologische Transformation muss weiter beschleunigt werden. Wir brauchen eine sozialverträgliche Mobilitätswende, eine naturverträgliche Energiewende und mehr Tempo bei der energetischen Gebäudesanierung. Die Ausweitung des öffentlichen Verschuldungsspielraums durch ein Sondervermögen und eine Reform der Schuldenbremse müssen zu mehr Investitionen in den sozial-ökologischen Umbau führen. Die Förderstrukturen müssen verstärkt auf Geringverdienende und Bedürftige ausgerichtet werden. Sozial-ökologische Standards dürfen nicht aufgeweicht werden. Das Ziel der Nachhaltigkeit muss auch im Sozialgesetzbuch verankert werden.
- Ein leistungsfähiger öffentlicher Nahverkehr stellt die Erreichbarkeit in städtischen und ländlichen Räumen sicher. Dafür müssen Bund, Länder und Kommunen den Erhalt, Ausbau und die Modernisierung eines klimaschonenden ÖPNV nachhaltig finanzieren. Gleichzeitig müssen Erhalt und Sanierung der bestehenden Verkehrsinfrastruktur Vorrang haben vor dem Neubau von Straßen.
- Die Wärmewende ist für die Einhaltung der Klimaziele zentral. Effiziente und mit erneuerbarer Wärme beheizte Gebäude schützen die Menschen vor hohen Energiekosten und vor den gesundheitlichen Folgen von Hitze und Kälte. Ökologische Standards für den Einbau neuer Heizungen müssen erhalten werden. Dafür braucht es einen klugen Mix aus Vorgaben und Förderung für eine sozialverträgliche Sanierungsoffensive, angefangen bei den Gebäuden mit der schlechtesten Energiebilanz.
- Wir brauchen mehr bezahlbaren Wohnraum. Dafür muss die Bundesregierung massiv den sozialen Wohnungsbau und den Bau bezahlbarer Wohnungen fördern. Die Mietpreisbremse muss dauerhaft entfristet und geschärft werden. Die Schlupflöcher bei Kurzzeitvermietung und bei möbliertem Wohnraum müssen abgeschafft werden. Darüber hinaus brauchen wir einen wirksamen Schutz gegen Mietwucher, deutlich niedrigere Kappungsgrenzen gegen Mieterhöhungen im Bestand und mehr Schutz vor Umwandlungen und Eigenbedarfskündigungen. Des Weiteren brauchen wir eine neue Wohngemeinnützigkeit. Ferner müssen die Regelungen zur Barrierefreiheit von Neubauten ausgeweitet werden.
In Zeiten wachsender sozialer und politischer Herausforderungen brauchen wir mehr Solidarität, sozialen Zusammenhalt, soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit. Dafür bedarf es eines starken Sozialstaats. Ein handlungsfähiger Sozialstaat stärkt gleichzeitig unsere Demokratie und vielfältige Zivilgesellschaft. Deswegen sind ein starker Sozialstaat und eine kritische Zivilgesellschaft auch der beste Schutz gegen Rechtsextremismus.
Unterzeichner*innen
- Olaf Bandt, Vorsitzender Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland
- Verena Bentele, Präsidentin des VdK
- Michaela Engelmeier, Vorstandsvorsitzende SoVD
- Maike Finnern, GEW-Vorsitzende
- Susanna Karawanskij, Präsidentin der Volkssolidarität
- Dr. Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverband
- Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbundes
- Kathrin Sonnenholzner, Präsidentin der AWO
- Frank Werneke, ver.di-Vorsitzender
Gesetzgeber bedient sich bei den Beitragszahlenden
Stimmen aus Politik und Wirtschaft betonen immer wieder: Die Sozialversicherungen, also die Arbeitslosen-, Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung, seien zu teuer. Als Folge sei es unvermeidlich, dass Beiträge angehoben oder Leistungen gekürzt werden.
Der VdK hat diese Behauptungen überprüft. Zusammen mit Fiscal Future, einer Nichtregierungsorganisation, die sich mit Finanzpolitik befasst, hat er analysiert, worin die finanzielle Schieflage der Sozialversicherungen besteht. Außerdem wurde untersucht, wie die Versicherungen stabilisiert werden können, ohne Beitragszahlende immer weiter zu belasten.
