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Krank zu werden, sucht sich keiner aus. Doch wer aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten kann, wird gleich doppelt bestraft. Denn viele, die eine Erwerbminderungsrente beziehen, müssen zusätzlich von Grundsicherung leben.
Rico P. (Name von der Redaktion geändert) schaut sich Fotos von früher an, wie er im Kreise seiner Freunde oder am Steuer seines Autos sitzt. Alles vorbei. Das Leben des 46-Jährigen ist mit Parkinson heute ein anderes. „Leider kein besseres“, bringt es das VdK-Mitglied aus Hessen auf den Punkt. Seit fünf Jahren bekommt Rico P. die volle Erwerbsminderungsrente. Weil seine Rente deutlich unter der Grundsicherungsgrenze in Höhe von 725 Euro liegt, bezieht er zusätzlich noch Grundsicherung. „Früher habe ich mehr als das Doppelte zur Verfügung gehabt“, so der ehemalige Berufskraftfahrer, der einst Gefahrguttransporte steuerte. Heute kann er sich nicht mal mehr ein Auto leisten, obwohl es ihm die Krankheit noch erlauben würde zu fahren. Eine private Absicherung gegen Berufsunfähigkeit sei für ihn wegen der hohen Prämien sowieso nicht finanzierbar gewesen.
Rico P. sitzt oft allein zu Hause. „Mal ins Restaurant oder mit Freunden ins Kino gehen, dafür reicht das Geld meist nicht“, sagt er. „Ich fühle mich wertlos. Es ist eher ein Überleben als ein Leben“, beschreibt der Hesse seine derzeitige Situation.
Damit ist Rico P. nicht allein. In Deutschland sind immer mehr Menschen, die vorzeitig aus dem Berufsleben ausscheiden müssen, auf eine Erwerbsminderungsrente angewiesen. Ihre Zahl ist von 1,59 Millionen im Jahr 2010 auf 1,8 Millionen gestiegen. Inzwischen machen sie sogar rund 20 Prozent aller Neurentner aus.
Barbara T. (Name von der Redaktion geändert) bezieht wegen einer Nervenerkrankung erst seit ein paar Monaten eine teilweise Erwerbsminderungsrente in Höhe von 257 Euro und arbeitet noch sechs Stunden als Verwaltungsangestellte. „Als kranker Mensch habe ich mehr Ausgaben für Medikamente und Fahrtkosten zu Behandlungen und werde dafür auch noch bestraft“, so die Oberpfälzerin. Sie habe viele Hobbys aufgeben müssen, weil sie sich diese nicht mehr leisten kann. „Wenn mich Freunde einladen, schiebe ich meine Krankheit vor, weil ich kein Geld habe, um mit ins Restaurant zu kommen“, sagt die 54-Jährige.
Für Neurentner liegt die durchschnittliche Erwerbsminderungsrente mit 628 Euro inzwischen deutlich unter dem Grundsicherungsniveau. Ein wesentlicher Grund für diese niedrigen Renten sind die hohen Abschläge. Für jeden Monat, den diese Menschen vor der für sie geltenden Altersgrenze in Rente gehen, betragen sie 0,3 Prozent, insgesamt maximal 10,8 Prozent. Jeder dritte alleinstehende Erwerbsminderungsrentner muss Grundsicherung beantragen, lebt also an der Armutsgrenze. Das Fatale: Aus eigener Kraft kann man der Armut bis ans Lebensende nicht mehr entkommen.
Dieses Leben führt Karin L. (Name von der Redaktion geändert) aus Trier seit 2003. Sie leidet an Multipler Sklerose (MS) und kann nicht mehr als Verkäuferin arbeiten. Mithilfe des VdK hat sich die 57-Jährige einen Grad der Behinderung von 60 und das Merkzeichen „G“ (gehbehindert) erkämpft. „Bloß gut, dass ich es gewöhnt bin, mit wenig Geld auszukommen“, sagt das VdK-Mitglied und betont: „Ich habe nicht darum gebettelt, krank zu werden.“ Dennoch fühle sie sich als Bittstellerin, die auf den Staat angewiesen ist. Selbst das Wenige, das ihre Mutter ihr hinterlassen hat, sei auf die Grundsicherung angerechnet worden. Das sei entwürdigend.
Dass Erwerbsminderung in die Armut führt, hat auch Antje Schürmann aus dem Landkreis Uelzen in Niedersachsen erfahren müssen. Sie leidet an Multipler Chemikalien-Überempfindlichkeit (MCS) und verträgt keine Gerüche wie Düfte und Rauch. Zum Einkaufen muss sie eine Maske tragen, weil sie sonst Atemnot und Schwindel bekommen würde. Seit 2009 lebt Antje Schürmann von Erwerbsminderungsrente, Grundsicherung und Kindergeld. Ihr zwölfjähriger Sohn Lasse leidet ebenfalls an MCS.
„Wir sind völlig verarmt“, beschreibt die 49-Jährige ihre Situation. Durch die Krankheit habe sie einen großen finanziellen Mehraufwand. So muss sie alle spezifischen Hilfsmittel selbst zahlen. Auch ihre Lebenshaltungskosten sind höher. Antje Schürmann muss schadstoffarme, parfümfreie Produkte kaufen, die teurer sind. „Das wird nicht in den Regelsätzen der Grundsicherung berücksichtigt“, ärgert sich Antje Schürmann und ergänzt: „Ich habe keine Chance, meine fortschreitende Erkrankung abzumildern.“ Selbst ganz normale Hilfsmittel wie eine neue Brille könne sie sich nicht leisten. Sie sei ein Paradebeispiel dafür, dass Krankheit geradewegs in die Armut führen kann.
Die Forderungen des VdK zum Thema:
Wer aus gesundheitlichen Gründen gar nicht oder nur noch stundenweise arbeiten kann, stellt einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente bei der Deutschen Rentenversicherung.
Eine volle Erwerbsminderung erhalten Arbeitnehmer, die weniger als drei Stunden am Tag arbeiten können. Wer nach Einschätzung der Gutachter zwischen drei und unter sechs Stunden am Tag arbeitsfähig ist, erhält die halbe Rente. Dabei spielt nur für die vor 1961 Geborenen der erlernte Beruf noch eine Rolle. Bei allen anderen genügt es, dass sie sich am Arbeitsmarkt für irgendeine andere Tätigkeit bewerben können.
In den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung müssen mindestens drei Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung vorliegen.
Bei Fragen zur Antragstellung der Erwerbsminderungsrente hilft der jeweilige VdK-Landesverband gerne mit Rat und Tat weiter.
Ines Klut
Schlagworte Erwerbsminderung | Erwerbsminderungsrente | Armut | Krankheit | Grundsicherung | Abschläge
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