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Krank durch Antibiotika: Fluorchinolone in der Kritik

Von: Kristin Enge

Manch bakterielle Infektion könnte ohne Antibiotika tödlich verlaufen. Doch Ärztinnen und Ärzte müssen genau prüfen, wann es sinnvoll ist, ein Antibiotikum einzusetzen. Dabei müssen sie auch die Nebenwirkungen bedenken.

Hand eines Mannes hält eine Tablette.
© IMAGO / Zoonar II

Reserveantibiotika nur im Notfall einsetzen

Der Verbrauch von Antibiotika ist in Deutschland unverändert hoch. Das haben das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit sowie die Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie in einem gemeinsamen Bericht festgestellt. Insbesondere Hausärzte, Internisten sowie Kinder- und Jugendärzte verschreiben sie, in den meisten Fällen bei Harnwegsinfektionen und Atemwegserkrankungen. Aber auch bei Virusinfektionen werden noch zu viele Antibiotika verordnet.

Einzelne Antibiotika werden als Reserveantibiotika entwickelt. Sie sollten nur im Notfall eingesetzt werden. So wie die Wirkstoffgruppe der Fluorchinolone. Diese sind in die Kritik geraten.

Wirkstoff endet auf "floxacin"

Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdOkurz fürWissenschaftliches Institut der AOK) hat im Jahr 2019 in einer Studie festgestellt, dass Fluorchinolon-Antibiotika schwerwiegende Nebenwirkungen haben können. In Deutschland würden sie häufig verordnet, zu oft auch bei Bagatellerkrankungen. Erkennbar sind sie meist am Wirkstoffnamen, der auf „floxacin“ endet. Aber nicht immer. Deshalb ist es sinnvoll, genau auf die Inhaltsstoffe zu achten.

Fluorchinolon-bedingte Invalidität

Einer, der seit Jahren mit starken Nebenwirkungen zu kämpfen hat, ist Marco Jäger. Zwischen 2010 und 2018 haben ihm Ärzte fünfmal Antibiotika mit Fluorchinolonen wegen einer Bronchitis verschrieben. Nun ist nichts mehr, wie es war. „Ich war früher Halbmarathonläufer und Mini-Triathlet. Heute gehe ich 500 Meter zum Supermarkt und zurück und bin am Ende meiner Kräfte“, sagt er. Seit einem Jahr ist er krankgeschrieben und will mithilfe des VdK eine Erwerbsminderungsrente beantragen.

Jägers Muskeln schmerzen, und trockene Schleimhäute erschweren ihm das Atmen. Er leidet an Depressionen. Wortfindungs- und Konzentrationsstörungen machen dem Redakteur besonders zu schaffen. Hinter ihm liegt eine Odyssee von Arzt zu Arzt. Viele sagten dem 46-Jährigen, dass es übliche Alterserscheinungen seien. „Das Schlimmste war, nicht zu wissen, was es ist.“ Inzwischen hat er mithilfe des Allgemeinmediziners Dr. Stefan Pieper aus Konstanz den Auslöser gefunden: die Fluorchinolon-Antibiotika. In Deutschland gibt es keinen Namen für die Erkrankung. In den USA schon: FQAD-Syndrom. Das steht für „Fluorquinolone-Associated Disability“, auf Deutsch: Fluorchinolon-bedingte Invalidität. Die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA hat bereits im Jahr 2008 vor diesen Wirkstoffen gewarnt.

40.000 Betroffene

Pieper kennt aus seiner Praxis andere Betroffene. Doch ihre Symptome könnten unterschiedlicher nicht sein. Schmerzen, Kraftlosigkeit, Probleme mit Sehnen oder Nerven, Übelkeit, Hör-, Seh- oder Schlafstörungen gehören dazu. Und es gibt noch weitere. Das erschwert die Diagnose. Seine Erfahrungen zeigen, dass Nebenwirkungen schon Stunden nach der ersten Tablette oder erst viel später auftreten können. „Bei einem Drittel der Betroffenen bessert sich der Zustand schnell, beim zweiten Drittel nur langsam und das letzte Drittel muss meist mit vielen Einschränkungen leben.“

3,3 Millionen Menschen wurden laut WIdOkurz fürWissenschaftliches Institut der AOK im Jahr 2018 mit Fluorchinolonen behandelt. Vielen von ihnen ist nicht bewusst, welche gravierenden Nebenwirkungen diese haben können. Das WIdOkurz fürWissenschaftliches Institut der AOK schätzt auch, dass 40.000 der Behandelten an unerwünschten Effekten leiden. Von einer noch höheren Zahl geht Pieper aus.

Im April 2019 hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArMkurz fürBundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) die Fluorchinolone endlich neu bewertet und Ärztinnen und Ärzte über die Risiken informiert. Für Jäger und andere Betroffene kommt dies viel zu spät.