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Erst kam die Corona-Krise, dann brach der Ukraine-Krieg aus, schließlich kam die höchste Inflation seit 70 Jahren. Wie es weitergeht, kann niemand vorhersehen. Wie hält man diese Unsicherheiten aus? Die VdK-Zeitung sprach mit der Psychologin und Buchautorin Helga Land-Kistenich.
Sozialverband VdK: Worin liegen derzeit die größten Herausforderungen?
elga Land-Kistenich: Die größte Herausforderung liegt darin, die Ruhe zu bewahren und sich von den Ereignissen nicht überwältigen zu lassen.
Warum empfinden wir ungelöste Probleme und offene Fragen als belastend?
Die Menschen machen sich gerne einen Plan, obwohl es natürlich keine Gewissheit gibt, dass dieser auch aufgeht. Aber er vermittelt das Gefühl von Sicherheit, auch wenn man Zufälle, einen Unfall oder eine Katastrophe nicht vorhersagen kann. Mit einer gewissen Größenordnung von Unsicherheiten können wir umgehen. Wenn aber die Zahl der offenen Fragen oder ungelösten Probleme steigt, empfinden wir Stress. Das kann mitunter extreme Reaktionen hervorrufen, wie etwa einen Aussetzer oder Panik – nicht zuletzt, weil man vielleicht gezwungen ist, neue Wege der Problembewältigung zu finden.
Manche machen sich mehr Sorgen, andere weniger. Wovon hängt das ab?
Wie wir mit belastenden Situationen umgehen, hängt zu einem großen Teil von unseren Genen und den Erfahrungen in der Kindheit ab. In den ersten drei Lebensjahren bilden sich die psychoneuronalen Grundsysteme aus, die die Basis des Verhaltens darstellen. Diese werden über das gesamte Leben gespeichert, erweitert und mit allen Vorgängen im Gehirn vernetzt. Dazu gehört die Art, wie jemand Stress bewältigt, ob sie oder er sich selbst beruhigen kann, die Motivation, die Impulskontrolle, das Bindungs- und Empathieverhalten, der Realitätssinn sowie die Risikoeinschätzung. Die gesammelten Erfahrungen stehen dann in bestimmten Situationen zur Verfügung. Beispielsweise wird ein Kind, das schon viel verreist ist, bei einem Schul- oder Ortswechsel weniger Stress empfinden als ein Kind, das noch nie von zu Hause weg war.
Wie geht man denn am besten mit den aktuellen Unsicherheiten um?
In Gesprächen mit meinen Patienten, Freunden und Bekannten habe ich etwas sehr Erfreuliches festgestellt: Die meisten möchten sich durch die schlechten Nachrichten nicht verunsichern lassen. Viele beschränken sich darauf, sich nur noch einmal am Tag über die Geschehnisse in den Medien zu informieren. Stattdessen widmen sie sich der Familie und dem Freundeskreis, gehen wandern oder werden kreativ. Das ist meines Erachtens die richtige Reaktion. Wichtig ist, trotz aller Katastrophen sich selbst und anderen Stabilität zu geben. Die Menschen, die den Zweiten Weltkrieg noch erlebt haben, sind mit vielen Unsicherheiten aufgewachsen: Die Nahrungsmittel waren knapp, es gab Bombenangriffe, man wusste nie, wann der nächste Fliegeralarm ertönt, und man hatte immer die Notfalltasche gepackt. Nun müssen auch die jüngeren Generationen lernen, mit tiefgreifenden Unsicherheiten umzugehen.
Nimmt das Bedürfnis nach Sicherheit im Alter zu?
Jein. Die Erfahrungen, die wir im Leben gemacht haben, tragen dazu bei, dass wir im Alter vorausschauender denken und uns anders absichern als in der Jugend. Schlechte Erfahrungen können natürlich dazu führen, dass jemand im Alter geiziger, unfreundlicher und allem Neuen gegenüber verschlossener wird. Allerdings kann auch das genaue Gegenteil passieren.
Ungewissheit hat aber nicht nur schlechte Seiten. Worin liegen ihre Chancen?
In einem gewissen Maß gibt sie uns die Möglichkeit, flexibel zu bleiben und in Zukunft bessere Vorsorge zu betreiben. Die Coronazeit hat uns hart getroffen, weil wir auf eine Seuche nicht vorbereitet waren. Der Krieg in Europa hat uns aufgerüttelt, unsere eigenen friedvollen Verteidigungstruppen aufrechtzuerhalten. Darin liegt die Chance der Krisen, die wir jetzt erleben: Veränderungen in unseren Einstellungen vorzunehmen und Vorsorge zu treffen.
Sie sagen, man kann seine Fähigkeit, unklare Situationen auszuhalten, stärken. Wie gelingt das?
Indem man aktiv bleibt und den Kontakt zu seiner Familie, zu seinen Freunden sowie zu seinem sozialen Umfeld pflegt. Wegen Angst nicht mehr die Wohnung zu verlassen, seine Hobbies zu vernachlässigen oder nur gewohnte Wege zu gehen, lässt die Menschen unbeweglich werden. Die Fähigkeit, auf Ungewohntes zu reagieren, kann letztlich jeder lernen.
Interview: Annette Liebmann
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