
Sie wollen die Barrieren aus dem Weg räumen
Die Regierung bremst die Reform des Behindertengleichstellungsgesetzes – und damit mehr Barrierefreiheit. Der VdK hat drei Menschen mit Behinderung gefragt, welche Hürden sie im Alltag erleben und wie diese beseitigt werden können.

Birgit Kaiser: Physische und digitale Barrieren für blinde Menschen
VdK-Mitglied Birgit Kaiser wohnt im sächsischen Erzgebirgskreis und ist beinahe täglich mit dem Bus unterwegs. Das stellt die 47-Jährige, die blind ist, manchmal vor große Herausforderungen. „Ich würde mir wünschen, dass auch in der ländlichen Region in Blindenschrift lesbar oder akustisch abrufbar ist, welche Buslinien an der jeweiligen Haltestelle abfahren, und dann die Liniennummer des gerade einfahrenden Busses über Lautsprecher angesagt würden. Leider geschieht das bei uns ausschließlich über visuelle Anzeigen. Dadurch erfahre ich manchmal nicht, wo mein Bus abfährt, wenn dort mehrere Buslinien verkehren, und welcher Bus einfährt.“
Mit einer weiteren Barriere ist sie konfrontiert, wenn sie im Internet die Daten ihres Handyvertrags aufrufen möchte. „Wenn ich mich als Kundin einlogge, gibt es als Sicherheitsabfrage ein sogenanntes Captcha, bei dem ich ein Bilderrätsel oder eine Rechenaufgabe lösen muss. Das kann ich aber als blinde Person nicht bedienen.“
Ihr ist es wichtig, nicht nur Probleme zu nennen, sondern auch Lösungen aufzuzeigen: „Als Alternative müsste das Unternehmen im Sinne der
Externer Link:Barrierefreiheit
eine audio- oder textbasierte Sicherheitsabfrage anbieten.“
In Fachkreisen spricht man bei Lösungen wie diesen von angemessenen Vorkehrungen. Das sind notwendige und geeignete, aber nicht unverhältnismäßige Anpassungen im Sinne der Barrierefreiheit. Solche Vorkehrungen sollen Externer Link:Menschen mit Behinderungen die Teilhabe ermöglichen.
Auch für ein Problem, das ihr bei einem Arzttermin begegnet, macht sie einen Lösungsvorschlag. „Ich habe in der Arztpraxis mehrfach die Erfahrung gemacht, dass ich Formulare unterschreiben soll, die ich mir dort nicht vorlesen lassen kann. In so einem Fall wäre es hilfreich, sie wären vorab im Internet abrufbar. Dann könnte ich sie zu Hause mit meinem Screenreader per Sprachausgabe oder in Blindenschrift lesen.“
Ricardo Scheuerer: Fehlende Informationen für Gehörlose
Auch der gehörlose Ricardo Scheuerer aus Berlin kennt ähnliche Situationen: „Wenn ich bei einem Unternehmen etwas bestelle, kommt es vor, dass es eine Rückfrage gibt und ich Kontakt aufnehmen möchte. Viele Firmen lehnen dann aber eine schriftliche oder alternative Kommunikation ab, sodass eine Kontaktaufnahme für mich unmöglich ist.“
Ähnlich problematisch seien Banken, die ausschließlich telefonisch beraten. Ein Problem sei für ihn auch, dass viele Unternehmensvideos, Werbeclips oder Anleitungen nicht untertitelt sind. „Dadurch sind mir wichtige Informationen nicht zugänglich“
, erklärt der 30-Jährige. Barrierefreie Lösungen wären Live-Text-Chat, Video-Chat mit Gebärdensprachdolmetscher, schriftliche Verfahren oder Untertitel bei allen Videos, so Scheuerer.
Hermann Roth: Stufen und Treppen als Hindernisse für Rollstuhlfahrer
VdK-Mitglied Hermann Roth aus dem hessischen Langen nutzt einen Rollstuhl. Er berichtet, dass viele Gaststätten für ihn nicht zugänglich sind, weil er mit dem Rollstuhl die Treppen nicht überwinden kann oder eine barrierefreie Toilette fehlt.
Der 63-Jährige hat erlebt, dass Lokale zur Überbrückung der Stufen zwar über eine Rampe verfügen. „Allerdings hieß es, dass der entsprechende Mitarbeiter, der diese Rampe bewegen kann, nicht da ist. Es ist auch schon vorgekommen, dass die Rampe im Keller lag und erst umständlich geholt werden musste.“
Wenn es schon eine barrierefreie Lösung gibt, sollte diese dann auch unkompliziert genutzt werden können, so Roth.