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Wer krank wird, nicht mehr arbeiten kann und deshalb vorzeitig in Rente gehen muss, ist gleich doppelt gestraft. Er hat es sich nicht ausgesucht, krank zu werden, und muss als Erwerbsminderungsrentner zusätzlich hohe Abschläge in Kauf nehmen. Der Sozialverband VdK fordert die Politik auf, diese Entwicklung endlich zu stoppen.
Andreas P. (Name von der Redaktion geändert) aus Linden in Hessen bekommt seit drei Jahren Erwerbsminderungsrente. „Ohne den VdK hätte ich das nicht geschafft“, sagt der 54-Jährige. 30 Jahre arbeitete er als Meister in einer Großbäckerei. „Ich habe meinen Beruf geliebt, doch der Druck wurde immer größer“, sagt der Mann. Schwere psychische Probleme hätten ihm derart zugesetzt, dass er krank wurde. Dabei würde Andreas P. liebend gern arbeiten. „Anfangs war es mir regelrecht peinlich, nicht mehr einsatzfähig zu sein“, sagt er. Hinzu kämen die finanziellen Sorgen. „Ich habe Angst vor dem Alter“, gibt der Hesse unumwunden zu. Sein über 100 Jahre altes Elternhaus werde er dann wohl nicht mehr halten können.
Auch Klaus-Peter Kramer hat die finanziellen Auswirkungen der Erwerbsminderungsrente, die er seit 2009 wegen einer schweren psychischen Erkrankung bezieht, schmerzlich erfahren müssen. „Ich musste nach 30 Jahren dorthin ziehen, wo die Miete für meine Einkommensverhältnisse noch tragbar ist“, erzählt der 63-Jährige aus Bayern. Damit sei er gleich mehrfach gestraft, weil er sein Leben fernab seiner Familie nicht so gestalten kann, wie er eigentlich möchte.
„Ich habe Angst vor dem Alter.“ Andreas P. (Name von der Redaktion geändert)
Neurentner erhalten aktuell eine durchschnittliche Erwerbsminderungsrente von 672 Euro. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Grundsicherung beträgt derzeit etwa 770 Euro. Da klafft eine große Lücke. Der Hintergrund: 2001 gab es eine Veränderung bei der Berechnung von Erwerbsminderungsrenten, die zu deutlich niedrigeren Renten führte.
Weit unterhalb des Grundsicherungsniveaus liegt Kerstin Staby mit ihrer Erwerbsminderungsrente. Die 49-Jährige muss nach Abzug der festen Kosten wie Miete und Strom mit 200 Euro im Monat auskommen. „Sonderausgaben sind nicht drin“, sagt die Frau aus Wuppertal. Einer geringfügigen Beschäftigung könne sie aus gesundheitlichen Gründen nicht nachgehen.
Ähnlich ergeht es Carola Stöhr aus Nordrhein- Westfalen. Wegen einer chronischen Erkrankung war sie bereits mit Anfang 40 gezwungen, Erwerbsminderungsrente zu beantragen. Zusätzlich muss die heute 54-Jährige ihr mageres Einkommen mit Grundsicherung aufstocken. „Die Angst vor unvorhergesehenen Ausgaben sitzt mir ständig im Nacken“, sagt sie. Sie habe schon öfter vor der Entscheidung gestanden: Gebe ich die letzten Euros jetzt für Essen oder Medikamente aus? Teilhabe am sozialen Leben ist für Carola Stöhr so weit entfernt wie Nordrhein- Westfalen von Amerika.
„Nicht mehr gebraucht zu werden, ist entwürdigend.“ Elke Lindenpütz
So wie Kerstin Staby und Carola Stöhr geht es auch anderen Erwerbsminderungsrentnern. Sie können nicht arbeiten, weil sie krank sind. Sie fühlen sich an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Dieses Gefühl kennt Elke Lindenpütz aus Hamm in Rheinland-Pfalz nur zu gut. „Nicht mehr gebraucht zu werden, ist sehr entwürdigend“, sagt die 53-Jährige. Dabei habe sie es sich nicht ausgesucht, krank zu werden. So etwas könne jeden Menschen treffen.
