Realitätsfremde Forderungen nach Rentenkürzungen
„Mütterrente abschaffen”, „Rente mit 70 kommt”, „Witwenrente streichen" – Der Sozialverband VdK ordnet diese und weitere Vorschläge aus der Wirtschaft und der Politik sachlich ein.
Schlagzeilen zur Rente: oft polemisch, selten sachlich
Angesichts einer Finanzierungslücke im Haushalt werden von einzelnen Politikern, Wirtschaftsprofessoren oder so genannten Top-Ökonomen Vorschläge laut, bei der Externer Link:Rente zu sparen. Dadurch entsteht der Eindruck, dass je nach Kassenlage zum Beispiel die Mütterrente gestrichen oder das Renteneintrittsalter kurzfristig auf 70 Jahre erhöht werden kann. Das stimmt natürlich nicht. Solche Behauptungen werden jedoch oft zu Schlagzeilen und machen heutigen und zukünftigen Rentnerinnen und Rentnern Angst.
Der Sozialverband VdK hat zuletzt viele Zuschriften von Mitgliedern bekommen, die verunsichert sind.
Sachlich betrachtet, sind jedoch viele dieser Vorschläge nicht umsetzbar, sie erfüllen oft gar nicht die erhofften Ziele und sind schlicht sozial ungerecht. Der VdK hat einige dieser polemischen Vorschläge, die immer wieder für Schlagzeilen sorgen, unter die Lupe genommen und ordnet sie ein:
„Die Mütterrente sollte abgeschafft werden.“
Keine der im Bundestag vertretenen Parteien fordert eine Abschaffung der Externer Link:Mütterrente. Doch es gibt aus Wirtschaftskreisen immer wieder Stimmen, die eine Kürzung oder gar eine rückwirkende Kürzung der Mütterrente fordern. Letzteres ist rechtlich nicht zulässig und würde gegen wesentliche Elemente des Rechtsstaatsprinzips wie Rechtssicherheit und Vertrauensschutz verstoßen. In einem Externer Link:Urteil des Bundesverfassungsgerichts (Aktenzeichen 1 BvR 609/90) aus dem Jahr 1996 heißt es, dass Rechtspositionen, die gesetzlich eingeräumt worden sind, nicht nachträglich verschlechtert werden können. Falls der Gesetzgeber dagegen verstößt, würde der Sozialverband VdK vor das Bundesverfassungsgericht ziehen und klagen.
Die Mütterrente ist im Jahr 2014 (Erweiterung um die Mütterrente II im Jahr 2019) eingeführt worden, um die Erziehung von Kindern rentenrechtlich besser anzuerkennen. Für jedes vor 1992 geborene Kind erhalten Erziehende bis zu 2,5 Kindererziehungsjahre auf das Rentenkonto angerecht. Das entspricht aktuell (Stand: August 2024) rund 100 brutto. Für ein nach 1992 geborenes Kind werden drei Erziehungsjahre angerechnet. Das sind aktuell rund 120 Euro.
Diese Verbesserungen bei der rentenrechtlichen Anerkennung von Kindererziehungszeiten gehen auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Juli 1992 zurück. Das Gericht hatte den Gesetzgeber verpflichtet, die durch Kindererziehung entstehenden Nachteile bei der Altersversorgung auszugleichen und das Rentenversicherungssystem anzupassen.
Übrigens: Mütter und Väter können sich auf Antrag die Kindererziehungszeit auch aufteilen. Deshalb ist der Begriff „Mütterrente“ eigentlich irreführend.
Soziale Auswirkungen
Die Mütterrente erfüllt eine wichtige soziale Funktion und ist ein wirksamer Schutz gegen Altersarmut. Vor allem einkommensschwache und geschiedene ältere Frauen profitieren von der rentenrechtlichen Anerkennung von Erziehungszeiten. Das Armutsrisikoquote unter älteren Frauen liegt bei durchschnittlich 19,4 Prozent, bei Müttern mit vier oder mehr Kindern liegt sie sogar bei mehr als 30 Prozent. Das hat kürzlich eine Externer Link:Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) ergeben. Ohne Mütterrente hätte das einkommensschwächste Fünftel aller Rentnerinnen acht Prozent weniger Einkommen und die Altersarmut von Frauen würde deutlich steigen. Zudem ist die Mütterrente eine zwar späte, aber notwendige Anerkennung von unbezahlter Sorgearbeit.