Das Ergebnis: Seit vielen Jahrzehnten ist es gängige Praxis, notwendige staatliche Unterstützungen, die die gesamte Gesellschaft betreffen, nicht aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren. Dabei ist dieser genau für solche gesamtgesellschaftlichen Aufgaben, wie zuletzt Krankenhausinvestitionen oder Corona-Hilfen, zuständig. Stattdessen bedient sich der Gesetzgeber an den Kassen der gesetzlichen Versicherungen und damit am Geld der Beitragszahlenden.
Wohnen ist ein Armutstreiber
Von Wohnarmut wird gesprochen, wenn ein Haushalt mehr als ein Drittel seines Einkommens für die Miete ausgeben muss. Diese Kosten werden in der herkömmlichen Armutsberechnung jedoch nicht berücksichtigt.
Der Paritätische hat die Mietkosten nun in einer Externer Link:Analyse einbezogen: Er kommt zu dem Ergebnis, dass in Deutschland 5,4 Millionen Menschen mehr von Armut betroffen sind als bisher angenommen. Er spricht von insgesamt rund 17,5 Millionen Menschen. Das sei ein „alarmierendes Bild“.
Wer allein lebt, ist besonders gefährdet: Denn hier ist die Wohnarmut mit 37,6 Prozent besonders hoch. In der Gruppe der über 65-Jährigen sind es sogar 41,7 Prozent. Unter den Alleinerziehenden liegt die Wohnarmut bei 36 Prozent. „Wohnen entwickelt sich mehr und mehr zum Armutstreiber“
, sagt Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands.
Doch diese Leistungen, die in vielen Politikerreden nur noch als lästige Ausgaben geführt wurden, finanzieren vielen Menschen eine Rente, von der sie leben können, oder das Wohnen – sie sichern ihre Existenz.
Es steht zu befürchten, dass dem Eifer des Wahlkampfs Taten folgen sollen. Zum Ende des Karnevals könnte auf die Bürgerinnen und Bürger jetzt das Sozialfasten zukommen.
Passt ja gut zum Trend. Wer im „Dry January“ den Verzicht auf Alkohol versäumt hat, will vielleicht ab Aschermittwoch für sechs Wochen in die Fastenzeit einsteigen. Manche schränken den Medienkonsum ein und hoffen, dem Sog der ständigen Erreichbarkeit und der schlechten Nachrichten zu entkommen. Der Klassiker ist aber der Verzicht auf bestimmte Lebens- oder Genussmittel. Mit dem Streichen von Fleisch, Chips, Wein und Süßigkeiten vom Speiseplan nimmt man vielleicht zwei Kilos ab und fühlt sich in der liebsten Hose wieder wohler. Nach spätestens sechs Wochen kehren die meisten aber zu ihren Gewohnheiten zurück. Dann füllen sich die Speicher im Körper wieder.
Anders sieht es beim staatlich verordneten Sozialfasten aus. Hier ist das Problem, dass die Substanz nicht zurückkommt, wenn sie einmal weg ist. Ein einmal hochgesetztes Rentenalter oder Kürzungen im Bürgergeld, die auch die treffen, die Grundsicherung im Alter beziehen, werden nicht einfach wiederkommen wie die Pfunde nach der Fastenkur.
Der oft hippe Trend, auf etwas zu verzichten, ist für Menschen, die Sozialleistungen beziehen, bestimmt zynisch. Denn viele von ihnen fasten unfreiwillig und dauerhaft, weil sie sich viele Lebensmittel schlicht nicht leisten können. Weit vor Monatsende ist bei vielen der Kühlschrank leer.
Fortgesetzte Hungerkuren sind ungesund, das gilt auch für das Aushöhlen des Sozialstaats. Deswegen kämpft der VdK weiterhin für ein starkes soziales Netz.
Höhere Beiträge für eine gute soziale Sicherung
Die Menschen in Deutschland legen großen Wert auf eine gute soziale Absicherung durch den Staat. Das belegt eine repräsentative Umfrage, die der Externer Link:Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), die Arbeitnehmerkammer Bremen und die Arbeitskammer des Saarlandes beim Umfragezentrum Bonn in Auftrag gegeben haben.