Was es heißt, zu krank zum Arbeiten zu sein, hat auch Tatjana G. (Name von der Redaktion geändert) aus Niedersachsen erfahren müssen. Die 61-Jährige bekommt wegen einer chronischen Erkrankung volle Erwerbsminderungsrente. „Ich kam plötzlich finanziell überhaupt nicht mehr zurecht und hatte zusätzlich zu meiner Krankheit noch mit Existenzängsten zu kämpfen“, sagt die Frau. Das sei ein regelrechter Teufelskreis, aus dem schon ein gesunder Mensch kaum ohne fremde Hilfe ausbrechen kann. „Ich habe viel geleistet. Das ist alles nichts mehr wert, weil ich krank geworden bin“, ärgert sich Tatjana G. Eine Gesellschaft, die nur leistungsfähige, junge Menschen wertschätzt und ältere, kranke wie einen abgenutzten Gegenstand aussortiert, sei insgesamt sehr fragwürdig.
Bernhard Mayer aus Viernheim in Baden-Württemberg will sich nicht länger mit leeren Versprechen begnügen. Er hat an die Politiker in Berlin geschrieben: „Ich fühle mich regelrecht verhöhnt, wenn kleinste Verbesserungen als große Erfolge verkauft werden“, ärgert sich der 58-Jährige. Er habe mit 15 Jahren seine Berufsausbildung begonnen und mehr als 40 Jahre in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt. Nur weil er aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten kann, werde er gleich mehrfach bestraft: ohne Arbeit, dafür eine magere Rente mit Abschlägen, die seinen Lebensstandard nicht mehr sichern kann, und die Aussicht auf eine noch kleinere Altersrente.
Doch nicht nur Erwerbsminderungsrentnern droht die Armut im Alter. Auch viele Frauen, die Kinder erzogen und Angehörige gepflegt haben, stehen am Ende mit einer Armutsrente da. „Wir erleben in unserer Beratung viele alte Frauen, die sparen und versuchen, irgendwie über die Runden zu kommen oder noch einen kleinen Putzjob anzunehmen“, beschreibt die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Ulrike Mascher, die Situation, in der sich viele Rentnerinnen befinden.
Deshalb müssten diese Frauen nicht nur zwei – sondern wie bei den jüngeren Frauen – drei Rentenpunkte pro Kind bekommen, fordert sie. Ein Knackpunkt ist zudem, dass die Mütterrente voll auf die Grundsicherung angerechnet wird. „Deshalb fordern wir die Einführung eines Freibetrags von 100 Euro für Grundsicherungsbezieherinnen“, so Mascher.
Marie-Luise Bohn bekommt Altersrente und Mütterrente und ist zusätzlich noch auf Grundsicherung angewiesen. „Ich habe mein Leben lang gearbeitet, zwei Kinder groß gezogen und stehe jetzt mit leeren Händen da“, ärgert sich die 64-Jährige aus Augsburg. Das empfindet sie als Missachtung und Herabwürdigung ihrer Leistung. Sie kann nicht verstehen, dass die Mütterrente auf die Grundsicherung angerechnet wird.
Als „Mutter zweiter Klasse“ fühlt sich auch Bärbel Hover aus Niedersachsen. „In den 1960er-Jahren gab es keine Kinderbetreuung. Wir Frauen konnten gar nicht arbeiten gehen“, sagt die 69-Jährige. Sie habe sich damals sogar einen Teil ihrer bis zur Geburt der Kinder erwirtschafteten Rente auszahlen lassen, um sich eine Waschmaschine kaufen zu können. „Das haben damals viele Frauen in meinem Alter so gemacht“, erinnert sie sich. Heute würden Frauen wie sie so wenig Rente bekommen, dass sie ohne ihre Männer nicht zurechtkämen. Das könnten sich junge Frauen heute gar nicht vorstellen.
„Alles, was man im Rentenrecht ändert, betrifft auch die junge Generation“, so Ulrike Mascher. Das gelte für die Kürzungsfaktoren, aber auch für das Absenken des Rentenniveaus. Deswegen muss es unbedingt gelingen, die gesetzliche Rentenversicherung zu stabilisieren, denn sie ist nach wie vor für 80 Prozent der Bürger die wesentliche und alleinige Säule ihrer Altersversorgung. Der Beitragssatz liegt heute bei 18,7 Prozent. Wenn die Vorsorge im Alter reichen soll, müssten mindestens noch mal vier Prozent des Einkommens in die private oder betriebliche Altersvorsorge investiert werden. Doch wer über ein kleines Einkommen verfügt, das gerade so zum Leben reicht, kann nicht privat vorsorgen und ist heute und in Zukunft auf die gesetzliche Rente angewiesen.
ikl
Schlagworte Erwerbsminderungsrente | Armut | Erfahrungsberichte | Altersarmut | Mütterrente | Grundsicherung
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