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Klimaneutrale Stadt heißt auch autofreie Stadt. Denn der Pkw-Verkehr verursacht einen großen Anteil der klimaschädlichen Kohlendioxidemissionen. Doch bei der Planung werden Menschen mit Behinderung oft vergessen.
Die Stadt der Zukunft ist grün. Bäume säumen breite Straßen, auf denen sich Radfahrerinnen und Radfahrer den Platz mit Bussen und Bahnen teilen. Vierspurige Straßen, auf denen nur Autos unterwegs sind, gehören der Vergangenheit an. Statt für große Parkplätze ist Platz für grüne Oasen, Straßencafés, Spiel- und Sitzflächen. Eine autofreie, grüne Stadt mit kurzen Wegen – das ist nicht nur die Vision vieler Verkehrsforscher. Es ist auch die zwangsläufige Folge einer ökologischen Verkehrswende, die es ernst meint.
Allerdings macht diese Vision vielen Menschen mit einer Behinderung Sorge. Jenny Bießmann, 36 Jahre alt, erlebt dies bei ihrer Arbeit immer wieder. Sie ist Beraterin in einem Zentrum für selbstbestimmtes Leben und sagt, wer auf das Auto angewiesen ist, fürchte um seine Mobilität, wenn Stadtteile oder ganze Städte autofrei werden. Die Menschen müssten aber den Arbeitsplatz, die Arztpraxis, Familie oder Freunde erreichen können.
Sie selbst lebt mit einer Muskelerkrankung und einer persönlichen 24-Stunden-Assistenz in Berlin. Die zierliche Frau mit den kurzen, hellblonden Haaren nutzt von klein auf einen Rollstuhl. Die Berlinerin ist ein aktiver Mensch, hat viele Hobbys und Freunde und ist viel unterwegs. „Mobilität ist für Menschen mit Behinderung eine wichtige Voraussetzung für Teilhabe“, sagt sie und fragt sich, ob das den Planerinnen und Planern der Zukunftsstädte bewusst ist.
Einer, der zu nachhaltiger Mobilität forscht, ist Professor Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Der 61-Jährige fordert seit Jahren ein radikales Umdenken in der Verkehrsplanung. Er selbst besitzt weder Auto noch Fahrrad.
Die großen Ballungsräume seien das Problem, nicht der ländliche Raum. „In den Städten müssen wir die Wege minimieren und für mehr Grün sorgen, damit das Wasser versickern kann“, sagt er. Die größte Stellschraube hierbei sei der Autoverkehr.
Um die Ziele des Pariser Klimaabkommens doch noch zu halten und den Temperaturanstieg auf höchstens zwei Grad Celsius zu begrenzen, sei es notwendig, ein Drittel des Autoverkehrs einzusparen. Ein Drittel müsse – wie bei den Elektroautos – mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Das letzte Drittel gelte es durch den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zu ersetzen.
Derzeit ist das allerdings noch kaum vorstellbar. Viele Wege sind lang, und Autoschlangen schieben sich durch die Städte. Der ÖPNV ist an vielen Stellen ausbauwürdig, und oft auch nicht barrierefrei – für Menschen mit Behinderung daher eine große Hürde.
Wer wie Bießmann in Berlin mit Bussen und Bahnen unterwegs ist, steht immer wieder vor einem Aufzug, der nicht funktioniert. Aber auch Stufen, fehlende Ansagen, Anzeigen oder Markierungen machen Menschen mit Behinderung zu schaffen. Und manchmal ist es auch ein Busfahrer, der einen Rolli-Fahrer einfach an der Haltestelle stehen lässt.
Knie ist sich dessen zwar bewusst, hält die Probleme aber für lösbar. Natürlich müsse der ÖPNV deutlich stärker ausgebaut und enger getaktet werden, sagt er. Er ist aber überzeugt, dass am Ende alle profitieren: ältere Menschen, Kinder und Jugendliche, die enorm unter dem Autoverkehr litten. „Den Verkehr in den Städten wird es so wie bisher nicht mehr geben“, sagt Knie, und würde Autos am liebsten komplett aus der Stadt verbannen.
Der VdK dagegen fordert Ausnahmen: Auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung müsse auch in der Stadt der Zukunft Rücksicht genommen werden. „Wir brauchen einerseits eine konsequente Planung barrierefreier Städte, andererseits müssen aber auch die mobil bleiben, die auf ihr Auto als Hilfsmittel angewiesen sind“, sagt VdK-Präsidentin Verena Bentele.
Kristin Enge
Schlagworte Barrierefreiheit | ÖPNV | Behinderung | Stadtplanung | Auto
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