14. September 2021
SOZIALRECHT

Sozialhilfe muss für Petö-Therapie zahlen

LSG Essen: Therapie ist Leistung zur sozialen Teilhabe

Das Bild zeigt eine goldene Justitia, Göttin der Gerechtigkeit.
© pixabay

Essen (jur). Behinderte Kinder sollen doch Anspruch auf Kostenübernahme der Petö-Therapie von der Sozialhilfe haben. Dies ist als Leistung zur sozialen Teilhabe möglich, „soweit keine rein medizinische Behandlung erfolgt ist“, wie das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen in Essen in einem kürzlich veröffentlichten Urteil vom 17. Mai 2021 entschied (Az.: L 9 SO 271/19).

Die Klägerin leidet seit ihrer Geburt an einer unvollständigen Lähmung aller Extremitäten, einer Sprachstörung, Intelligenzminderung sowie Epilepsie. Sie besucht eine Förderschule und nahm seit 2015 an Blocktherapien in einem Zentrum für „konduktive Therapie nach Petö“ teil.

Die Methode wurde in den Vierzigerjahren von dem ungarischen Arzt und Erzieher András Petö entwickelt. Durch einen aktiven Lernprozess soll sie die motorischen Fähigkeiten von Kindern mit durch Hirnschäden entstandenen Lähmungen (Zerebralparese) verbessern.

Als Leistung der gesetzlichen Krankenkassen ist die Petö-Therapie bislang allerdings nicht anerkannt. Daher wird sie auch von der Sozialhilfe nicht im Wege der medizinischen Rehabilitation bezahlt.

Im Streitfall hatte der Sozialhilfeträger die Therapie allerdings zunächst bezahlt. Die Übernahme der Kosten von knapp 2.000 Euro für einen weiteren Therapieblock im Frühjahr 2018 lehnte der Sozialhilfeträger dann aber ab.

In einem vergleichbaren Fall hatte 2018 auch der Sozialhilfesenat des Bundessozialgerichts (BSG) in Kassel eine Kostenübernahme durch die Sozialhilfe abgelehnt (Urteil und JurAgentur-Meldung vom 28. August 2018, Az.: B 8 SO 5/17 R). Dabei sahen sich die Kasseler Richter allerdings an die Feststellungen des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts in Schleswig gebunden, dass es sich um eine Leistung der medizinischen und nicht der sozialen Rehabilitation handelt.

Dem trat das LSG Essen nun entgegen. Um über die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen zu entscheiden, habe 2005 der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen über die Petö-Therapie beraten. Dabei sei der zuständige Ausschuss zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich gerade nicht um eine rein medizinische, einer physikalischen Therapie vergleichbare krankengymnastische Leistung handele, sondern der pädagogische Ansatz im Vordergrund stehe.

Daher könnten behinderte Kinder die Therapie grundsätzlich als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft beanspruchen, urteilte das LSG. Ausnahmen seien denkbar, wenn im Einzelfall „der ganzheitliche heilpädagogische Ansatz nicht verfolgt, sondern eine rein medizinische Behandlung durchgeführt“ wurde.

Dafür spreche im konkreten Fall aber nichts. Auch prognostisch sei davon auszugehen gewesen, dass die Petö-Therapie die Beschulungsfähigkeit der Klägerin verbessern und ihr den Schulbesuch erleichtern würde.

Damit liege der Fall deutlich anders als bei früheren Entscheidungen, mit denen das LSG Essen die Kostenübernahme abgelehnt hatte. So habe in einem Fall das Kind ausschließlich motorische Einschränkungen gehabt (Urteil vom 25.07.2019, Az.: L 9 SO 317/17), bei einem weiteren seien die geistigen Einschränkungen derart schwer gewesen, dass auch die Petö-Therapie keine Fortschritte habe erwarten lassen (Urteil vom 04.06.2020, Az.: L 9 SO 259/18).

In seinem neuen rechtskräftigen Urteil hatte das LSG Essen die Revision nicht zugelassen.

mwo/fle/juragentur

Schlagworte Urteil | Therapie | Kinder mit Behinderung | Sozialgericht

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