Eine Abschaffung der Mütterrente würde bedeuten, dass der finanzielle Unterschied zwischen Männern und Frauen bei der gesetzlichen Rente weiter auseinandergehen würde, derzeit bekommen Frauen schon 32 Prozent weniger Rente als Männer. Bei einer Abschaffung der Mütterrente wären es sogar 39 Prozent.
Was sinnvoll wäre
Um alle Mütter (oder auch Väter) weiter zu stärken, fordert der Sozialverband VdK die volle Gleichstellung: Auch Frauen, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, muss zukünftig 120 Euro statt nur 100 Euro mehr Rente im Monat gezahlt werden.
„Die Rente mit 70 ist unausweichlich.“
Innerhalb der CDUkurz fürChristlich Demokratische Union/CSUkurz fürChristlich-Soziale Union gab es zuletzt eine heftige Debatte über die Rente mit 70. Die aktuelle Ampelkoalition hat eine Erhöhung explizit ausgeschlossen. Theoretisch könnte jede Bundesregierung das Renteneintrittsalter erhöhen. Bereits für die umstrittene Einführung der Rente mit 67 Jahren gelten sehr lange Übergangsfristen. Sie ist erst mit dem Jahrgang 1964, also im Jahr 2031 abgeschlossen. In diesen laufenden Anstieg wird die Bundesregierung nicht eingreifen. Die Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung, Gundula Roßbach, hat sich ebenfalls dagegen ausgesprochen und fordert zumindest eine kurze Atempause auch nach 2031.
Abgesehen davon: Bereits heute arbeiten viele Menschen länger. Es gibt seit 2023 keine Hinzuverdienstgrenze bei vorgezogenen Altersrenten mehr, und nach der Regelaltersgrenze gab es nie eine. Diejenigen, die weiterarbeiten können und dazu in der Lage sind, haben also heute schon die Möglichkeit dazu.
Soziale Auswirkungen
Eine Erhöhung der Regelaltersgrenze ist aus Sicht des VdK der falsche Weg, weil dadurch alle Beschäftigten gezwungen werden, länger zu arbeiten. Dabei ist ein noch späterer Renteneintritt für viele Menschen gar nicht möglich.
Wer als Krankenschwester, Erzieherin oder Bauarbeiter beschäftigt ist, erreicht heute schon oft nicht die Regelaltersgrenze, weil der Beruf körperlich und psychisch so anstrengend ist. Für viele, die es aufgrund von gesundheitlichen Problemen oder Pflegeverpflichtungen heute schon nicht bis zur Regelaltersrente schaffen, wäre ein späterer Renteneintritt eine riesige Rentenkürzung. Noch weniger Menschen würden dann die Regelaltersgrenze erreichen und müssten sehr hohe Abschläge in Kauf nehmen oder eine Erwerbsminderungsrente beantragen. Das würde das Armutsrisiko dieser Menschen massiv erhöhen und zu einem größeren Wohlstandsgefälle unter älteren Menschen führen.
Was sinnvoll wäre
Wenn Arbeitgeber wollen, dass ihre Angestellten länger arbeiten, müssen sie ihre Arbeitsplätze altersgerecht gestalten und passende Arbeitszeitmodelle für Ältere anbieten. Die Bundesregierung plant im Herbst weitere Anreize für längeres Arbeiten zu schaffen.
Ausblick
Viele Befürworter eines höheren Renteneintrittsalters argumentieren mit der demografischen Entwicklung. Dieses Argument hat die Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung kürzlich entkräftet. Roßbach erklärte, dass der Anstieg des Altenquotienten, also das Verhältnis von Erwerbspersonen zu Rentnerinnen und Rentnern, in den nächsten Jahren nicht dramatischer sein werde als in den Jahren 1990 bis 2010. Die Beitragssätze seien seit langer Zeit stabil geblieben. Als weiteren positiven Faktor nannte sie die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt, die höher gewesen sei als erwartet. Dadurch zahlen mehr Menschen in die Rentenversicherung ein. Die Erfahrung aus den zurückliegenden Jahren zeigt zudem: Oft war in der Vergangenheit die Entwicklung deutlich positiver für die Rentenfinanzen als zuvor prognostiziert.
