1. Februar 2019
BEHINDERUNG

Beim Arzt darf es keine Barrieren geben

Jeder Mensch hat das Recht auf freie Arztwahl. Für Menschen mit Behinderung gilt das allerdings mit Einschränkungen. Denn nur jede dritte Arztpraxis ist hierzulande barrierefrei. Für den Sozialverband VdK ist das ein unhaltbarer Zustand. Deshalb geht die klare Forderung an die Politik: Alle Einrichtungen und Angebote der medizinischen Versorgung müssen barrierefrei zugänglich sein.

Ein Schild, auf dem der Eingang für Rollstuhl-Fahrer ausgewiesen wird.
Behinderte Menschen müssen zum Arzt gelangen können. | © imago/CHROMORANGE

Die bundesweite VdK-Kampagne „Weg mit den Barrieren!“ zeigte, vor welchen Herausforderungen Menschen mit Behinderung stehen, wenn sie zum Arzt gehen oder sich eine neue Praxis suchen müssen. Die Bandbreite der Hindernisse reicht von einem fehlenden Aufzug für eine Praxis im dritten Stock über Türen, durch die kein Rollstuhlfahrer passt, bis hin zu Informationen, die blinde oder sehbehinderte Patienten nicht lesen und Schwerhörige oder Gehörlose nicht hören können.

Neben fehlenden barrierefreien Angeboten mangelt es an Behindertenparkplätzen vor den Praxen, leicht zugänglichen Toiletten und speziellen Untersuchungsmöbeln. Laut einer Erhebung der Stiftung Gesundheit ist nicht einmal in zehn Prozent der Arztpraxen eine derartige Ausstattung vorzufinden. Nur gut jede fünfte allgemeinmedizinische Praxis ist für Rollstuhlfahrer geeignet. Rund 22 Prozent dieser Praxen haben einen für Rollstuhlfahrer geeigneten Zugang oder Aufzug.

VdK-Präsidentin Verena Bentele kennt diese Situationen. „Ich sollte auch schon Formulare beim Arzt unterschreiben, die ich nicht lesen kann“, so Bentele, die von Geburt an blind ist. Für sie sind hier vor allem die Kassenärztlichen Vereinigungen in der Verantwortung, die dafür sorgen müssen, dass Arztpraxen barrierefrei sind und Menschen mit Behinderung medizinisch versorgt werden. Während es zumindest für den Neubau von Arztpraxen in allen Landesbauordnungen rechtliche Vorgaben zur Barrierefreiheit gibt, existiert keine Handhabe für den Großteil der Praxen im Bestand. So würden ältere Räume aus Kostengründen nicht barrierefrei umgebaut.

Gesetzgeber muss Vorgaben für Barrierefreiheit formulieren

„Hier muss gründlich umgedacht werden“, fordert die VdK-Präsidentin. Ein eigenes Programm der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) aufzulegen, könne nur ein Baustein in diesem Prozess sein. „Das System wird von den Versicherten aus Beiträgen bezahlt, und die Leistungserbringer verdienen damit Geld. Sie dürfen also auch nicht aus der Verantwortung entlassen werden“, so Bentele. Hier müsse der Gesetzgeber endlich klare verpflichtende Vorgaben formulieren und verbindlich vorgeben. Bei neuen Praxiszulassungen müsse das Kriterium Barrierefreiheit entscheidend sein.

Mit dieser Forderung greift der VdK genau das auf, was vielen Menschen mit Behinderung unter den Nägeln brennt. Hanna Seidel, VdK-Mitglied aus Rheinland-Pfalz, ist seit ihrem 29. Lebensjahr auf den Rollstuhl angewiesen. „Ich musste mir komplett neue Ärzte suchen. Denn die Ärzte, bei denen ich bis dahin in Behandlung war, hatten keine barrierefreien Praxen“, so die 33-Jährige. Sie habe schmerzlich erfahren, dass für sie nicht nur die freie Arztwahl unmöglich ist, sondern sie im Einzelfall auch gänzlich auf medizinische Versorgung verzichten muss. „Als ich schwanger war, konnte ich kein einziges Mal zur Frauen­ärztin, weil ich keine zugängliche Praxis in meinem Wohnort fand“, berichtet Hanna Seidel.

Kaum Kinderärzte mit barrierefreier Praxis

Mittlerweile ist sie Mutter zweier Kinder und steht vor einem neuen Problem: Sie findet keinen Kinderarzt mit barrierefreier Praxis in der Nähe oder einen Arzt, der Hausbesuche anbietet. „Mir ist es nicht möglich, meine Kinder zum Arzt zu begleiten“, ärgert sich die junge Mutter. Es könne doch nicht sein, dass sie als Mutter von der Gesundheitsversorgung ihrer Kinder ausgeschlossen wird. Das empfindet sie als diskriminierend und entwürdigend.

Bereits im Jahr 2009 trat die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft. Sie formuliert in Artikel 25 „das Recht von Menschen mit Behinderungen auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit ohne Diskriminierung aufgrund von Behinderung“. In der Realität sieht es anders aus. Das zeigen viele Erfahrungsberichte Betroffener wie der von Hanna Seidel. „Bitte kämpfen Sie weiter, dass sich dies endlich verbessert“, bittet Hanna Seidel den VdK. Barrierefreiheit nutze schließlich allen Menschen.

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Schlagworte barrierefrei | Barrierefreiheit | Arzt | Gesundheitswesen | Behinderte | Dienstleistungen

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