BEHINDERUNG

Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen

Ab einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 gilt man als schwerbehindert. Unter bestimmten Umständen können aber auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit einem Grad der Behinderung unter 50 schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden. Was bedeutet die Gleichstellung? Wir haben die wichtigsten Fragen mit einer VdK-Expertin geklärt:

Symbolfoto: Eine Frau arbeitet an einem Notebook, neben ihr ein Arbeitsbuch und eine Tasse Tee
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit einem Grad der Behinderung von 30 oder 40 können unter Umständen schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sein. | © pixabay.de

Was bedeutet "Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen"?

Dorothee Czennia, Referentin für Behinderung beim Sozialverband VdK Deutschland: Dazu muss man zunächst einmal wissen, dass man den Schwerbehindertenstatus bekommen kann, wenn ein Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50 festgestellt wurde und der Wohnsitz, Aufenthaltsort oder Arbeitsplatz rechtmäßig im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuchs Neun (SGB IX) ist.

Unter bestimmten Voraussetzungen können auch Personen den schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden, bei denen "nur" ein Grad der Behinderung von 30 oder 40 festgestellt wurde. Die Rechtsgrundlage für die Gleichstellung ist § 2 Abs. 3 SGB IX in Verbindung mit § 151 Absatz 2 und 3 SGB IX.

Wo kann man einen Antrag auf Gleichstellung stellen?

Czennia: Betroffene, bei denen die Voraussetzungen zutreffen, können einen Antrag bei ihrer Arbeitsagentur am Wohnort stellen. Das kann mündlich, telefonisch oder schriftlich geschehen. Die Arbeitsagentur schickt den Antragstellern ein Formular zum Ausfüllen zu.

Auch der Arbeitgeber, der Betriebs- oder Personalrat und die Schwerbehindertenvertretung bekommen einen Fragebogen zugesandt und können Stellung nehmen. Dann prüft die Arbeitsagentur, ob im jeweiligen Fall die Voraussetzungen für eine Gleichstellung vorliegen und eine Gleichstellung ausgesprochen werden kann.

Welche Voraussetzungen müssen für eine Gleichstellung erfüllt sein?

Czennia: Die gesetzliche Regelung besagt, dass eine Gleichstellung vorgenommen werden soll, wenn jemand infolge seiner Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen oder behalten kann.

Es müssen aufgrund der entweder Wettbewerbsnachteile auf dem Arbeitsmarkt bestehen oder aber der Arbeitsplatz ist behinderungsbedingt gefährdet. Die Betonung liegt dabei auf "behinderungsbedingt", das heißt die Behinderung muss wesentliche Ursache für den Wettbewerbsnachteil oder die Gefährdung des Arbeitsverhältnisses sein. Überdies muss der Arbeitsplatz "geeignet" sein. Das bedeutet, dass sich durch die Tätigkeit der Gesundheitszustand nicht verschlechtern darf.

Ein Beispiel: Man wird voraussichtlich einen Maurer mit schweren Wirbelsäulenproblemen nicht auf dem Arbeitplatz "Maurer" gleichstellen, denn hier droht eine Verschlimmerung der Krankheit. Wird der Mann aber im Betrieb umgesetzt und künftig zum Beispiel als Lagerverwalter eingesetzt, dann könnte er auf dem neuen und dann gesundheitlich geeigneten Arbeitsplatz durchaus gleichgestellt werden.

Was bewirkt die Gleichstellung?

Czennia: Die gleichgestellten behinderten Menschen haben den besonderen Kündigungsschutz wie schwerbehinderte Menschen. Überdies gibt die Gleichstellung Arbeitgebern Beschäftigungsanreize, denn Gleichgestellte werden bei den Pflichtplätzen im Zusammenhang mit der Schwerbehindertenquote mitgezählt und somit spart ein Arbeitgeber Ausgleichsabgabe.

Es gibt zudem zusätzliche Fördermöglichkeiten über die Integrationsämter oder örtlichen Fürsorgestellen. Gleichgestellte behinderte Menschen haben im Betrieb neben dem Betriebs- oder Personalrat mit der Schwerbehindertenvertretung eine zusätzliche Interessenvertretung.

Haben gleichgestellte behinderte Menschen die gleichen Nachteilsausgleiche wie schwerbehinderte Menschen?

Czennia: Nein, nicht alle Nachteilsausgleiche gelten auch für gleichgestellte behinderte Menschen. Sie haben beispielsweise keinen Anspruch auf Zusatzurlaub, wie ihn schwerbehinderte Menschen haben. Auch haben gleichstellte Menschen keinen Anspruch auf die Altersrente für schwerbehinderte Menschen, die ja zwei Jahre früher als die Regelaltersrente abschlagsfrei in Anspruch genommen werden kann.

Muss man seinen Arbeitgeber über den Antrag auf Gleichstellung informieren?

Czennia: Nein. Man muss den Arbeitgeber nicht darüber informieren. Er erfährt allerdings von der Antragstellung, weil die Arbeitsagentur ihm in der Regel einen Fragebogen zum Ausfüllen zuschickt.

Kann der Arbeitgeber etwas gegen die Gleichstellung unternehmen?

