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Frauen leiden häufiger an Heuschnupfen, Harnwegsinfektionen oder rheumatischer Arthritis. Bei Männern werden dagegen eher Diabetes oder Gicht diagnostiziert. Leiden Mädchen an Asthma, haben sie oft einen trockenen Husten, bei Jungen ist das typische pfeifende Atemgeräusch zu hören. So kann bereits im Kindesalter dieselbe Erkrankung mit verschiedenen Symptomen einhergehen.
Ursache für diese Unterschiede ist die Biologie, vor allem die Gene: So haben Frauen zwei X-Chromosomen, Männer ein X- und ein Y-Chromosom. Dies wirkt sich auf das Herz-Kreislauf-System und das Immunsystem aus. Im Hormonhaushalt von Frauen überwiegt das Östrogen, bei Männern das Testosteron. Der weibliche Stoffwechsel und die Verdauung arbeiten langsamer. Frauen haben mehr Fettgewebe, weniger Muskelmasse und einen geringeren Wasseranteil. Sie sind daher in der Regel kleiner und leichter.
Diese Unterschiede bestimmen, mit welchen Symptomen Krankheiten einhergehen, wie sie verlaufen und wie Therapien wirken, erklärt Dr. Hildegard Seidl, Fachreferentin für Gendermedizin an der München Klinik. „Deshalb geht es hier nicht um Feminismus oder um Frauenmedizin. Stattdessen will die Gendermedizin biologische und soziale Unterschiede berücksichtigen“, sagt sie.
Bisher fehle es jedoch an einer systematischen Forschung. So müssten seit dem Jahr 2004 zwar Frauen und Männer proportional zum Vorkommen der Erkrankung in Studien eingeschlossen werden. Doch diese Daten würden nicht zwingend getrennt nach Geschlechtern ausgewertet, so die Expertin.
Dies könne dazu führen, dass das eine oder das andere Geschlecht benachteiligt wird. Bei Autoimmunerkrankungen sind etwa 80 Prozent der Erkrankten Frauen. Deshalb dominieren sie die Studienergebnisse. Bei den Herzerkrankungen ist es umgekehrt. Hier sind mehr Männer – circa 60 Prozent – betroffen, sodass sie die Ergebnisse bestimmen. Dies führt dazu, dass im ersten Fall die Männer, im zweiten Fall aber die Frauen benachteiligt sind, sagt Seidl.
Doch meist sind es die Frauen, die außen vor gelassen werden, so Seidl weiter. In medizinischen Lehrbüchern liegt der Fokus noch immer auf den Symptomen von Männern. Dies führt etwa dazu, dass der weibliche Herzinfarkt noch viel zu selten als solcher diagnostiziert wird, weil sich die Symptome bei Frauen und Männern unterscheiden. Bei Medikamententests finden Tierversuche in der Regel an männlichen Mäusen statt, weil der weibliche Zyklus die Ergebnisse beeinflussen könnte.
Wie wichtig es ist, Geschlechterunterschiede zu berücksichtigen, zeigt die Forschung rund um das Herzmittel Digitalis: Im Jahr 1997 wurde in einer Studie mit 80 Prozent Männern eine positive Wirkung des Medikaments festgestellt. Doch bei Frauen, die das Mittel später in der empfohlenen Dosis einnahmen, traten mehr Nebenwirkungen auf, auch tödliche. Das hat dazu geführt, dass der Wirkstoff derzeit erneut geprüft wird.
Dass Medikamente bei Frauen und Männern unterschiedlich wirken, ist vielen Menschen nicht bewusst. Arztpraxen und Apotheken müssten darauf hinweisen. Doch 78 Prozent von mehr als 1000 befragten Patientinnen und Patienten wurden bisher nicht darüber aufgeklärt. Dies hat eine Umfrage der Krankenkasse BKK VBU ergeben. Auch auf Beipackzetteln sind solche Angaben nicht zu finden.
Die Ampel-Regierung hat in ihrem Koalitionsvertrag beschlossen, geschlechtsbezogene Unterschiede in der Medizin abzubauen und Gendermedizin zum Teil des Medizinstudiums sowie der Aus-, Fort- und Weiterbildungen in den Gesundheitsberufen zu machen. Zudem fördert das Bundesgesundheitsministerium derzeit mit 4,1 Millionen Euro zwölf Projekte.
Dies bewertet Seidl als wichtiges Signal. Sie ist überzeugt, dass die Gendermedizin Einzug in die Lehre halten wird, wenn sie sich in der Forschung etabliert hat. Das sei noch ein langer Weg. Doch dann würden Frauen und Männer endlich davon profitieren.
Kristin Enge
Schlagworte Gendermedizin
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