22. Juni 2021
GESUNDHEIT

Das Leben nach Corona

Post-Covid-Betroffene finden noch wenig Anlaufstellen und organisieren sich selbst

Eine Frau mit Mund-nasen-Schutz hält sich den Kopf
© unsplash

Über 3,7 Millionen Corona-Infektionen zeigt die Statistik des Robert Koch-Instituts Mitte Juni 2021. Dahinter verbergen sich teils schwere Schicksale. Viele der Erkrankten leiden sehr unter den Langzeitfolgen. Nur langsam etab­lieren sich Behandlungsmethoden und selbst organisierte Netzwerke für Post Covid. Zunehmend mehr Betroffene suchen sozialrechtliche Hilfe beim VdK.

Karl Baumann, Anfang 50, ist ein beschäftigter Mann. Der Maschinenbauer und Veranstalter aus der Nähe von Regensburg ist Unternehmer im besten Sinn: einer, der die Ärmel hochkrempelt. Doch dann erwischt ihn im März 2020 das Coronavirus. Er schwebt zwischen Leben und Tod, wird drei Wochen ins künstliche Koma versetzt. Zwei Szenen haben sich ihm eingebrannt: Als er sich von seiner Frau am Telefon verabschieden muss, bevor die Maschinen angeschaltet werden. Und dann der Moment des Erwachens. Halb verdurstet fühlt er sich. Aber niemand versteht, was er sagt, weil er im Koma einen Schlaganfall erlitten hat.

Mehr als ein Jahr später, im Juni 2021 sitzt Karl Baumann, inzwischen auch VdK-Mitglied, vor seinem Computer und begrüßt als Leiter der „Selbsthilfegruppe für Post-Covid-19-Erkrankte“ etwa 20 Menschen, die dasselbe Schicksal teilen wie er. Zehn, manche Quellen sagen sogar 15 Prozent aller Erkrankten leiden auch viele Monate nach der Infektion an mehr oder weniger ausgeprägten Spätfolgen. Sie klagen über neurologische Ausfälle, häufige Erschöpfung, psychische Probleme oder Bewegungseinschränkungen. „Post Covid“ oder „Long Covid“ heißt das Krankheitsbild, das ein eigenes Kürzel in den Akten der Krankenkassen bekommen hat.

Unfreiwillige Pioniere

Es sind keine „Einzelfälle“, die sich an diesem Juniabend virtuell treffen. Vor den Monitoren sitzen Menschen, die einst tatkräftig im Leben standen, von der jungen Erzieherin über den Familienvater in den Vierzigern bis zur sportlich wirkenden 50-jährigen Verwaltungsangestellten.

Die meisten erkrankten zu Beginn der ersten Corona-Welle. So sind sie unfreiwillig zu Pionieren geworden, denn das Gesundheitswesen hat noch kaum Erfahrungen mit Patienten wie ihnen. „Nur wer diese Krankheit selbst erlebt hat, weiß, worum es geht. Das habe ich in meiner Reha gemerkt“, erzählt Karl Baumann. Er hat deshalb trotz seiner eigenen Erschöpfung seine Kräfte zusammengesucht und eine Selbsthilfegruppe gegründet. Etwa einmal im Monat gibt es ein Treffen. Eigentlich sollte der Mitgliederkreis auf Ostbayern beschränkt sein, doch aus ganz Deutschland melden sich Betroffene bei Baumann. Informationen sind schließlich rar, Tipps von anderen gefragt. Zum Beispiel, wo es eine Post-Covid-Ambulanz gibt, die noch Patienten annimmt.

An diesem Abend ist Mathias Hochmuth von der Rechtsabteilung des Sozialverbands VdK Bayern zu Gast. Viele der Betroffenen sind derzeit krankgeschrieben. Sie fragen den Experten, wie es weitergeht, wenn das Krankengeld ausläuft und sie dauerhaft arbeitsunfähig werden. Die Angst vor dem tiefen Fall in die Sozialhilfe treibt sie um.

Hochmuth erklärt geduldig, beschönigt aber nichts. Es geht um die sozialrechtlichen Aspekte einer Post-Covid-Erkrankung. Das Krankengeld gibt es maximal 78 Wochen. „Achten Sie unbedingt auf eine lückenlose Krankschreibung, um den Ausschluss des Anspruchs zu verhindern“, rät er. Sollte der MDK nach Aktenlage eine „Gesundschreibung“ per Post schicken, müsse sofort Widerspruch eingelegt werden. Brenzlig werde es auch, wenn die Krankenkasse auffordert, Erwerbsminderungsrente zu beantragen. Spätestens dann sei es gut, sich sozialrechtliche Hilfe zu holen, gerne natürlich beim VdK.

VdK hilft

Wer seit Frühjahr 2020 krankgeschrieben ist, für den läuft im Herbst 2021 das Krankengeld aus. Hochmuth erklärt die weiteren Schritte: Arbeitslosengeld, eventuell Erwerbsminderungsrente oder Verletztenrente, wenn sich jemand nachweislich im beruflichen Umfeld infizierte. Auch die Zuerkennung einer Schwerbehinderung ist Thema. „Zu Post Covid gibt es bisher keine höchstrichterlichen Entscheidungen. Da muss noch vieles von den Betroffenen durchgefochten werden“, bedauert der Rechtsexperte. Doch man merkt ihm an, dass der VdK diese Herausforderung gerne annimmt.

Dr. Bettina Schubarth

Infos zu Post-Covid-Selbsthilfegruppen in Deutschland: www.nakos.de/aktuelles/corona

Schlagworte Post Covid | Long Covid | Sozialrechtsberatung | Krankengeld

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