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Jobcenter dürfen Arbeitslosengeld-II-Bezieher trotz eines beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfahrens zur Rechtmäßigkeit von Hartz-IV-Sanktionen weiter mit einer vollständigen Streichung ihrer Hilfeleistung bestrafen.
Dieses Urteil hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen in einem am 4. September 2019 bekanntgegebenen Beschluss entschieden (Az.: L 7 AS 987/19 B ER). Im konkreten Fall sollte ein Hartz-IV-Bezieher aus dem Raum Aachen fünf Bewerbungen pro Monat schreiben und dies dem Jobcenter auch belegen. Der Arbeitslose weigerte sich. Er lehne das Wirtschaftssystem der Bundesrepublik ab und müsse sich nicht um einen Job bemühen.
Das Jobcenter minderte schrittweise das Arbeitslosengeld II um bis zu 100 Prozent und hob schließlich die Bewilligung der Hilfeleistung auf. Das LSG lehnte den Antrag ab, die Vollziehung des Sanktionsbescheides auszusetzen. Es spreche mehr für als gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheides. Nach dem geltenden einfachen Recht durfte der Antragsteller wegen seiner Pflichtverletzungen entsprechend sanktioniert werden. Daran ändere auch nichts, dass beim Bundesverfassungsgericht derzeit die Verfassungsmäßigkeit der Sanktionsregelungen auf dem Prüfstand stehe.
Das Sozialgericht Gotha hatte in einer Richtervorlage die gesetzlichen Regelungen zur Sanktion von Hartz-IV-Beziehern den Verfassungsrichtern zur Prüfung vorgelegt (Az.: S 15 AS 5157/14). Bislang hat das Bundesverfassungsgericht (Az.: 1 BvL 7/15) noch nicht darüber entschieden.
An dieser Stelle erklärt unser Rechtsexperte und Leiter unserer Bundesrechtsabteilung, Jörg Ungerer, das Urteil.
vdk.de: Herr Ungerer, aktuell prüft das Bundesverfassungsgericht, wie rechtmäßig Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger sind. Warum führt dieses Verfahren in der Praxis nicht zu einem vorläufigen Stopp der Sanktionen?
Jörg Ungerer: Im Bundesverfassungsgerichtsgesetz ist bestimmt, dass nur Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) Gesetzeskraft erlangen können. Das Landessozialgericht folgert im Umkehrschluss daraus, dass allein die Anhängigkeit eines Verfahrens am BVerfG ein geltendes Gesetz nicht verdrängen kann.
vdk.de: Der VdK ist an dem erwähnten Verfahren in Karlsruhe beteiligt. Warum beteiligt sich der Verband daran?
Jörg Ungerer: Unser Verband wurde als sachverständiger Dritter vom BVerfG aufgefordert, eine Stellungnahme über die Verfassungsmäßigkeit der Sanktionen abzugeben. Wir sind hier der Auffassung, dass die derzeitige Regelung ein menschenwürdiges Existenzminimum nicht sichert. Darüber hinaus wird derzeit auch unverschuldetes Fehlverhalten sanktioniert, da der Gesetzgeber eine entsprechende Prüfung nicht vorgesehen hat.
vdk.de: Wie ist der Stand der Dinge in dem Verfahren? Wann ist mit einem Urteil zu rechnen?
Jörg Ungerer: Der VdK konnte diese Auffassung in der mündlichen Verhandlung am 15. Januar 2019 in Karlsruhe darlegen. Es erscheint nicht unwahrscheinlich, dass das BVerfG die hohen Leistungskürzungen in Höhe von 60 bis 100 Prozent für verfassungswidrig erklärt und eine Einzelfallprüfung erfolgen muss. Ich rechne mit einer Entscheidung des Gerichts bis Ende des Jahres.
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Schlagworte Hartz IV | Karlsruhe | Bundesverfassungsgericht | Sanktionen
Der Sozialverband VdK berät und vertritt seine Mitglieder im Bereich gesetzliche Rentenversicherung, zum Beispiel zum Thema Erwerbsminderungsrente.
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