Demzufolge erwarten 80 Prozent der Befragten, dass mindestens ein Großteil der sozialen Sicherung verpflichtend erfolgt, etwa automatisch über die Beschäftigung. Eine klare Mehrheit der sozialversicherten Beschäftigten ist bereit, höhere Beiträge zu zahlen, um sozialstaatliche Leistungen in den bestehenden Systemen mindestens im bestehenden Umfang zu erhalten.
Bei der Rente würden 63 Prozent etwas höhere Beiträge hinnehmen, wenn die Rente mindestens auf jetzigem Niveau bliebe.
Offener Brief im Wortlaut
An den SPDkurz fürSozialdemokratische Partei Deutschlands-Parteivorstand
Wilhelmstraße 141
10963 Berlin
Berlin, den 12. März 2025
Sehr geehrter Herr Klingbeil, sehr geehrte Frau Esken, liebe SPDkurz fürSozialdemokratische Partei Deutschlands-Spitze,
im Wahlkampf haben Sie den Bürgerinnen und Bürgern zugesichert, sich für ein gerechteres Steuersystem einzusetzen. Sie haben versprochen, sehr hohe Vermögen stärker an der Finanzierung des Gemeinwohls zu beteiligen und eine Vermögensteuer einzuführen, die insbesondere Superreiche in die Pflicht nimmt. Nun stehen Sie in der Verantwortung, dies umzusetzen.
Das Aussetzen der Vermögensteuer und weitere Steuerreformen der vergangenen Jahrzehnte haben dazu geführt, dass Superreiche mittlerweile nur halb so hohe Steuer- und Abgabensätze zahlen wie die breite Mitte der Gesellschaft, die hauptsächlich von ihrem Arbeitseinkommen lebt. Eine gerechte Besteuerung großer Vermögen würde nicht nur dringend benötigte finanzielle Spielräume schaffen, sondern auch der wachsenden sozialen Ungleichheit und ihren fatalen Folgen für die Demokratie entgegenwirken.
Das ist der richtige Weg – denn die Herausforderungen sind enorm und die Zeit drängt: Schulen und Straßen verfallen, Krankenhäuser schließen, Züge bleiben wegen maroder Infrastruktur stehen, und Behörden kämpfen mit Personalmangel. Jedes fünfte Kind wächst in Armut auf. Gerade weil Superreiche das Klima massiv belasten, stehen sie besonders in der Verantwortung, ihren fairen Beitrag zu einer sozial gerechten, ökologischen Modernisierung des Landes zu leisten. Die Investitionslücke bei öffentlichen Investitionen ist immens. Forschungsinstitute schätzen, dass allein für Zukunftsinvestitionen in Klimaschutz, Bildung und öffentliche Infrastruktur jährlich mindestens 60 Milliarden Euro zusätzlich erforderlich sind. Hinzu kommen dringend benötigte Gelder für die nachhaltige Finanzierung eines verlässlichen Sozialstaats sowie für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe.
Um die notwendigen finanziellen Mittel bereitzustellen, werden weder die vorgeschlagenen, größeren Verschuldungsspielräume noch die Reform der Schuldenbremse ausreichen. Vielmehr braucht es auch höhere Einnahmen durch ein gerechtes Steuersystem. Jetzt ist der Moment, die Besteuerung großer Vermögen anzugehen.
Sehr geehrter Herr Klingbeil und sehr geehrte Frau Esken,
wir appellieren an Sie: Stehen Sie zu Ihren Wahlversprechen und setzen Sie sich in den Koalitionsverhandlungen für eine Besteuerung hoher Vermögen ein. Sorgen Sie dafür, dass Multimillionär*innen und Milliardär*innen ihren gerechten Beitrag zur Finanzierung der Daseinsvorsorge, zum Klimaschutz und zur Unterstützung einkommensschwacher Länder leisten. Wir zählen auf Sie!
Liste der Unterzeichner/innen
- attac Deutschland
- AWO International e.V.
- Brot für die Welt
- Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft e.V.
- Gemeingut in BürgerInnenhand
- Gemeinwohl-Ökonomie Deutschland e.V.
- Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)
- Greenpeace e.V.
- Klima-Allianz Deutschland
- Netzwerk Steuergerechtigkeit
- Oxfam Deutschland e.V.
- taxmenow – Initiative für Steuergerechtigkeit e.V.
