12. Februar 2021
GESUNDHEIT

Ein epileptischer Anfall ist wie ein Gewitter im Kopf

Professor Martin Holtkamp erläutert die Anzeichen der neurologischen Erkrankung und was im Ernstfall beachtet werden sollte

Epilepsie zählt zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen. 400.000 bis 800.000 Menschen bundesweit sind betroffen, davon sind rund ein Drittel über 65 Jahre alt. Menschen mit dieser Erkrankung haben immer noch mit Vorurteilen zu kämpfen. Professor Martin Holtkamp erläutert, warum diese unberechtigt sind.

Foto: Darstellung einer Nervenzelle
Feuern Nervenzellen im Gehirn unkontrolliert Signale ab, können diese einen epileptischen Anfall auslösen. | © picture alliance/Shotshop

Die Ursachen einer Epilepsie im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter sind vielfältig. Sie reichen von einem Tumor, einer Fehlbildung oder Verletzung im Gehirn bis hin zu genetischen Gründen. Die unkontrollierten Signale der Nervenzellen erzeugen eine Art Gewitter im Kopf, das etwa 40 bis 60 Sekunden dauert. In der Folge kann es zu Zuckungen im Gesicht oder am Körper kommen. Manche Menschen verlieren kurzzeitig das Bewusstsein oder sind abwesend.

Beim sogenannten großen epileptischen Anfall, der in der Regel ein bis zwei Minuten anhalten kann, verkrampft sich der Körper plötzlich, bei vielen Patienten ohne jede Vorzeichen. Schaum tritt aus dem Mund und der Mensch krümmt sich zuckend auf dem Boden. Für Unbeteiligte sieht das sehr bedrohlich aus. Doch der Betroffene bekommt davon nichts mit, erläutert Professor Martin Holtkamp, Medizinischer Direktor des Epilepsie-Zentrums Berlin-Brandenburg, das zu den von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel gehört. Er empfiehlt Helfern, Ruhe zu bewahren, den Betroffenen nicht festzuhalten und den Kopf durch einen untergelegten Pullover oder eine Jacke zu schützen. „Kennt man die Person nicht, tritt der Anfall zum ersten Mal auf oder dauert er länger als fünf Minuten, sollte sofort ein Rettungswagen per Notruf 112 gerufen werden“, rät Professor Holtkamp.

Epilepsie ist immer noch ein Stigma, dabei kann jeder Mensch im Laufe seines Lebens betroffen sein. Aber Epilepsien kann man heutzutage gut behandeln. So sind in der Epilepsiechirugie der Stiftungen Bethel in Berlin und Bielefeld in den vergangenen Jahren mehrere tausend Menschen operiert worden, von denen rund 50 Prozent anschließend vollständig anfallsfrei waren. Auch Medikamente helfen. Allerdings wirken diese bei etwa einem Drittel der Betroffenen nicht. „Ist jemand nicht anfallsfrei, sollte er Freunde und Kollegen informieren, damit sie bei einem Anfall Bescheid wissen“, empfiehlt Professor Holtkamp. Patienten sollten darüber genauso offen reden, wie über andere gesundheitliche Probleme auch. Das heiße aber nicht zwangsläufig, dass man jedem alles erzählen müsse, räumt der Mediziner ein.

Weniger bekannt ist, dass es auch eine sogenannte Altersepilepsie gibt. Das Risiko einer Neuerkrankung steigt ab dem 60. Lebensjahr. Nach Demenzerkrankungen und Schlaganfall ist Epilepsie die dritthäufigste schwere neurologische Erkrankung. „Da epileptische Anfälle bei älteren Menschen oft auf einen Teil des Gehirns beschränkt bleiben, ist auch die Symptomatik weniger stark ausgeprägt. Motorische Zeichen sieht man seltener, oft haben die Patienten eine kurze Bewusstseinsstörung. Diese wird mitunter von Angehörigen und Pflegekräften nicht bemerkt oder nicht als epileptischer Anfall wahrgenommen“, so der Mediziner. Erschwerend komme hinzu, dass viele ältere Menschen alleine lebten und Veränderungen niemandem auffielen. Zudem können die Symptome dieser sogenannten „diskreten Anfälle“ auch bei anderen Erkrankungen auftreten und sind daher nicht immer sofort eindeutig zuzuordnen.

Ursachen von Epilepsien im Alter sind Schlaganfälle, chronische Durchblutungsstörungen im Gehirn und Demenz-Erkrankungen. Gehirntumore kommen eher selten vor. Epileptische Anfälle können sich vielfältig darstellen: Gerade bei älteren Patienten zeigen sich häufig ein Innehalten, ein starrer Blick, leichte, kauende und schmatzende Bewegungen oder ein Nesteln der Hände. Zudem reagieren die Patienten nicht auf Ansprache. Wer diese vorübergehenden Symptome wiederholt bei anderen beobachtet, der sollte auch eine Altersepilepsie in Betracht ziehen und mit einem Arzt über seine Beobachtungen sprechen. Dieser kann dann den Betroffenen an eine spezialisierte Epilepsie-Ambulanz zur weiteren Diagnostik überweisen. „Mit Medikamenten lässt sich die Epilepsie im Alter erstaunlich gut kontrollieren. Leider ist das noch viel zu wenig bekannt“, sagt Professor Holtkamp.

Erschienen in der VdK-Zeitung Juni 2017, aktualisiert 2021

Sabine Kohls

Schlagworte Epilepsie | Symptome | Anzeichen | Ursache | Behandlung | Patienten

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