
Psychosoziale Notfallversorgung: professionell organisiert, von Ehrenamtlichen getragen
Die Psychosoziale Notfallversorgung steht Menschen in psychisch belastenden Situationen bei und ist flächendeckend verfügbar. Doch manchmal sind die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer auch selbst emotional überfordert.

Erste Hilfe für die Psyche
Bei einer Naturkatastrophe oder einem schweren Verkehrsunfall sind viele verschiedene Rettungskräfte gefordert. Zunächst geht es darum, das Leben und die Externer Link:Gesundheit Betroffener zu erhalten. Doch bei schlimmen Ereignissen mit Todesfällen und schweren Verletzungen ruft die Einsatzleitung auch speziell ausgebildete Kriseninterventionsteams (KIT), erklärt Grit Burmeister-Brandt, Referentin für Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) beim Deutschen Roten Kreuz (DRKkurz fürDeutsches Rotes Kreuz).
Sie schildert, in welchen Situationen für beteiligte Personen typischerweise ein KIT hinzugezogen wird: Wenn jemand bei einer Reanimation eines Angehörigen dabei war, die erfolglos verlief. Wenn jemand Augenzeuge eines Verkehrsunfalls oder Bahnunglücks mit vielen Verletzten wurde. Oder während jemandem gerade eine Todesnachricht durch die Polizei überbracht wird.
Die Erste Hilfe für die Psyche ist ein ehrenamtliches Angebot. KITs werden von verschiedenen Organisationen bereitgestellt. Wer in der PSNV arbeitet, hat eine standardisierte Fachausbildung absolviert und ist mit einheitlichen Abläufen vertraut. „Das erleichtert die Zusammenarbeit mit Behörden und erhöht die Qualität der Akuthilfe“
, sagt die Notfallpsychologin
Sicherheit, Orientierung und Stabilisierung
Jeder Einsatz ist anders. Die wichtigste Aufgabe vor Ort: „Es geht immer um das erste Auffangen. Denn wir wissen, dass jeder Mensch gewisse Ressourcen hat, um eine Krise selbst zu bewältigen“
, erklärt Burmeister-Brandt. Die Helferteams sollen Sicherheit, Orientierung und Stabilisierung vermitteln. Sie loten aus, ob das soziale Umfeld Betroffene emotional entlasten kann oder ob weiterer Unterstützungsbedarf besteht. Sie verweisen auf Hilfsangebote wie die Telefonseelsorge (Kontaktdaten ganz unten auf dieser Seite). Dann zieht sich das KIT wieder zurück. Längerfristige Einsätze sind die Ausnahme.
Auch wenn Katastrophen allgegenwärtig erscheinen, sind Extremsituationen, in denen KITs zum Einsatz kommen, Ausnahmen. Dennoch sind viele Menschen verunsichert. Ob Naturgewalten, Anschläge oder gewaltsame Konflikte – wir werden täglich mit negativer Berichterstattung überflutet. „Wir fühlen uns davon dauergestresst“
, sagt Dr. Isabella Helmreich, Leitung des Wissenstransfers am Externer Link:Leibniz-Institut für Resilienzforschung in Mainz. Sie erklärt, warum es so schwer ist, sich dem zu entziehen: „Das menschliche Gehirn ist darauf trainiert, auf negative Reize besonders zu reagieren. Das hat evolutionsbiologische Ursachen, weil wir früher immer nach Gefahren Ausschau halten mussten, um zu überleben.“
Manche Menschen neigen dazu, sich angesichts der Krisen ins Schneckenhaus zurückzuziehen.
Helmreich schlägt eine andere Strategie vor: „den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken, also in den Austausch mit anderen zu gehen. Wer sich etwa ehrenamtlich engagiert, kann aktiv etwas bewegen und Dinge verändern.“

Offen über mentale Belastungen sprechen
Auch Tobias Roming bricht eine Lanze für das Externer Link:Ehrenamt generell: „Die Arbeit in einer Hilfsorganisation ist sinnvoll investierte Zeit und macht viel Spaß.“
Er arbeitet seit seinem 14. Lebensjahr freiwillig für das THW. Damals wurde die THW-Jugend in seinem Heimatort in Baden-Württemberg gegründet. Seit 1999 kümmert er sich als psychosoziale Fachkraft um die Akuthilfe für Einsatzkräfte.
Seine Erfahrung: Man kann noch so professionell sein, manche Einsätze bringen das emotionale Gleichgewicht ins Wanken. „Erinnerungen an Geräusche oder Gerüche während des Unglücks oder der Gedanke an den Kinderschuh auf der Straße nach einem Verkehrsunfall – so etwas kann auch eine Einsatzkraft wieder in das Erlebte zurückwerfen. Dann läuft die ganze Stresskaskade von Neuem ab“
, erklärt Roming. Dann ist es wichtig, wenn die Helfenden über das, was sie erlebt haben, sprechen. Der Experte ist froh, dass es heute viel selbstverständlicher als noch vor 20 Jahren ist, dass Einsatzkräfte offen über mentale Belastungen reden.
Die Einsatznachsorge wird allen Helfenden angeboten. Innerhalb von 72 Stunden nach einem Einsatz findet ein strukturiertes Gruppengespräch statt. Roming erlebt oft, dass es länger dauern kann, bis Betroffenen klar wird, dass sie aufgrund eines Einsatzes psychische Probleme haben. Deshalb werde genau dokumentiert, wer bei welchem Einsatz dabei war. „Das muss ich auch nach fünf Jahren noch zurückverfolgen können“
, sagt er.
Ohne das Ehrenamt geht es nicht
Der THW-Mitarbeiter lobt – ebenso wie Kollegin Burmeister-Brandt vom DRKkurz fürDeutsches Rotes Kreuz – die genormten Grundausbildungen: „Ein Helfer in Flensburg lernt nichts anderes als in München. Treffe ich eine Einheit aus Rheinland-Pfalz, weiß ich genau, was die können.“
Roming outet sich gerne als großer Freund des Sozialstaats. Allerdings versteht er die Kritik, dass zu viele Aufgaben ans Ehrenamt delegiert werden. „Unser Zivil- und Katastrophenschutzwesen und auch das Löschwesen würden ohne ehrenamtliches Engagement nicht funktionieren. Doch auf Dauer lässt sich das nicht ehrenamtlich lösen. Denn wir können nicht rund um die Uhr Bereitschaftsdienst haben“
, stellt Roming klar.
Sie brauchen Hilfe?
Das bundesweite Angebot der Telefonseelsorge unterstützt in schwierigen Lebenslagen:
Telefon: 08 00 1 11 01 11 oder 116 123
Internet: Externer Link:www.telefonseelsorge.de