„Die Rente mit 63 muss eingeschränkt werden.“
Die Debatte um eine Abschaffung der „Rente mit 63“ ist realitätsfremd. Manche Experten aus Politik und Wirtschaft sollten sich die Fakten anschauen, bevor sie deren Abschaffung fordern:
Schon heute kann niemand mehr mit 63 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen. Auch hier wird das Renteneintrittsalter schrittweise angehoben. Aktuell können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Jahrgangs 1960 diesen Anspruch erst ab 64 und 4 Monaten nutzen, dafür müssen sie auf 45 Beitragsjahre kommen. Ab dem Geburtsjahrgang 1964 gilt eine Altersgrenze von 65 Jahren.
Die Externer Link:Rente für besonders langjährig Versicherte, wie die korrekte Bezeichnung ist, wird zu weit über 40 Prozent von Frauen in Anspruch genommen. Das liegt auch daran, dass viele Frauen sich im Alter zu Hause um die Pflege von Angehörigen kümmern müssen.
Es ist keineswegs so, wie oft behauptet wird, dass ausschließlich Menschen mit guten Einkommen von einer Abschaffung betroffen wären. 30 Prozent der Männer, die die Rente für besonders langjährig Versicherte heute nutzen, erhalten weniger als 1200 Euro, bei den Frauen sind es sogar 46 Prozent.
Kritiker der abschlagsfreien Rente für besonders langjährig Versicherte behaupten, dass immer mehr Menschen frühzeitig in Rente gehen. Dabei verkennen sie, dass Ältere heute auf dem Arbeitsmarkt so aktiv sind wie nie zuvor. Waren um das Jahr 2000 gerade einmal 600.000 Menschen im Alter von 60 bis 65 Jahren sozialversicherungspflichtig beschäftigt, so sind es heute mehr als drei Millionen. Die Beschäftigungsquote in dieser Altersgruppe stieg von zehn Prozent auf über die Hälfte.
VdK-Umfrage
Wer die Abschaffung der Rente für besonders langjährig Versicherte fordert, ignoriert die Meinung einer überwältigenden Mehrheit der Betroffenen. Knapp 86 Prozent der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger sind dafür, dass Erwerbstätige nach 45 Beitragsjahren mit 65 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen können. Das ergibt sich aus einer Externer Link:repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey, die der Sozialverband VdK in Auftrag gegeben hatte.
„Die Witwenrente sollte gestrichen werden.“
Dieser Vorschlag aus dem Sachverständigenrat der Wirtschaft („Wirtschaftsweisen“) findet in der Politik kaum Zustimmung. Die Bundesregierung plant keineswegs die Abschaffung der Hinterbliebenenrente, auch Witwenrente genannt. Im Gegenteil: Im Herbst soll eine Verbesserung auf den Weg gebracht werden. Sie will den Freibetrag für erwerbstätige Witwen und Witwer erhöhen und dadurch sicherstellen, dass durch Erwerbseinkommen weniger von der Witwenrente abgezogen wird.
Die Hinterbliebenenrente war schon immer eine einkommensgeprüfte Rentenleistung und kein eigener Rentenanspruch. Sie soll den durch den verstorbenen Ehegatten weggefallenen Unterhalt ersetzen (=55 Prozent der Rente). Seit 1986 wird deshalb ein über einem bestimmten Freibetrag liegendes eigenes Einkommen und auch Vermögen teilweise auf die Witwen- beziehungsweise Witwerrente angerechnet.
