Kommentar: Ein Nachdenk-Zettel
Nach der EU-Wahl haben sich viele mehr oder weniger kluge Menschen in ihren Analysen zum Wahlergebnis in Deutschland überschlagen.
Bei den einen beschworen die großen Stimmenzugewinne der AfD den Untergang des Abendlands herauf, bei anderen lockten sie Triumphgeheul hervor.
Ich will es sachlicher betrachten. Viele, die da ihr Kreuz gesetzt haben, wollten den in Bund und Ländern regierenden Parteien vermutlich einen „Denkzettel verpassen“
. Persönlich habe ich mir die Wahlergebnisse auf einem Nachdenk-Zettel notiert. Ich denke nach, warum demokratische Grundwerte wie Toleranz und Zusammenhalt in Deutschland einen schweren Stand haben. Ich denke nach, warum die Parteien, die abgestraft wurden, ihr Heil jetzt ausgerechnet im Anbiedern nach rechts oder in Streit und Profilierungssucht suchen. Doch ich finde keine plausible Antwort.
Jede Forderung nach Bürgergeldkürzung, jedes Infragestellen von Koalitionsvereinbarungen wie der Kindergrundsicherung zahlt vor allem auf das Wählerkonto derer ein, die durch Spaltung und Ausgrenzung Menschen gewinnen wollen. Die AfD hat längst ihre Finger im Regierungsspiel, weil ihnen von dort so viele nacheifern.
Gegenvorschlag an die aktuellen Bundes- und Landesregierungen: Zeigen Sie, dass demokratische Parteien bessere Lösungen als Rechtspopulisten bieten. So kann das Vertrauen der Bevölkerung, in ihren Sorgen und Nöten nicht alleine zu sein, zurückgewonnen werden. Um die Sache darf dabei gerne gestritten werden. Aber mit einer konstruktiven Grundhaltung.
Ich wünsche mir eine Debattenkultur in Deutschland, in der nicht Lautstärke, Häme und Säbelrasseln zählen, sondern das, was beim sachlichen Austausch von Argumenten herauskommt.
Mit guter Sozialpolitik wäre den aktuell regierenden Parteien mehr gedient als mit dem Nachplappern von schlecht getarnten rechtspopulistischen Parolen. Vorgezogene Neuwahlen auf Bundesebene wären für mich eher eine Kapitulation der parlamentarischen Demokratie, aber sicher keine Lösung.