6. September 2019
SOZIALRECHT

Mittellose Menschen haben Anspruch auf Versicherungsschutz

Armen Menschen ohne Krankenversicherung muss dennoch Krankenversicherungsschutz gewährt werden. Das Sozialamt darf Sozialhilfebezieher ohne Krankenversicherung nicht dazu zwingen, dass sie wegen ihrer früheren privaten Versicherung nun erneut einen privaten Krankenversicherungsschutz im Basistarif abschließen.

Das Foto zeigt eine Krankenversicherungskarte, die aus einer Geldbörse ragt.
Auch armen Menschen muss ein Versicherungsschutz gewährt werden. | © Pixabay

Das hat das Bundessozialgericht (BSG) am 5. September 2019 in Kassel gefällt. (Az.: B 8 SO 15/18 R). Betroffene können stattdessen im Rahmen der sogenannten Quasiversicherung bei einer gesetzlichen Krankenversicherung Versicherungsschutz erhalten. Seit 2009 besteht in Deutschland eine allgemeine Krankenversicherungspflicht. Alle Personen mit Wohnsitz in Deutschland müssen danach gegen Krankheitskosten versichert sein. Private Krankenversicherungen müssen nicht gesetzlich versicherte Personen zum Basistarif aufnehmen.

Dennoch sind immer noch Menschen ohne Krankenversicherungsschutz. Nach einer Antwort der Bundesregierung vom 12. August 2019 auf eine Kleine Anfrage von Abgeordneten der Linksfraktion sind nach dem Mikrozensus 2015 rund 79.000 Menschen nicht versichert. Im Laufe des Jahres 2017 erhielten rund 29.000 nicht krankenversicherte Menschen vom Sozialamt sogenannte Hilfen zur Gesundheit.

Was ist die Quasi-Krankenversicherung?

Damit nicht versicherte sozialhilfebedürftige Menschen nicht durch das Sozialnetz fallen, hatte der Gesetzgeber die sogenannte Quasi-Krankenversicherung geschaffen. Danach können Betroffene eine gesetzliche Krankenversicherung auswählen, von der sie eine Versichertenkarte bekommen. Als Versicherter der Krankenversicherung gelten sie aber nicht, und sie müssen auch keine Beiträge bezahlen. Angefallene Krankheitskosten rechnet die Krankenkasse dann mit dem Sozialamt ab.

Im nun entschiedenen Fall ging es um eine bis Mitte der 1990er Jahre privat versicherte, heute 85-jährige Frau. Seitdem war die frühere Anwältin nicht mehr krankenversichert. Da sie Grundsicherung im Alter erhielt, verlangte sie im Juli 2014 beim Bonner Sozialamt die Zusicherung, dass die Behörde im Krankheitsfall für anfallende Kosten aufkommen müsse.

Das Sozialamt lehnte dies ab. Es bestehe eine gesetzliche Krankenversicherungspflicht. Die Klägerin müsse sich daher krankenversichern. Da sie wegen ihrer früheren Tätigkeit nicht in die gesetzliche Krankenversicherung eintreten könne, müsse sie eine private Krankenversicherung zum Basistarif abschließen.

Kasse muss Versicherungsschutz geben

Die Klägerin verweigerte dies. Denn wegen des langen Zeitraums ohne Versicherungsschutz hätte sie zunächst einen „Prämienzuschlag“ von knapp 5.000 Euro bezahlen müssen. De Das BSG wies die Revision zwar aus formalen Gründen zurück. So könne die Klägerin vom Sozialamt nicht die Zusage verlangen, dass die Behörde im Krankheitsfall für ihre Kosten aufkommt. Ohne Krankenversicherung habe sie aber nach dem Gesetz – auch als früher privat Versicherte – Anspruch auf Aufnahme in die sogenannte Quasi-Versicherung. Solange sie laufend Grundsicherungsleistungen bezieht, könne sie einmalig eine gesetzliche Krankenkasse ihrer Wahl aussuchen. Die Kasse müsse ihr im Rahmen einer Quasi-Versicherung Versicherungsschutz gewähren.

Allerdings betonten die Kasseler Richter, der Verstoß gegen die gesetzliche Versicherungspflicht könne „ein schuldhaftes Verhalten auch im Sinne sozialhilferechtlicher Normen bedeuten, das im Nachhinein zum Ersatz der Kosten verpflichtet“. Hierüber hatte das BSG im konkreten Fall aber noch nicht zu entscheiden.

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13.08.2019 | ©Juragentur / ime

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Schlagworte Bundessozialgericht | BSG | Versicherungsschutz | arm | private Krankenversicherung

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