22. Februar 2022
GESUNDHEIT

„Ich musste das endlich mal loswerden“

Das Angebot der Internetseelsorge ist überkonfessionell, kostenlos und absolut anonym: Eine Art von Kummerkasten im Internet, der 24 Stunden täglich geöffnet ist. Seit der Corona-Pandemie gehen dort 30 Prozent mehr Zuschriften ein.

Verzweifelt blickende Frau schaut auf ihr Mobiltelefon.
© Canva / aleksandrdavydovphotos

„Ich habe noch nie mit jemandem darüber gesprochen. Ich musste das endlich mal loswerden.“ Die Frau, die sich Gabriele Bamberger auf der Webseite internetseelsorge.de anvertraut, ist verzweifelt. Seit der Pandemie pflegt sie ihre Mutter zu Hause. Ihr Mann ist in Kurzarbeit und trinkt zu viel. Die Tochter ist im Homeschooling völlig überfordert und ritzt sich die Arme. Bambergers mitfühlende Antwort kommt zwei Tage später. Ratschläge gibt sie nicht, denn diese wirkten oftmals wie „Schläge“, sagt sie. „Ich lasse die E-Mail auf mich einwirken, versuche, zwischen den Zeilen zu lesen und frage behutsam nach.“ Gemeinsam überlege man, was zu tun ist, welche Entlastungs- und Hilfsangebote denkbar sind. Dabei verweist Bamberger auch schon mal auf die Schuldnerberatung oder den VdK, beispielsweise wenn es um Pflege geht: „Der VdK hat wunderbare Menschen, die viel wissen.“ Gabriele Bamberger ist selbst chronisch krank. „Der VdK Rheinland-Pfalz hat mir auch schon einmal super weitergeholfen.“

Seit sechs Jahren berät Bamberger Menschen in seelischer Not per E-Mail oder im Chat, als eine von 35 Beratenden. Die Webseite internetseelsorge.de wird von acht ­Bistümern getragen und ist eine Einrichtung unter dem Dach der Deutschen Bischofskonferenz. Die Ratsuchenden sind meist zwischen 35 und 60 Jahren und bei Bamberger zu 80 Prozent Frauen. 14-Jährige mit Schulproblemen sind genauso darunter wie trauernde 86-Jährige mit Schuldgefühlen. Viele haben psychische Probleme.

Angst vor dem Virus

Seit zwei Jahren geht es oft um die Pandemie und um Einsamkeit. Schon zuvor bestehende Probleme werden nun häufig überlagert von der Angst vor dem Virus, sagt Bamberger, die 20 Jahre als Klinikseelsorgerin in der Psychiatrie gearbeitet hat. Die Menschen seien zunehmend erschöpft, müde, dünnhäutig und niedergeschlagen. Depressionen nähmen stark zu. „Die Pandemie hat sie mürbe gemacht.“ Wie die Frau, die ihren schwerkranken Mann pflegt. Jeder Einkauf bedeutet Stress, die Angst, das Virus mit nach Hause zu bringen. Oder die ungeimpfte Patientin mit Chemotherapie, die klagt, sich ständig rechtfertigen zu müssen.

Auf der Webseite stellen sich die Beratenden mit Foto und Profil vor. Alle sind theologisch ausgebildet und verfügen über diverse Zusatzausbildungen, beispielsweise in Ehe- und Familienberatung sowie Trauerbegleitung. Alle haben auch gelernt, für das Internet zu schreiben. „Die Leute gucken sehr genau, an wen sie sich wenden“, so Bamberger.

In hochemotionalen Zeiten, wie im November und Dezember, steigt die Zahl der Mails ebenso an wie bei trübem Wetter. Viele schreiben nachts, wenn der Alltag pausiert. Auch Glaubensfragen sind dabei wie „Ich bin krank geworden, wie kann Gott das nur zulassen?“.

Die Anonymität des Internets ist ein Vorteil: Bei schambesetzten Themen wie Schulden, Missbrauch, Sucht, Sexualität und Suizidgedanken trauen sich Menschen, eher ano­nym zu schreiben, als zum Beispiel in Präsenz eine Beratung aufzusuchen. Eine E-Mail entlastet. „Beim Niederschreiben bekomme ich wieder etwas Regie über meine Gefühle. Das Chaos in mir beginnt, sich zu lichten“, sagt Bamberger. Kein Wunder also, dass viele E-Mails an sie mit „Danke, dass Sie mir zugehört haben“ enden.

Sabine Kohls

Corona belastet

Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) hat 5000 Personen ab 18 Jahren für den WIdO-Monitor befragt:

Fast 31 Prozent der Befragten sagen, dass die Pandemie ihre Lebensfreude stark oder sehr stark beeinträchtigt hat. Bei den Jüngeren unter 30 Jahren sind es fast 40 Prozent. Am wenigsten fühlt sich mit 23 Prozent die Generation 65 plus beeinträchtigt.

Über ein Viertel gab an, sich durch die Pandemie stark oder sehr stark belastet zu fühlen. Fast drei Viertel fühlten sich eher wenig bis überhaupt nicht belastet. Es gibt deutliche ­Unterschiede bei Alter und Geschlecht: Jüngere unter 30 Jahren und Frauen fühlten sich eher belastet als Ältere über 70 Jahren und Männer.

Schlagworte Internetseelsorge | psychische Probleme | Pandemie

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