14. Oktober 2021
GESUNDHEIT

Hungrige Seele: Emotionale Esser haben oft mit seelischen Problemen zu kämpfen

Viele Menschen greifen zum Essen, wenn sie traurig, einsam oder gestresst sind. Hunger und Sättigungsgefühle spielen dabei keine Rolle. Warum das so ist und wie man sich helfen kann, erklärt Maria Sanchez, Heilpraktikerin für Psychotherapie, Buchautorin und Gründerin der Bewegung „EssentialCore • Sehnsucht und Hunger“.

Das Bild zeigt viele verschienende Gläser und Flaschen mit Saucen und Beeren in einem Kphlschrank
© Canva / pixelshot

Nahrung ist lebensnotwendig, weil der Körper auf Vitamine, Nährstoffe und Energie angewiesen ist, um funktionieren zu können. Doch fast jede und jeder dritte Deutsche isst aus emotionalen Gründen. „Man greift zum Beispiel zu Schokolade, weil man großen Appetit darauf hat. Oder man hat anfangs Hunger und kann dann nicht mehr aufhören, zu essen“, erklärt Sanchez. Ziel dieser Nahrungsaufnahme ist es, sich zu beruhigen oder ein angenehmes Gefühl zu verschaffen, etwa Trost oder Liebe.

Oft funktioniert das auch, denn Essen beruhigt und entspannt schon allein durch die Energiezufuhr. Doch dieser Effekt hält meist nicht lange an. Wer aus emotionalen Gründen regelmäßig den Kühlschrank plündert, neigt dazu, größere Mengen zu essen und zuzunehmen. Vor allem aber wird sie oder er dabei niemals richtig satt.

„Wir werden nicht so geboren“, sagt Sanchez. „Ein kleines Kind isst nur solange, bis sein Hunger gestillt ist, dann hört es auf.“ Wer über den Hunger hinaus Nahrung zu sich nimmt, bei dem sind Gefühle und Essen oft leidvoll miteinander gekoppelt, sagt Sanchez. „Immer, wenn der emotionale Hunger auftaucht, ist das ein Zeichen dafür, dass in der Vergangenheit etwas in unserer Seele nicht richtig satt geworden ist.“
Das kann schon im frühesten Kindesalter geschehen sein. Säuglinge etwa, die man oft hat schreien lassen und nur zum Füttern oder Stillen aus dem Bettchen genommen hat, erlebten die Nahrungsaufnahme als eine Befreiung von ihrer Angst. „Für diese Kinder ist das Essen das einzige, was verfügbar ist“, erklärt Sanchez. Bei jeder und jedem Betroffenen müsse man in der persönlichen Geschichte suchen, was dazu geführt hat, dass ihre Seele niemals satt wird.

Emotionaler Hunger ist vom echten Hunger einfach zu unterscheiden: Während Letzterer immer größer wird, wenn man nichts zu essen bekommt, gibt es bei Ersterem erhebliche Schwankungen. Knurrt wirklich der Magen, ist so gut wie jedes Lebensmittel recht, um den Kohldampf zu stillen. Wer hingegen ein emotionales Verlangen hat, den gelüstet es nach bestimmten Lebensmitteln.

Kampf gegen sich selbst

Maria Sanchez kennt viele Leidensgeschichten von emotionalen Esserinnen und Essern, wie etwa die einer Frau, die 60 Kilogramm abgenommen hatte und dennoch eines ihrer Seminare besuchte. „Für sie war jeder Tag ein Kampf gegen sich selbst“, sagt sie. „Dünne Dicke“ nennt Sanchez solche Menschen, zu denen sie selbst einst gehörte. „Sie können nur schlank bleiben, wenn sie sich extrem kontrollieren“, berichtet sie. Viele seien enorm diszipliniert, doch beim Essen entgleite ihnen die Kontrolle. „Sie leiden sehr darunter“, weiß sie.

Hinzu kommt die Reaktion des Umfelds: „Wenn einem Familie und Freunde sagen, man solle doch abnehmen, kann das sehr verletzend sein.“ Für Sanchez hingegen ist Essensdruck der Hinweis auf eine biografische Verwundung. „Wenn man ihn bekämpft, vergibt man die Chance, sich tiefer kennenzulernen und den schmerzvollen Anteil zu integrieren.“

Stattdessen müsse der Essensdrang vom Feind zum Verbündeten werden. Dafür müssen Betroffene lernen, sich im Moment der Esslust bewusst wahrzunehmen und herauszufinden, was sie gerade belastet – etwa Stress, Wut oder Überforderung. „Das geht nicht von heute auf morgen, sondern muss erst erlernt werden“, sagt die Therapeutin.

Wichtig sei, sich nicht zu verurteilen, sondern zu verstehen und voll und ganz anzunehmen – auch wenn man nicht perfekt ist. Hilfreich könne sein, die Empfindungen aufzuschreiben. Menschen, die Hilfe bei einem Therapeuten suchen wollen, rät Sanchez zu einer körperorientierten Therapie. „Viele müssen erst wieder lernen, sich zu spüren“, weiß sie.

Und schließlich müsse sich auch die gesellschaftliche Sicht auf das Dicksein ändern: „Jemanden dafür zu verurteilen, ist der falsche Weg. Wir sollten stattdessen anerkennen, dass hier jemand versucht, sich mit seinem Verhalten selbst zu helfen.“

Annette Liebmann

Schlagworte Essen | Emotionen

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