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Rund zwei Millionen Menschen in Deutschland leiden unter Prosopagnosie – Betroffene kennen diese Schwäche oft nicht
Für die meisten Menschen ist es selbstverständlich, andere am Gesicht zu erkennen. Doch bei zwei bis drei Prozent der Bevölkerung ist das nicht so. Sie leiden unter Prosopagnosie, Gesichtserkennungsschwäche.
Bis zum 32. Lebensjahr dachte Martina Weiß*, es sei nicht ungewöhnlich, die Gesichter ihrer Mitmenschen nur schwer oder gar nicht unterscheiden zu können. Sie orientierte sich an Kleidung, Haltung oder an der Stimme. Erst als sie einen Film anschaute und ihr Freund sich wunderte, warum sie Schauspieler nicht auseinanderhalten konnte, bemerkte sie diese Schwäche. Kurze Zeit später las sie einen Artikel über Gesichtsblindheit, und ihr wurde klar, dass sie davon betroffen ist.
Etwa zwei Millionen Menschen leiden in Deutschland darunter, und ähnlich wie Martina Weiß wissen viele dies nicht, oder erfahren es erst im Laufe ihres Lebens, erklärt Prof. Dr. Katharina von Kriegstein. Die Inhaberin des Lehrstuhls für kognitive und klinische Neurowissenschaft an der Technischen Universität (TU) Dresden beschäftigt sich intensiv mit Prosopagnosie. Der Fachbegriff setzt sich aus den beiden altgriechischen Wörtern „Prosopon“ für „Gesicht“ und „Agnosia“ für „nicht erkennen“ zusammen.
Manche Menschen, die davon betroffen sind, gehen ungern auf Partys oder meiden berufliche Treffen mit vielen Menschen. Denn sie scheuen sich, andere anzusprechen, da sie diese nicht erkennen. Andere wählen die Strategie, jeden zu grüßen. Für Kinder kann es schwierig sein, Freunde zu finden, da sie sich die Gesichter nicht merken können.
Schon in der Antike litten Menschen unter Gesichtsblindheit, wie aus Überlieferungen hervorgeht. 1947 berichtete der deutsche Neurologe Joachim Bodamer von drei Patienten, die nach einer Hirnverletzung medizinisches Personal und eigene Verwandte nicht mehr erkennen konnten. 1985 sorgte das Buch „The Man Who Mistook His Wife for a Hat“ (Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte) des britischen Neurologen Oliver Sacks für Aufmerksamkeit. Doch viele Menschen kennen Prosopagnosie bis heute nicht.
Die Erforschung der Gesichtserkennungsschwäche ist zuletzt deutlich vorangeschritten. Es wird zwischen zwei Formen unterschieden: der angeborenen und der erworbenen. Die Erstere ist am meisten verbreitet. Da diese Schwäche oft innerhalb einer Familie in verschiedenen Generationen vorkommt, gehen die Forscher von einer genetischen Besonderheit aus. Von 40 Menschen ist im Schnitt einer betroffen.
Deutlich weniger Menschen bekommen im Laufe ihres Lebens Prosopagnosie. Gründe für das erworbene Auftreten können zum Beispiel ein Schlaganfall oder ein Gehirntumor sein. Die Wissenschaft geht davon aus, dass durch derartige Erkrankungen mindestens einer von drei Bereichen im Gehirn verletzt wurde, die für die Gesichtserkennung zuständig sind.
Um mehr über diese neurologische Erkrankung zu erfahren, läuft an der TU Dresden zurzeit eine Studie. Das Team um Katharina von Kriegstein sucht dazu Menschen im Alter von 18 bis 50 Jahren, bei denen angeborene Prosopagnosie diagnostiziert wurde oder die dieselben Symptome haben.
Behandelbar ist die Gesichtserkennungsschwäche leider nicht. Aber die Menschen können mit bestimmten Strategien lernen, gut damit zu leben, sagt die Neurowissenschaftlerin. Ein erster wichtiger Schritt ist die richtige Diagnose. „Die meisten sind dann sehr erleichtert“, berichtet sie. Je früher dies passiert, umso besser.
Betroffene können sich bei Begegnungen mit anderen auf bestimmte Merkmale konzentrieren, wie zum Beispiel den Haaransatz, die Zahnstellung oder einen Leberfleck im Gesicht. „Das kann unheimlich anstrengend sein“, erklärt Katharina von Kriegstein. Manchmal ist es besser, offen auf das Defizit hinzuweisen. Freunden sollte man es auf jeden Fall sagen. Und man kann dabei auch von Prominenten erzählen, die ebenfalls diese Probleme haben, wie die berühmte Affenforscherin Jane Goodall oder Hollywoodstar Brad Pitt.
Sebastian Heise
*Name von der Redaktion geändert
Schlagworte Gesichtserkennung | Diagnose
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