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Auch bei besonders schweren oder sogar tödlichen Krankheiten müssen die Krankenkassen nicht immer alternative Heilmethoden bezahlen. Bei hohen Risiken der Alternativmethode kann eine palliative, auf Schmerzlinderung und Lebensqualität abzielende Behandlung Vorrang haben, urteilte das Bundessozialgericht in Kassel.
Das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel hat ein wichtiges Urteil für Patientinnen und Patienten, Krankenhäuser, Ärzte und die gesetzlichen Krankenkassen gefällt. Danach haben gesetzlich Versicherte, die lebensbedrohlich erkrankt sind, keinen Anspruch auf jegliche Behandlung.
Im konkreten Fall litt die im Behandlungsjahr 74-jährige Patientin an einer chronischen Leukämie. Sie wurde am Universitätsklinikum Tübingen zunächst mit Bluttransfusionen behandelt, bevor sich das Klinikum für eine Behandlung durch Stammzelltransplantation (SZT) entschied. Die Frau starb 20 Tage später.
Die Rechnung über knapp 117.000 Euro wurde von der Krankenkasse zunächst bezahlt, nach Einholung eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) rechnete die Kasse diese aber mit anderweitigen Forderungen der Uniklinik auf.
Der dagegen gerichteten Klage hatte das Landessozialgericht (LSG) Stuttgart noch stattgegeben. Es hatte auf den sogenannten Nikolausbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 verwiesen, wonach die Krankenkassen bei lebensbedrohlichen Krankheiten auch nicht anerkannte Methoden bezahlen müssen, wenn diese „eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht“ auf Heilung oder Linderung versprechen und eine anerkannte Alternative nicht besteht (Az.: 1 BvR 347/98).
Das BSG hob dieses Urteil nun jedoch auf. Das Krankenhaus könne die Behandlung nur abrechnen, wenn die Patientin auch einen entsprechenden Leistungsanspruch hatte. Auch bei lebensbedrohlichen Krankheiten leite sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aber nicht ein Anspruch auf jegliche Behandlung ab.
Hier habe bei der Stammzelltransplantation ein Sterberisiko bei der Operation von 30 Prozent bestanden, zudem das Risiko eines tödlichen Rückfalls von 35 Prozent. Bei solch einer hohen Wahrscheinlichkeit des tödlichen Scheiterns hätte die Klinik auch palliative Alternativen in Erwägung ziehen müssen. Der sonst übliche Vorrang eines Heilungsversuchs bestehe ausnahmsweise nicht mehr, „wenn die palliative Behandlung einen zeitlich größeren Überlebensvorteil eröffnet.“ Über die Möglichkeiten und Risiken beider Wege müsse die Klinik auch umfassend aufklären, forderte das BSG.
In einem weiteren Fall vom selben Tag bestand noch eine dritte Möglichkeit. Der 59-jährige Patient mit einer anderen Form chronischer Leukämie hatte auch die Möglichkeit, an einer von der Deutschen Krebshilfe finanzierten Studie (sogenannte CLL3X-Studie) teilzunehmen. Eine wirksame Einwilligung in die Behandlung durch eine Stammzelltransplantation setze voraus, dass die Klinik auch hierüber aufgeklärt hat, entschied das BSG (Az.: B 1 KR 4/19 R).
Beide Fälle soll danach nun das Landessozialgericht Stuttgart nochmals prüfen.
Jörg Ungerer, VdK-Rechtsexperte und Leiter der Bundesrechtsabteilung, erklärt das Urteil.
vdk.de: Herr Ungerer, welche Folgen hat das Urteil für Patienten, die unter einer lebensbedrohlichen Krankheit leiden?
Jörg Ungerer: In Zukunft muss bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen und deren Behandlung abgewogen werden, ob eine palliative Therapie der medizinischen Behandlung einen zeitlich größeren Überlebensvorteil bietet.
vdk.de: Müssen diese Patienten damit rechnen, dass ihnen bestimmte Behandlungsarten nicht mehr angeboten werden?
Jörg Ungerer: Das ist in der Tat so. Ist medizinisch festgestellt, dass die neue Behandlungsmethode eine Lebensverkürzung gegenüber einer palliativen Therapie darstellt, darf diese nicht mehr durchgeführt werden.
vdk.de: Welche Möglichkeiten haben gesetzlich versicherte Patienten, trotz dieses Urteils bestimmte Behandlungen zu „erzwingen“?
Jörg Ungerer: Hier kann im gerichtlichen Eilrechtsschutz erreicht werden, dass die neue Behandlungsmethode der palliativen Therapie in puncto zeitlich größerem Überlebensvorteil überlegen ist und somit durchgeführt werden muss. Hier gilt auch eine gesteigerte ärztliche Aufklärungspflicht.
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©Juragentur / ime
Schlagworte Bundessozialgericht | Krankheit | Krankenkasse | Behandlung | Patient
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