16. April 2018
SOZIALRECHT

Untergebrachte psychisch Kranke müssen Freiheitsperspektive haben

Je länger psychisch Kranke wegen einer Selbstgefährdung in der Psychiatrie untergebracht sind, desto genauer müssen Gerichte bei der Verlängerung der Unterbringung hinsehen. Die Richter müssen genau prüfen, ob die bisherige Unterbringung die Gefährdung reduziert hat und ob der Betroffene nicht in einer offenen betreuten Wohnform leben könnte, entschied der Bundesgerichtshof.

Ein altes Gebäude, dessen Fenser vergittern und dessen Mauern mit Stacheldraht versehen sind.
Richter urteilen: Psychisch Kranke sollen wieder in die Freiheit kommen. | © imago/Schöning

Gerichte müssen bei der Verlängerung von Unterbringungen psychisch Kranker sehr sorgfältig prüfen, ob diese sich noch immer gefährden. Prüfen müssen die Richter auch, ob die Betroffenen nicht auch in einer betreuten Wohngruppe leben könnten. Die Pflicht zur genauen Prüfung gilt umso mehr, je länger Kranke zwangsweise in der Psychiatrie untergebracht sind. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einem am 16. April 2018 veröffentlichten Beschluss klargestellt (Az.: XII ZB 629/17). Grundsätzlich müssten untergebrachte psychisch Kranke eine Perspektive darauf haben, die Freiheit wiederzuerlangen.

Die Richter gaben damit einem psychisch kranken Mann aus dem Raum Bad Kissingen recht. Seit einem Verkehrsunfall leidet er an einem hirnorganischen Psychosyndrom. Dieses geht einher zum Beispiel mit eingeschränkter Impulskontrolle, auch ist der Mann Alkoholiker. Ein Sachverständiger hielt eine Unterbringung auf „unabsehbare Zeit“ für nötig.

Unterbringung in Psychiatrie verlängert: Patient wehrt sich vor Gericht

Doch als seine Unterbringung in der Psychiatrie nach knapp achteinhalbjähriger Unterbringung erneut verlängert werden sollte, wehrte sich der Mann gerichtlich dagegen. Das Landgericht Schweinfurt erlaubte aber erneut die Zwangsmaßnahme und begründete dies mit Vorfällen, die sich vor der Unterbringungszeit ereignet hatten. Eine Selbstgefährdung bestehe weiter fort, so das Landgericht.

Der BGH hielt diese Entscheidung in seinem Beschluss vom 14. März 2018 für fehlerhaft. Je länger eine von einem Betreuer veranlasste Unterbringungsmaßnahme dauert, desto genauer müssten Gerichte diese begründen. Schließlich werde das Grundrecht auf Freiheit eingeschränkt. Andererseits treffe dem Staat eine Fürsorgepflicht, dass sich psychisch Kranke nicht selbst erheblich gesundheitlich gefährden.

Gerichte müssen die Verlängerung einer Unterbringung begründen

Um die Verlängerung der Unterbringung wegen einer Selbstgefährdung begründen zu können, müsse keine akute, unmittelbar bevorstehende Gefahr vorliegen. „Notwendig, aber auch ausreichend ist eine ernstliche und konkrete Gefahr für Leib oder Leben des Betreuten“, so der BGH.

Im konkreten Fall habe das Landgericht die Verlängerung der Unterbringung unzureichend und damit fehlerhaft begründet. Nach knapp achteinhalbjähriger Unterbringung hätte das Gericht prüfen müssen, ob die Unterbringung nicht zu einer Verringerung der Selbstgefährdung des Betroffenen geführt hat und ob der Mann nicht in einer offenen Betreuungsform mit einer engmaschigen Überwachung leben könne. Grundsätzlich müssten untergebrachte psychisch Kranke auch eine Perspektive auf Wiedererlangung der Freiheit haben, forderten die Karlsruher Richter. Das Verfahren verwiesen sie zur erneuten Prüfung an das Landgericht zurück.

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Schlagworte Psychiatrie | Bundesverfassungsgericht | psychische Erkrankung | einweisung

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