
Hoffnung für Contergan-Geschädigte
Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts bringt Hoffnung für Contergan-Betroffene: Die Conterganstiftung hat jahrelang rechtswidrig entschieden. Nun müssen viele Fälle neu geprüft werden – Betroffene können auf Anerkennung und Rente hoffen.

Nur 123 Fälle von rund 1000 positiv beschieden
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat entschieden, dass die Conterganstiftung bei der Bearbeitung von Anträgen gegen gesetzliche Vorgaben verstoßen hat (Externer Link:Aktenzeichen 5 C 2.24). Das könnte dazu führen, dass sie in vielen Fällen neu prüfen muss, ob Antragstellende einen Anspruch auf eine Conterganrente haben.
Die Conterganstiftung ist eine öffentlich-rechtliche Stiftung des Bundes, die über die Anerkennung von Conterganschäden entscheidet. In den vergangenen Jahren hat sie die meisten Anträge abgelehnt. Von rund 1000 seit dem Jahr 2009 gestellten Anträgen wurden nur 123 positiv beschieden. Beobachter kritisieren, dass die Entscheidungsfindung der Stiftung wenig transparent und die Beweislast für die Anerkennung einer Conterganschädigung hoch sind.
Conterganstiftung muss ihre Arbeit umstellen
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat am 9. Juli 2025 entschieden, dass die Stiftung ihre Arbeit umstellen muss. Das Gericht hatte im Fall des Klägers Thomas K. geurteilt, dass bei der Ablehnung seines Antrags gesetzliche Vorschriften missachtet wurden.
Das Urteil verlangt, dass alle 21 Sachverständigen der medizinischen Kommission der Stiftung als Gremium an der Entscheidung über einen Antrag beteiligt werden müssen. Das sei dem Gericht zufolge sichergestellt, wenn die Mitglieder die Argumente aller übrigen Mitglieder kennen, sich austauschen können und sich ihre Entscheidung somit als Ergebnis des in der Kommission gebündelten Sachverstands darstellt. Bei der Ablehnung des Antrags von Thomas K. hatte der Vorsitzende der Kommission zuvor nur die Stellungnahme von acht Sachverständigen nacheinander eingeholt.
Rechtswidrige Verfahren bei vielen Betroffenen
Anwältin Karin Buder, die Thomas K. vor dem Bundesverwaltungsgericht vertreten hat, geht davon aus, dass bei vielen Betroffenen das Verfahren rechtswidrig verlaufen ist. „Die Conterganstiftung muss im Fall meines Mandanten neu entscheiden. Auch bei den bereits laufenden Verfahren, die beim Gericht anhängig sind, wird nun geprüft, ob sie an die Conterganstiftung zu einer erneuten Entscheidung zurückgehen müssen.“
Das Urteil beschäftigt sich auch mit der Wahrscheinlichkeit einer Conterganschädigung. „Bislang wurde der Antrag abgelehnt, wenn eine andere Ursache für die Schädigung außer einer Conterganeinnahme in Betracht kam“
, sagt Buder. Nun habe das Gericht festgestellt, dass Contergan die wahrscheinlichste Ursache sein muss. „Abgelehnte Anträge können nun schon deswegen neu gestellt werden, wenn etwa eine neue ärztliche Diagnose vorliegt, wonach die Schädigung conterganbedingt ist.“
Stiftung muss erneut und umfassender prüfen
Buder erwartet, dass die Stiftung künftig die Ursache genauer ermitteln muss als zuvor, also auch Gentests zur näheren Bestimmung herangezogen werden. „Dadurch ließen sich viele genetische Ursachen für eine Behinderung ausschließen“
, erklärt die Anwältin.
Ihr Mandant hatte 14 Jahre um die Anerkennung seiner Conterganschädigung gekämpft. Thomas K. war 1961 mit zwei fehlgebildeten Daumen zur Welt gekommen, ist schwerhörig, seine linke Niere arbeitet nicht richtig, und sein Darm neigt zu Inkontinenz. Seine Mutter hatte in der Schwangerschaft mehrmals das rezeptfreie Schlafmittel Contergan eingenommen. Dennoch weigerte sich die Stiftung, einen Conterganschaden anzuerkennen: Die Fehlbildungen seien nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die Einnahme zurückzuführen.
Durch das Urteil muss die Stiftung nun erneut und umfassender prüfen. Für Thomas K., den die Stiftung in all den Jahren nie persönlich begutachtet hat, ist das neben der Hoffnung auf Anerkennung auch eine späte Genugtuung.
Hinweis: VdK berät nicht zur Sache
Der VdK kann nicht bei Anerkennungsverfahren der Conterganstiftung unterstützen, da die Beratung des VdK satzungsbedingt auf das Sozialrecht beschränkt ist. Es handelt sich hier aber um Verwaltungsrecht und gegebenenfalls muss der Weg zum Verwaltungsgericht beschritten werden.