Der VdK zu Besuch im Geko Berlin: Kompetente Lotsen im Gesundheitssystem
Community Health Nurses begleiten Menschen im Berliner Rollbergkiez durchs komplexe Gesundheitssystem. Im Geko Neukölln unterstützen sie bei körperlichen, psychischen und sozialen Anliegen.

Anlaufstelle für körperliche, psychische und soziale Anliegen
Das Rollbergviertel in Neukölln ist ein diverser Kiez: Hier trifft neu auf alt, arm auf reich und konservativ auf liberal. Schicke Cafés und Start-up-Unternehmen sind ebenso vertreten wie alteingesessene Geschäfte und soziale Einrichtungen. Teilweise zeigt das Stadtviertel besondere soziale Belastungen und Benachteiligungen: Themen wie Armut, Wohnungsnot und auch Rassismus spielen eine Rolle.
Die Bandbreite an Problemen ist groß, wie Janina Johannsen vom Stadtteilgesundheitszentrum Gesundheitskollektiv (Geko) weiß: „Die Menschen kommen mit ganz unterschiedlichen Bedürfnissen zu uns. Das reicht von körperlichen Beschwerden und psychischen Herausforderungen bis hin zu sozialen Themen.“
Es zeigt sich ein grundsätzliches Problem: Viele Patientinnen und Patienten wissen nicht, wie sie sich im Gesundheitssystem orientieren sollen.
Interdisziplinäres Team, breites Angebot
Genau da setzt das Pilotprojekt „Navigation“ im Geko mit der Unterstützungarbeit der CHNs ein. „Viele Menschen, die zu uns kommen, fühlen sich zunächst verunsichert und wenig selbstwirksam“
, beschreibt Pflegekraft Dilek Erusta das Lebensgefühl der Menschen, wenn sie den Weg ins Geko gefunden haben. Gemeinsam mit Levent Öztürk unterstützt sie Patientinnen und Patienten dabei, ihre sozialen und gesundheitlichen Probleme anzugehen und im komplexen Gesundheitssystem besser zurechtzukommen.
Die beiden arbeiten in einem interdisziplinären Team aus Ärztinnen und Ärzten, Sozialarbeiterinnen und -arbeitern. In der Einrichtung befinden sich neben den Praxen für Allgemein- und Kindermedizin Räume für Beratung, Selbsthilfe und Austausch. Bei einem Besuch im hauseigenen Café fällt ein großes Schwarzes Brett ins Auge. Hier werden alle Informationen zu Selbsthilfegruppen und Beratungsangeboten präsentiert. Dazu gehören eine Medikamentenberatung, ein Angebot für Betroffene chronischer Fatigue (ME/CFS) und eine Beratung, wie man einen Psychotherapie- Platz findet. Auch gibt es offene Sprechstunden und kreative Angebote wie gemeinsames Stricken oder eine Familiengruppe.
Komplizierte Finanzierung und Förderung
Erusta und Öztürk kümmern sich vor allem um Menschen mit chronischen Erkrankungen, begleiten sie und vermitteln sie an passende Ansprechpartner weiter. Beide sind ausgebildete Pflegekräfte, haben jahrzehntelange Berufserfahrungen in Berliner Krankenhäusern gesammelt und einen Studienabschluss in Gesundheitswissenschaften. In Fallbesprechungen mit den ärztlichen Kolleginnen und Kollegen werden die Lebenslagen von Patientinnen und Patienten sowie die weiteren Therapieansätze im Team besprochen.
Das Geko-Team weiß aus seiner alltäglichen Arbeit, dass schlechte Wohnungen, stressige Arbeit und Diskriminierung krank machen. Während die Ärzte ihren Kassensitz haben und ihre Arbeit über die gesetzliche Krankenversicherung abrechnen, passt die Arbeit der Gemeindegesundheitspflegekräfte bisher nicht ins traditionelle Gesundheitssystem.
Ihre Stellen werden für eine befristete Zeit aus dem Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses finanziert. Das interdisziplinäre Arbeiten und die präventiven Angebote werden aus verschiedenen Töpfen gefördert, vom Land Berlin sowie durch Stiftungen und Krankenkassen. Öztürk hofft, dass seinem Berufsstand in Zukunft mehr Kompetenzen eingeräumt werden.
Mehr in Prävention und Pflegeberufe investieren
Die interdisziplinäre Versorgung im Primärversorgungszentrum ist ein Alternativmodell zur rein hausarztzentrierten Versorgung, wie sie bisher in Deutschland gängig ist.
Öztürk fragt: „Wie lange müssen wir noch drüber reden, bis der Letzte verstanden hat, dass wir mehr in Prävention und mehr in pflegerische Berufe investieren müssen? Wir wollen mehr Aufgaben übernehmen können.“
Mit dem Pflegekompetenzstärkungsgesetz, das Anfang November im Bundestag beschlossen wurde, sollen Pflegekräften mehr Befugnisse eingeräumt werden – vor allem bei der Versorgung von Wunden, Diabetes und Demenz.
Die Vorstandsvorsitzende der AOK Nordost, Daniela Teichert, ist von den Pflegekräften als Lotsen überzeugt: „Auf jeden Fall sollten feste Ansprechpartner und -partnerinnen bei allen gesundheitlichen Fragen weiterhelfen und bei Bedarf durch das Gesundheitssystem lotsen. Aus Sicht der AOK Nordost müssen das in Zukunft nicht ausschließlich Ärztinnen und Ärzte sein.“
Informationen zu Stadtteilgesundheitszentren
Das Gesundheitskollektiv in Neukölln ist eins von wenigen solidarischen Stadtteilgesundheitszentren in Deutschland. Vergleichbare Projekte gibt es in Dresden, Freiburg, Hamburg, Köln, Jena, Göttingen, Leipzig, Marburg, München und Tübingen. Weitere Zentren sind in der Entstehung, auch im ländlichen Raum.
Das Konzept dieser ambulanten Gesundheitsversorgung weist einige Parallelen zum Konzept der Polikliniken in der DDR auf. Diese Kliniken waren medizinische Einrichtungen, in denen Ärztinnen und Ärzte aus allen Fachrichtungen zusammen gearbeitet haben. Vorteile waren die kurzen Wegen für Patientinnen und Patienten sowie die einfachere Zusammenarbeit des Fachpersonals.
Die Primärversorgungszentren sind häufig in strukturschwachen Stadtteilen angesiedelt und haben ihre Angebote auf die Bevölkerung direkt im Kiez abgestimmt. Die Zentren finanzieren sich meistens über Mitgliedsbeiträge, Spenden und Projektförderungen.
Alle Stadtteilgesundheitszentren in Deutschland eint der Ansatz, die Gesundheitsversorgung gerechter und zugänglicher gestalten zu wollen. Außerdem geht das Fachpersonal davon aus, dass die sozialen Faktoren in der Gesundheit und in der Gesundheitsversorgung von entscheidender Bedeutung bei der Behandlung sind.
Weitere Informationen über die Stadtteilgesundheitszentren stellt der Dachverband Poliklinik-Syndikat auf seiner Webseite bereit: