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Zum ersten Mal ist in der Bundesrepublik eine Regierung nur mit einer Koalition von drei Parteien möglich. Wie es dazu kam, was das für das Land bedeutet, und in welchem Zustand sich die Demokratie befindet, darüber hat VdK-Präsidentin Verena Bentele mit dem WDR-Wahlexperten und -Programmdirektor Jörg Schönenborn im www.vdk.de/podcast gesprochen. Einen Auszug aus dem Gespräch, das am 8. Oktober geführt wurde, lesen Sie hier.
Verena Bentele: Herr Schönenborn, eine Prognose bitte: Wann haben wir eine neue Bundesregierung?
Jörg Schönenborn: Jetzt, Anfang Oktober, glaube ich, dass das noch vor Weihnachten der Fall sein wird.
Bei den vielen Themen, die einer Lösung bedürfen, wäre das ja auch wünschenswert.
Es wäre ein Zeichen für das Funktionieren unserer Demokratie.Diese Wahl umwehte beinahe ein Hauch von Geschichte, weil Angela Merkel die erste Person an der Spitze einer bundesdeutschen Regierung war, die nicht wieder kandidiert hat. Aber das eigentlich Historische ist, dass es erst zum fünften Mal in siebzig Jahren einen Wechsel der Parteifarbe im Kanzleramt geben könnte. Ein seltenes Ereignis in der Republik. Viele hatten fast das Gefühl, es gibt nur noch eine Partei, die das strukturell überhaupt kann: die CDU.
Bei den Jüngeren konnten vor allem bei Erstwählerinnen und Erstwählern gerade die Grünen und die FDP mehr punkten. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Ja. Überraschend daran sind nicht die Grünen, sondern eher die FDP. Wir haben auf Basis unserer Umfragen viele Indizien dafür, dass das Thema Freiheit eine ganz große Rolle gespielt hat. Die Generation der 20-Jährigen hat durch die Pandemie Einschränkungen in ihrem Alltag erfahren, die ihnen mehr wehtun als den Älteren, die eine Familie haben und arbeiten. Die FDP hat es sehr geschickt verstanden, Corona nicht zu leugnen, aber immer wieder auch die Freiheitsrechte anzumahnen. Das ist offenbar gut angekommen. Außerdem spielt eine Rolle, dass sie auf digitale Themen gesetzt hat.
Ich dagegen habe vor allem das Thema Sozialpolitik im Wahlkampf vermisst, auch bei den Triellen hätte es mehr Raum einnehmen dürfen. Ist das Thema so schwer zu vermitteln?
Die allermeisten Wählerinnen und Wähler sind nach Umfragen mit ihrer eigenen wirtschaftlichen Situation zufrieden. Und Parteien wiederum haben immer im Blick: Mit welchen Themen spricht man eine große Mehrheit der Menschen an? Viele soziale Missstände betreffen im Vergleich häufig eher kleinere Gruppen. Alleinerziehenden zum Beispiel, die in meinen Augen sehr unterstützungswürdig sind, fehlt in Relation zur gesamten Wählerschaft am Ende das Stimmengewicht. Klima-Fragen betreffen uns alle. Ob es der Wirtschaft gut geht, betrifft am Ende auch alle. Wenn Sie mich fragen, mit welchen sozialpolitischen Versprechen Olaf Scholz am ehesten Vertrauen erweckt hat, dann mit dem Versprechen, dass die Rente sicher bleibt. Alle Versprechen, die auf das Halten des gewonnenen Wohlstands abzielen, sind bei Wählerinnen und Wählern attraktiver als Verbesserungen für einige.
Haben wir eigentlich noch Volksparteien? Oder ist die politische Landschaft einfach bunter geworden, und das bleibt jetzt zukünftig so?
Unser Parteiensystem wird in jedem Fall in Bewegung bleiben. Ich finde es ein beruhigendes Zeichen, dass wir nun in einer Situation sind, in der zwei mittelgroße Parteien faktisch in der Lage wären, Bündnisse zu bilden. Denn dieser Parteiname „Alternative für Deutschland“ war ja mal ein Reflex auf die Behauptung, politische Entwicklungen seien alternativlos. Viele, die die demokratische Mitte kritisch sehen, haben besonders kritisch gesehen, dass offenbar egal wann man wählt, die CDU immer die Regierungschefin stellt. Wenn wir künftig drei oder mit der CSU vier Parteien für eine Regierung brauchen, dann setzt das ein hohes Maß an Disziplin und Willen voraus. Im Moment sehe ich den. Ob es ihn in vier Jahren auch so gibt, ist nicht absehbar.
Eine Gefahr für die Demokratie scheint dagegen zu sein, dass die Hälfte der Deutschen den Medien nicht mehr vertraut, wie eine Studie der Robert-Bosch-Stiftung herausfand. Das hat mich geschockt. Wie sehen Sie das?
Das große Medienmisstrauen richtet sich vor allem auf soziale Netzwerke. Wird zum Beispiel nach der Glaubwürdigkeit von öffentlich-rechtlichen Internetauftritten gefragt, nach Marken wie tagesschau.de, dann gibt es dort bei jungen Leuten auch exzellente Werte und gleichzeitig größtes Misstrauen gegenüber anderen Quellen bei sozialen Netzwerken. Das muss man sehr differenziert sehen.
Es gibt aber auch Kritik, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk die Vielfalt der Gesellschaft zu wenig abbildet: zu wenig Osten, zu wenig konservative Positionen.
Der Kritik stellen wir uns. Ich glaube, dass wir als ARD den Osten durch unsere Kolleginnen und Kollegen dort gut abbilden. Aber es gibt ein Phänomen, das wir auch im WDR viel diskutieren: Journalistinnen und Journalisten decken für sich genommen nicht die Meinungsbreite der gesamten Gesellschaft ab. Deshalb besteht die Gefahr, dass wir die Werte unserer eigenen Milieus als allgemein setzen und auf andere Haltungen weniger deutlich schauen. Es ist gut, dass es die Kritik gibt, weil sie uns sensibilisiert.
Podcast in voller Länge hören:
Zum ersten Mal ist in der Bundesrepublik eine Regierung mit einer Koalition von drei Parteien möglich. Was bedeutet das für Deutschland und in welchem Zustand befindet sich die Demokratie? Darüber hat VdK-Präsidentin Verena Bentele mit dem WDR-Wahlexperten und -Programmdirektor Jörg Schönenborn im Podcast „In guter Gesellschaft“ gesprochen.
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Schlagworte Podcast | Jörg Schönenborn | Bundestagswahl | Demokratie | Parteien | Bentele
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Überregionale Artikel der VdK-Zeitung, Doppelausgabe Juli / August 2022, im Format rtf |
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