- ungleichheit.info
- Sozialverband VdK Deutschland
- WEED e.V. – Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung
- 350.org
Mehr Kommentare lesen
Auch Jüngere sind bereit, höhere Beiträge zu zahlen
Die Bereitschaft zu höheren Beiträgen gilt auch bei jüngeren Menschen. Allen Behauptungen zum Trotz, diese Gruppe habe sich innerlich vom Rentensystem verabschiedet, erklärten 23 Prozent der Befragten unter 30 Jahren, sie seien sogar zu deutlich höheren Beiträgen bereit. Das sind doppelt so viele wie unter allen Befragten.
Die Bereitschaft zu höheren Beiträgen ist verbunden mit Erwartungen an einen leistungsstarken Sozialstaat. Die Befragten halten im Mittel eine Nettoersatzrate von 75 Prozent der Rente – inklusive betrieblicher und privater Renten – für angemessen. Das bedeutet, dass die Nettorenten drei Viertel des vorher erreichten Nettoeinkommens betragen sollen. Im gesetzlichen Rentensystem liegt der Wert aktuell unter 60 Prozent.
Eine deutliche Mehrheit erwartet eine stärkere Übernahme der Pflegekosten durch die Pflegeversicherung sowie die Ausweitung des Versichertenkreises in der Rentenversicherung.
Mehr zur Umfrage
Für das Sozialstaatsradar 2025 wurde wurden 3000 Personen vom 25. November bis 10. Dezember 2024 befragt. Die zentralen Ergebnisse gibt es unten Externer Link:auf dieser Seite des DGB zum Download.
VdK fordert Mietpreisbremse und Sozialwohnungen
Manche Haushalte müssen inzwischen sogar mehr als die Hälfte ihres Einkommens für die Miete aufwenden. „Das sind unhaltbare Zustände“
, sagt VdK-Präsidentin Verena Bentele. Bezahlbarer Wohnraum wird aber immer knapper. Vor allem Menschen mit kleineren und mittleren Einkommen brauchen bezahlbare Mieten. Sonst bleibt ihnen kaum genug Geld zum Leben.
Der Sozialverband VdK fordert deshalb Reformen in der Wohnungspolitik: „Mit einer effektiven Mietpreisbremse, die flächendeckend und unbefristet gilt, kann verhindert werden, dass die Mieten weiter so rasant steigen“
, so Bentele. Aber auch der soziale Wohnungsbau muss mehr gefördert und entschieden vorangetrieben werden. Pro Jahr müssen mindestens 100.000 Sozialwohnungen entstehen.
Link zur Studie
Externer Link:Hier geht es zur Studie des Paritätischen Gesamtverbandes zu Wohnarmut.
Mehr lesen
Download: Faktenblatt "Ein guter Sozialstaat ist finanzierbar"
VdK-Vorschläge bringen 100 Milliarden Euro Einnahmen
Während die Sozialversicherungen sich ausschließlich aus Beiträgen von gesetzlich versicherten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie Arbeitgebern finanzieren, speist sich der Bundeshaushalt auch aus den Steuern von Beamtinnen und Beamten, Politikerinnen und Politikern, Selbstständigen, Unternehmen und allen, die Umsatzsteuer zahlen. Wer aus den Töpfen der Sozialversicherungen nimmt, bedient sich also an dem Geld einer kleineren Gruppe.
„Für uns ist klar, dass diese Praxis aufhören muss. Politische Vorhaben, die die gesamte Gesellschaft betreffen, müssen auch von allen finanziert werden
“, so VdK-Präsidentin Verena Bentele.
Das Problem, dass der Bund und die Länder ebenfalls knapp bei Kasse sind, lässt sich nach Berechnungen von VdK und Fiscal Future durch eine gerechtere Steuerpolitik lösen. Würde die Politik alle Vorschläge des VdK umsetzen, könnten Bund und Länder insgesamt sogar bis zu 100 Milliarden Euro mehr einnehmen als bisher.
„Damit ließen sich die gesamtgesellschaftlichen Ausgaben der Sozialversicherungen übernehmen“
, sagt Bentele. Die Folge: Stabilisierung der Beitragssätze. „Die Sozialversicherungen könnten gute Leistungen erbringen. Davon würde die gesamte Gesellschaft profitieren.“