Czennia: Nein. Der Arbeitgeber hat gegen die Gleichstellungsentscheidung keine Anfechtungsmöglichkeit. Er ist nur "mittelbar betroffen" und die Gleichstellung greift nicht direkt in seine Rechte ein. Das hat das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 19. Dezember 2001 eingehend dargelegt (Aktenzeichen: B 11 AL 57/01 R).

Gleichstellung: Was ist mit Beamten?

Czennia: Häufig lehnen die Arbeitsagenturen Gleichstellungsanträge von Beamten ab, da diese als "unkündbar" gelten. Grundsätzlich muss aber auch in diesen Fällen eine sorgsame Prüfung erfolgen, denn auch bei Beamten können die notwendigen Voraussetzungen für eine Gleichstellung vorliegen, zum Beispiel wenn behinderungsbedingt eine Versetzung in den Ruhestand droht.

Kann man auch gleichgestellt werden, wenn man nicht berufstätig ist?

Czennia: Ja. Wenn jemand arbeitslos ist, einen GdB von 30 oder 40 hat und konkrete Anhaltspunkte vorliegen, dass eine Gleichstellung notwendig ist, um einen Arbeitsplatz zu bekommen, muss die Arbeitsagentur gleichstellen. Es muss aber kein konkretes Arbeitsplatzangebot vorliegen. Manchmal wird die Gleichstellung von den Arbeitsvermittler/innen auch aktiv als Vermittlungshilfe genutzt, denn durch die Gleichstellung werden besondere Förderleistungen eröffnet.

Hat man steuerliche Vorteile, wenn man gleichgestellt ist?

Czennia: Ja und nein. Da bei Gleichgestellten bereits ein GdB von 30 oder 40 festgestellt worden ist, wird unter bestimmten Voraussetzungen ein zusätzlicher Pauschbetrag in der Einkommens- und Lohnsteuer gewährt. Das hat dann aber nichts mit der Gleichstellung, sondern allein mit der Behinderung und dem GdB zu tun.

Möglich ist der Pauschbetrag bei einer Behinderung, die die körperliche Beweglichkeit dauernd beeinträchtigt, zum Beispiel auch als Folge innerer Krankheiten oder einer Seh-/Hörbehinderung, oder bei einer Behinderung, die durch eine typische Berufskrankheit hervorgerufen wird oder zum Bezug einer Rente berechtigt.

Arbeitssuchende berichten, dass ihr Antrag auf Gleichstellung abgelehnt wurde und sie lediglich eine "Zusicherung auf Gleichstellung" erhalten haben. Was hat es mit dieser "Zusicherung" auf sich?

Czennia: Im Jahr 2002 führten die Arbeitsagenturen die "Zusicherung der Gleichstellung" ein. Gedacht war das Instrument als Erleichterung für arbeitssuchende Antragsteller/innen, damit diese im Bewerbungsverfahren flexibel auf die damals noch zulässige (tätigkeitsneutrale) Frage des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderteneigenschaft reagieren konnten.

In der Praxis hat sich das Instrument nach Einschätzung des VdK nach allerdings nicht bewährt. Mittlerweile wird nach überwiegender Rechtsmeinung die arbeitgeberseitige Frage nach einer Schwerbehinderteneigenschaft oder Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen (statusbezogen) als unzulässig und Diskriminierung angesehen. Damit entfällt der Vorteil einer Zusicherung.

Nach der fachlichen Weisung der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg ist bei Vorliegen der Voraussetzungen seit Mai 2017 keine Zusicherung mehr, sondern grundsätzlich unmittelbar die Gleichstellung zu erteilen. Bestehende Zusicherungen behalten ihre Wirkung.

Lesen Sie mehr:

BEHINDERUNG
Ein Rollstuhlfahrer der für behinderte Menschen Arbeitnehmer stehen soll.
Laut BAG muss bei der Kündigung Schwerbehinderter die Behindertenvertretung informiert werden, aber nicht sofort. Was gilt generell bei Kündigungen & Kündigungsgschutz von behinderten Beschäftigten? | weiter
14.12.2018 | sko
BEHINDERUNG
Symbolfoto: Fassage der Agentur für Arbeit, davor ein Schild, das einen Behindertenparkplatz ausweist
Menschen mit Behinderung haben es oft schwer, eine Arbeitsstelle zu finden. Doch wie sollte man eigentlich mit einer Beeinträchtigung oder Behinderung im Bewerbungsschreiben und Vorstellungsgespräch umgehen? | weiter
28.11.2016 | ikl
ARTIKEL
Symbolfoto: Junge Frau im Rollstuhl bewegt sich durch die Stadt
Was bedeutet eigentlich der "Grad der Behinderung" (GdB) und wie wird er ermittelt? Ab welchem Grad der Behinderung gilt man als schwerbehindert? | weiter
| cl


VdK-TV: Rund um den Schwerbehindertenausweis

Der VdK informiert über die wichtigsten Fragen zum Schwerbehindertenausweis und klärt: Was ist ein GdB? Wie lange ist ein Schwerbehindertenausweis gültig und was bringt er überhaupt? Hinweis: Die jeweils aktuell gültigen Preise für die Wertmarke im ÖPNV finden Sie hier: https://www.vdk.de/permalink/73592