Soziale Auswirkungen
Insbesondere für viele Frauen ist die Witwenrente immer noch unverzichtbar, wenn sie sich während der Ehe um die Kinder gekümmert haben und so keine oder nur geringe Rentenansprüche erwerben konnten. Vor dem Hintergrund, dass Frauen immer häufiger erwerbstätig sind und die Hausfrauenehe oder das Zuverdienermodell immer mehr an Bedeutung verliert, fordern viele die Abschaffung der Witwenrente. Sie wollen sie durch das heute schon mögliche Rentensplitting ersetzen. Aber auch heute müssen noch viele Frauen wegen fehlender Kinderbetreuungsmöglichkeiten erzwungenermaßen Teilzeitjobs machen und erhalten auch für gleiche Jobs weniger Lohn und weniger Rentenansprüche als Männer.
Bei einem Rentensplitting würden die Rentenansprüche aus der Zeit der Ehe hälftig aufgeteilt. Der Partner mit den höheren Rentenansprüchen gibt dabei einen Teil seiner Ansprüche an seine Partnerin ab. Die Witwenrente fällt in dem Fall weg.
„Die Abschläge für Frührentner sind zu niedrig.“
Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte können grundsätzlich ab 63 Jahren in Frührente gehen. Dafür müssen sie 35 Beitragsjahre bei der Rentenversicherung nachweisen und Abschläge akzeptieren. Je Monat, den sie vor dem regulären Renteneintrittsalter in Rente gehen, liegt der Abschlag bei 0,3 Prozent – auf ein Jahr gerechnet also bei 3,6 Prozent. Angesichts des Fachkräftemangels gibt es Vorschläge, die Abschläge für eine Frührente zu erhöhen, um die Menschen vor einer vorgezogenen Altersrente abzuschrecken. Der „Wirtschaftsweise“ Martin Werding hat vorgeschlagen, die Abschläge von derzeit 3,6 Prozent auf bis zu sechs Prozent zu erhöhen.
Soziale Auswirkungen
Das ist unsozial und führt auch nicht zu wesentlich mehr Beschäftigung. Denn viele Menschen gehen nicht vorzeitig in Rente, um ihre Freizeit zu genießen, sondern weil sie nicht länger arbeiten können. Sie müssen Externer Link:Angehörige pflegen, sind krank oder der Arbeitsbelastung nicht mehr gewachsen. Das sind oft Menschen, die in körperlich und psychisch anspruchsvollen Berufen gearbeitet haben und nicht mehr können. Durch die Frühverrentung müssen sie schon Abschläge in Kauf nehmen, die für sie eine finanzielle Belastung darstellen. Eine Erhöhung der Abschläge würde das Armutsrisiko massiv erhöhen.
Was sinnvoll wäre
Rentnerinnen und Rentner mit hohen Abschlägen zu zwingen, länger zu arbeiten, ist kein probates Mittel gegen den Fachkräftemangel. Stattdessen sollten Arbeitgeber überlegen, wie sie Arbeitsplätze altersgerecht gestalten und attraktive Arbeitszeitmodelle ermöglichen können, damit Beschäftigte arbeiten können und dabei gesund bleiben. Solange das nicht passiert, werden viele Menschen schlichtweg nicht bis zur Regelarbeitsgrenze arbeiten können – egal wie hoch die Abschläge beim vorgezogenen Rentenbeginn sind.
Studie der Deutschen Rentenversicherung
Die Deutsche Rentenversicherung (DRVkurz fürDeutsche Rentenversicherung) sieht keine Notwendigkeit, die Abschläge auf die Frührente zu erhöhen. Sie widerspricht Behauptungen, dass die aktuellen Abschläge zu niedrig sind und die Rentenkasse dadurch zu stark belastet wird. Der DRVkurz fürDeutsche Rentenversicherung-Mathematiker Mehran Seyed Hosseini kommt in seiner Studie zu dem Ergebnis, dass kein höherer Abschlag erforderlich ist, um die Belastungen der Rentenversicherung durch den vorzeitigen Rentenbeginn von Versicherten auszugleichen.
Zur Studie auf der Website der DRVkurz fürDeutsche Rentenversicherung: Externer Link:Abschläge bei vorzeitiger Inanspruchnahme der Altersrente: Theorie (und Praxis?)