Springen Sie direkt:
Ein kleinwüchsiger Sportler tanzt vor einem Millionenpublikum, ein einarmiges Model nimmt an der Miss-Germany-Wahl teil, und ein rollstuhlfahrender Comedian scherzt im Fernsehen über Menschen mit Behinderung. Läuft gut mit der Inklusion, könnte man denken. Doch Vorsicht: Das Bild trügt.
Als die Musik im Fernsehstudio in Köln-Ossendorf langsam verklingt, reißt es das Publikum der RTL-Show „Let’s Dance“ von den Sitzen – Applaus brandet auf. Auf der Tanzfläche steht der kleinwüchsige Mathias Mester und lächelt erschöpft in die Kameras. Mehr als vier Millionen Fernsehzuschauer haben ihm gerade dabei zugesehen, wie er mit der Profitänzerin Renata Lusin einen eleganten Walzer aufs Parkett gelegt hat. Mester ist der erste Teilnehmer in der 16-jährigen Geschichte von „Let’s Dance“, der kleinwüchsig ist.
Für den 1,42 Meter großen ehemaligen Sportler, der 2008 bei den Paralympics in Peking die Silbermedaille im Kugelstoßen gewann, ist die Teilnahme bei „Let’s Dance“ eine Riesenchance. Er sieht sich als Botschafter und Vorbild für Menschen mit Behinderung, die im Alltag benachteiligt oder unterschätzt werden, so wie er es wegen seiner Körpergröße erlebt. „Ich weiß, was Menschen mit Behinderung durchmachen, deshalb empfinde ich es als meine Pflicht, zur Inklusion beizutragen“, sagt der 35-Jährige. Er hat den Eindruck, dass Menschen mit Behinderung heute häufiger als früher im Fernsehen zu sehen sind. „Das macht etwas mit der Gesellschaft und kann die Wahrnehmung positiv verändern.“
Ist das wirklich so? Tauchen Menschen mit Behinderung heute öfter in der Öffentlichkeit auf? Mester ist ein Beispiel, aber nicht das einzige. Die kleinwüchsige Schauspielerin Christine Urspruch spielt im Tatort eine Rechtsmedizinerin, und der Rollstuhl fahrende Comedian Tan Caglar tritt häufig in TV-Satiresendungen auf.
Für Schlagzeilen sorgte kürzlich die Teilnahme der armamputierten Gina Rühl an der Wahl zur Miss Germany. Die 22-Jährige, die sich auf ihrem Instagram-Kanal selbst als „einarmige Prinzessin“ bezeichnet, war die erste Teilnehmerin mit einer Behinderung und schaffte es sogar bis in das Finale.
Doch der Schein trügt, sagt Professor Elizabeth Prommer, Direktorin des Instituts für Medienforschung an der Universität Rostock. Sie hat untersucht, wie stark unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen in den Medien vertreten sind. Das Ergebnis für Menschen mit Behinderung ist ernüchternd: Sie sind deutlich unterrepräsentiert.
In den Fernsehprogrammen, die Prommer und ihr Team im Auftrag der MaLisa Stiftung für die Studie „Audiovisuelle Diversität“ analysierten, hatten nur 0,4 Prozent der Hauptakteure eine sichtbare schwere Behinderung. In der Bevölkerung sind es laut Studie wesentlich mehr, nämlich schätzungsweise rund sechs Prozent. Für die vorliegende Studie hat das Forscherteam im Jahr 2020 mehr als 3000 Fernsehsendungen ausgewertet und neben der Medienpräsenz von Frauen erstmals auch die von Menschen mit Migrationshintergrund, homosexueller Orientierung oder mit sichtbarer Behinderung in den Medien untersucht.
„Menschen mit Behinderung sind im Fernsehen noch die große Ausnahme. Und wenn sie zu sehen sind, wird aus ihnen oft etwas Besonderes gemacht“, sagt die Wissenschaftlerin. Sie nennt dieses Phänomen das „Einhorn-Prinzip“. „Besser wäre es, wenn sie in einer Alltagsfunktion im Fernsehen zu sehen wären, zum Beispiel als Nachrichtensprecher, der täglich in unseren Wohnzimmern erscheint.“
Prommer begrüßt, dass Sendungen wie „Let’s Dance“ oder auch „Germany’s Next Topmodel“ stärker auf Diversität setzen und das offensiv vermarkten. Es sei wichtig, Vielfalt zu zeigen, um Toleranz zu fördern und Vorurteile abzubauen. „Aber ein oder zwei Fernsehformate reichen da noch lange nicht aus“, sagt sie.
Comedian Tan Caglar ist dennoch optimistisch. Das Thema „Diversität im Fernsehen“ sei aktuell wie nie zuvor und helfe speziell auch Menschen mit Behinderung: „Was wir regelmäßig sehen, empfinden wir als normal, und ich bin froh, dass es momentan einen klaren Aufschwung in diese Richtung gibt.“ Er hofft, dass das keine Modeerscheinung bleibt, sondern zum Dauerzustand wird.
Gina Rühl geht noch einen Schritt weiter. „Eigentlich kann ich das Wort ,divers‘ nicht mehr hören“, sagt die Management-Studentin. Sie hofft, dass der Begriff sich irgendwann überholt, wenn das Denken in Gruppen komplett aufhört. „Unser Ziel sollte es sein, dass wir als Gesellschaft jeden so akzeptieren, wie er ist, unabhängig von der Hautfarbe oder Religion, oder ob er oder sie eine Behinderung hat.“
Jörg Ciszewski
Schlagworte Behinderung | Medien | Fernsehen | Diversität
Wir sagen Ihnen, was Ihnen laut Sozialrecht zusteht und kämpfen für Ihr Recht. Bundesweit. Jetzt Beratung vereinbaren!
Bildrechte auf der Seite "http://www.vdk.de//deutschland/pages/themen/behinderung/84463/diversitaet_in_den_medien_buehne_frei_fuer_inklusion":
Liste der Bildrechte schließen
Wir setzen auf unserer Website Cookies ein. Einige von ihnen sind notwendig, während andere uns helfen, unser Onlineangebot zu verbessern.