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Die Pläne von Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil wecken neue Hoffnungen für die über 5,2 Millionen Kundinnen und Kunden der Jobcenter. Halten sie auch, was sie versprechen? Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbandes VdK Deutschland, sieht viele positive Signale in Heils Plänen.
Trotz aller Krisen ist die Massenarbeitslosigkeit nicht das Problem unserer Zeit – vielmehr fehlen uns Fachkräfte und ein Arbeitsmarkt, der Menschen fördert und nicht überfordert. Wenn wir bei den Leistungsberechtigten Kinder, Menschen in Umschulung und die sogenannten Aufstocker rausrechnen, haben wir noch etwa zwei Millionen arbeitslose Erwerbsfähige, die Hartz IV beziehen.
Dabei kann Hartz IV jeden treffen – das wissen wir als größter Sozialverband in Deutschland aus unserer Rechtsberatung nur zu gut. Ein - leider - typischer Weg in das System Hartz IV: ein Erwerbstätiger, Mitte 50 schwer erkrankt, Krankengeld und dann Arbeitslosengeld 1 sind ausgelaufen und die Erwerbsminderungsrente ist noch nicht durch. Menschen fallen dann nach einem Leben, in dem sie immer gearbeitet und Beiträge in die Sozialversicherung eingezahlt haben, kurz vor der Rente in Hartz IV. In der Corona-Pandemie wurde ein anderer Weg auch immer häufiger: Selbstständige, wie Musiker oder Gastwirte, die sich das nie hätten erträumen lassen, landen im wirtschaftlichen Aus und damit in Hartz IV.
Das neue Bürgergeld mit Respekt und auf Augenhöhe ist daher der richtige Weg.
Grundsätzlich wird bei den ersten Vorschlägen aus dem Arbeits- und Sozialministerium deutlich, dass hier mit einem deutlich positiveren Menschenbild und einem realistischeren Blick auf erarbeitete Besitztümer geplant wird. Beispielsweise schätze ich sowohl die Pläne für eine Erhöhung des Schonvermögens auf 15 000 Euro pro Person in einer Bedarfsgemeinschaft als auch seine einfachere und unbürokratischere Überprüfung als sehr positiv ein. Dazu soll es Verbesserungen bei der Altersvorsorge geben.
Dass Strafen zu einer nachhaltigen Integration in den Arbeitsmarkt geführt haben - diesen wissenschaftlichen Nachweis schuldet uns die Bundesagentur für Arbeit und die ihr nahestehenden Institute immer noch. Wir wissen doch längst aus der Psychologie, dass motivierende Angebote und Anreize erfolgreicher als Bestrafungen sind. Finanzielle Anreize, wie die angekündigten Weiterbildungsprämien und –gelder, sind daher der richtige Weg. Auch die Entfristung des sozialen Arbeitsmarktes, der sich als Angebot zur sozialen Teilhabe sehr bewährt hat, ist positiv. Dann dürfen allerdings im Haushaltsplan des Finanzministeriums die Mittel dafür nicht zusammengekürzt werden, wie es gerade passiert ist. Ansonsten bleibt es nur ein schöner Plan, aber leider nicht flächendeckend umsetzbar.
Arbeits- und Sozialminister Heil hat in seinem Entwurf angekündigt, dass der sogenannte Vermittlungsvorrang abgeschafft werden soll – das begrüßen wir als VdK sehr. Eine gute Qualifikation ist der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit. So können in Zukunft Leistungsempfänger bevorzugt notwendige Ausbildungen und berufsabschlussbezogene Weiterbildungen machen, anstatt dass sie in prekäre oder befristete Jobs vermittelt werden müssen.
Ein Vorhaben unterstütze ich als Präsidentin eines Sozialverbandes, der viele Senioren als seine Mitglieder zählt, ganz besonders: die Zwangsverrentungen sollen abgeschafft werden. Bisher wurden so Ältere vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen, auch wenn sie noch Chancen haben und wir ehrlicherweise nicht auf ihr Wissen und ihre Fähigkeiten verzichten können. Gleichzeitig mussten sie lebenslang Abschläge auf ihre Rente hinnehmen.
Nachdem ich viele der einzelnen Maßnahmen so positiv bewertet habe, bin ich mir jedoch sicher: Der Erfolg des Bürgergeldes wird maßgeblich von der Höhe der Regelsätze abhängen - nicht nur für die Institutionen, sondern vor allem für die Menschen selbst. Denn jede noch so gute Maßnahme kann erst wirken, wenn die Menschen keine Existenzangst mehr haben. Frei nach Brecht: „Erst kommt das Fressen, dann die Qualifizierung“. Schon vor den Preissteigerungen reichten die fünf Euro am Tag, die im Regelsatz für Essen vorgesehen sind, nicht, um sich gesund zu ernähren. Jetzt, da schon ein Stück Butter 3 Euro kostet, reicht es vielleicht noch für eineinhalb Mahlzeiten am Tag. Oder die 36 Euro, die im Regelsatz für Strom vorgesehen sind. Wer nicht weiß, wovon er seine Stromrechnung bezahlen soll oder was er sich zu essen kaufen kann, der hat keine Kraft sich auf eine Weiterbildung zu konzentrieren. Für den VdK wird aus Hartz IV daher erst dann ein neues Bürgergeld, wenn auch die Regelsätze neu berechnet und erhöht werden. Das Existenzminimum darf nicht mehr unterschritten werden, weder durch Darlehensrückzahlungen noch durch Kürzungen.
Bei aller Euphorie für die Reform des Bürgergelds darf die Kindergrundsicherung sowie die Grundsicherung bei Erwerbsminderung und im Alter nicht vergessen werden.
Ganz dringend braucht es auch im SGB XII eine Erhöhung des Schonvermögens auf 15 000 Euro. Auch muss ein eigenes Auto als Schonvermögen bewertet werden: gerade Menschen mit Behinderung und Ältere sind auf das Auto angewiesen, insbesondere dann, wenn sie keinen barrierefreien, öffentlichen Personennahverkehr zur Verfügung haben. Dass Kinder komplett aus dem System des Arbeitslosengeldes rausgenommen werden müssen, dafür sorgen hoffentlich die Pläne der grünen Familienministerin.
Wer jetzt ankündigt, es werde keinen Cent mehr geben für Grundsicherungsempfänger, der hat kein Interesse an einem erfolgreichen Bürgergeld. Sich darauf zu berufen, dass im Koalitionsvertrag nicht stehe, dass für das neue Bürgergeld mehr Geld ausgegeben werden soll, ist absolut scheinheilig. Steht da etwas von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr? Wegen der aktuellen Krisen mit ihren sozialen Härten müssen die Leistungen so dringend wie noch nie den tatsächlichen Bedarf decken. Hier auf Kosten der Ärmsten zugunsten der Schuldenbremse zu sparen, ist nicht nur menschenverachtend. Es birgt gefährlichen sozialen Sprengstoff.
Verena Bentele, VdK-Präsidentin
Schlagworte Bürgergeld | Hartz IV | Jobcenter
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