Neuer Alltag nach der Flucht
Studie: Jugendliche, die aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet sind, bekommen gute Starthilfe
Studie des Deutschen Jugendinstituts
Mehr als eine Million Ukrainerinnen und Ukrainer sind seit Februar 2022 vor dem russischen Angriffskrieg nach Deutschland geflüchtet. Über ein Drittel davon sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. „Das ist eine beachtliche Gruppe, deren Perspektive gehört werden sollte“
, sagt Sophia Chabursky. Sie hat beim Deutschen Jugendinstitut (DJI) eine Studie zu diesem Thema durchgeführt. Wie erging es den Neuankömmlingen?
Das DJI hat 25 Kinder und Jugendliche zwischen zwölf und 18 Jahren, die innerhalb der ersten Woche oder des ersten Monats nach Kriegsbeginn in der Ukraine in München untergekommen sind, befragt. Die Minderjährigen waren überwiegend gemeinsam mit ihren Müttern oder anderen Verwandten aus ihrer Heimat geflohen. Die Interviews wurden sechs Monate nach ihrer Ankunft durchgeführt.
Gute Integration ins Schulsystem
Sophia Chabursky hat die Kinder und Jugendlichen für die Studie selbst befragt – und zwar in ukrainischer Sprache, was ihrer Ansicht nach eine Atmosphäre auf Augenhöhe geschaffen hat. Es gab sehr viel Redebedarf: Im Durchschnitt haben die Interviews eine Stunde gedauert.
Laut DJI-Studie ist es größtenteils gut gelungen, die Jugendlichen in das hiesige Schulsystem zu integrieren. So haben viele Schulen schnell auf die Situation reagiert und sogenannte Brückenklassen aufgebaut. Die geflüchteten Schülerinnen und Schüler wurden dort durch eine Lehrkraft, die Ukrainisch oder Russisch spricht, unterrichtet. „Den engagierten ukrainischen Lehrkräften ist zu verdanken, dass sich die Kinder aufgefangen gefühlt haben“
, betont die Forscherin. Sie lobt aber auch jene Schulen, die über den Unterricht hinaus etwas für die Integration geleistet haben. Beispielsweise, indem die Schulleitung die ukrainischen Jugendlichen den Mitschülerinnen und -schülern vorstellte, durch das Haus führte oder gemeinsame Frühstücke organisierte.
Schule als Ort des sozialen Austauschs
Chabursky sieht eine große Chance, Bildungseinrichtungen neu zu denken: „Schule hat nicht nur einen Lehrauftrag. Sie kann zu einem Ort des sozialen Austauschs und der Integration werden. Wenn Geflüchtete hier eingebunden werden, profitiert die gesamte Gesellschaft“
, ist sie überzeugt.
Trotz der guten Startbedingungen war es für die jungen Menschen eine Herausforderung, sich nach ihrer Ankunft in neuer Umgebung mit fremder Sprache zurechtzufinden. Sie haben soziale Beziehungen in der Heimat aufrechterhalten und gleichzeitig neue aufgebaut.
Eine weitere Erkenntnis der Studie war, dass Sozialleistungen für die geflüchteten Kinder und Jugendlichen enorm wichtig waren. „Die jungen Menschen möchten studieren und arbeiten. Voraussetzung dafür sind bezahlbare Wohnungen mit einem Zimmer, in dem sie in Ruhe lernen können“
, argumentiert Chabursky. „Sozialleistungen schaffen also Rahmenbedingungen für ein gesundes Aufwachsen mit gleichen Bildungschancen“
, begründet die Wissenschaftlerin. Nicht zuletzt brauchen auch die geflüchteten Mütter für den Übergang finanzielle Unterstützung. „Sie haben in der Ukraine gearbeitet. Hier musste herausgefunden werden, was sie mit ihren Bildungsabschlüssen in Deutschland anfangen können“
, erklärt sie.
Fluchterlebnis verbindet
Im Fokus stand auch die psychische Gesundheit. „Die Kriegserlebnisse waren zum Zeitpunkt der Befragung präsent“
, sagt die Leiterin der Interviewstudie am DJI. So haben viele Jugendliche erzählt, dass sie mit Herzklopfen reagierten, wenn sie lautes Türenknallen gehört oder ein Flugzeug am Himmel gesehen haben. Es wurde deutlich, dass die Familie sehr wichtig ist, um das Trauma zu verarbeiten. „Die Flucht verbindet, und man kann sich gegenseitig Trost spenden. Anstatt sich also von den Eltern abzulösen, wie es ja für das Jugendalter typisch ist, wurde die Bindung zur Mutter enger“
, beobachtet Sophia Chabursky. Dennoch sollten weiterhin Informationen zu psychologischen Hilfsangeboten und mehr Therapieplätze bereitgestellt werden, fordert sie.