VdK-TV: Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen im Arbeitsleben

Gleichstellung mal anders: Wer von Gleichstellung spricht, meint in der Regel die Chancengleichheit von Menschen mit und ohne Behinderung in der Gesellschaft. In diesem Beitrag geht es aber um die Gleichstellung von behinderten Menschen am Arbeitsplatz.

cl

Schlagworte Gleichstellung | Schwerbehinderung | Kündigungsschutz | GdB | Grad der Behinderung | Nachteilsausgleich | Arbeitsplatz | Sonderurlaub

  • Sozialrecht
    Ob Rente, Gesundheit und Pflege, Teilhabe und Behinderung, Leben im Alter oder soziale Sicherung: Der Sozialverband VdK ist für seine Mitglieder ein kompetenter Ratgeber und Helfer in allen sozialrechtlichen Belangen. | weiter
  • Rente
    Der VdK will die Rente zukunftssicher machen und Altersarmut verhindern. Lesen Sie hier alles rund um die Themen Rente, Alterssicherung und unsere rentenpolitischen Forderungen. | weiter
  • Soziale Gerechtigkeit
    Rund 15,3 Millionen Menschen sind in Deutschland von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht - das ist fast jeder Fünfte! Der Sozialverband VdK kämpft für soziale Gerechtigkeit und setzt sich gegen die fortschreitende soziale Spaltung ein. | weiter
  • Behinderung
    Der VdK setzt sich für gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit und ohne Behinderung in allen Lebensbereichen ein. Lesen Sie mehr zu Inklusion, Behindertenpolitik und Barrierefreiheit. | weiter
  • Pflege
    Wir finden: Die Situation Pflegebedürftiger und Pflegender muss sich dringend verbessern. Lesen Sie hier mehr zum Thema Pflegepolitik, pflegende Angehörige, häusliche Pflege und Pflegeleistungen. | weiter
  • Gesundheit
    Wir brauchen ein Gesundheitssystem, das an den Bedarfen der Menschen ausgerichtet ist. Lesen Sie mehr zu Gesundheitspolitik, Prävention, Gesundheitsleistungen, Hilfsmitteln und Versorgung. | weiter
  • Frauen
    Frauen erhalten 49 Prozent weniger Einkommen und 53 Prozent weniger Rente als Männer. Der VdK setzt sich für mehr Gerechtigkeit für Frauen ein, kämpft für Gleichberechtigung und Gleichstellung. | weiter
  • Familie
    Wir brauchen Verlässlichkeit für Familien. Der VdK setzt sich unter anderem für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein, für familiengerechte Arbeitszeiten, den Ausbau der Kinderbetreuung und für ein Rückkehrrecht in Vollzeit. | weiter
  • Corona
    Aktuelle Maßnahmen, barrierefreie Texte und Videos sowie unsere Pressemitteilungen zum Thema. | weiter
  • Ukraine-Hilfe
    Auf dieser Seite haben wir Basis-Informationen für ukrainische Geflüchtete und Helfer zusammengestellt. Zu allen Informationen gibt es weiterführende Links. | weiter
    09.01.2023

Rat und Tat | 13 Fragen zum GdB

Was ist der Grad der #Behinderung, kurz #GdB? Was bedeutet #Schwerbehinderung? Kann man auch mit einer psychischen Erkrankung einen GdB bekommen? Wie wird der Grad der Behinderung ermittelt? Unser Rechtsexperte Oliver Sonntag erklärt euch die 13 wichtigsten Fragen rund um den GdB!

Grad der Behinderung abgelehnt?

Wir sagen Ihnen, was Ihnen laut Sozialrecht zusteht und kämpfen für Ihr Recht. Bundesweit. Jetzt Beratung vereinbaren!

Der VdK
Eine Frau gibt einer anderen Frau zur Begrüßung die Hand. Sie stehen am Eingang eines Gebäudes mit der Aufschrift "VdK Service Point"
Finden Sie mit der Beratungsstellen-Suche die nächste Rechtsberatungsstelle des Sozialverbands VdK - auch in Ihrer Nähe!
Der VdK
Symbolfoto: Zwei Frauen und ein Mann ziehen gemeinsam an einem Seil, an dessen Ende auch jemand zieht.
Wir machen uns stark für soziale Gerechtigkeit. Wir vertreten Ihre sozialpolitischen Interessen und kämpfen für Ihre Rechte. Unsere Stärke: Unabhängigkeit und Neutralität.

Presse
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Newsletter mit Informationen zu Sozialpolitik und Sozialrecht sowie aktuellen Infos rund um den Sozialverband VdK.

Datenschutzeinstellungen

Wir setzen auf unserer Website Cookies ein. Einige von ihnen sind notwendig, während andere uns helfen, unser Onlineangebot zu verbessern.

  • Notwendig
  • Externe Medien
Erweitert

Hier finden Sie eine Übersicht über alle verwendeten Cookies in externen Medien. Sie können Ihre Zustimmung für bestimmte Cookies auswählen.