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Interview: „Man muss keine Angst haben vor dem Alter“

Von: Interview: Annette Liebmann

Wie gelingt es, dem Alter positiv zu begegnen? Im Interview mit der VdK-Zeitung berichtet der 79-jährige Pater Anselm Grün über das Glück des Älterwerdens. 

Pater Anselm Grün sitzt in einer Kirchenbank, er ist im Gebet vertieft.
© Julia Martin / Abtei Münsterschwarzach

Das Älterwerden wird in unserer Gesellschaft mit einer Reihe von Verlusten verknüpft: dem Schwinden der Kräfte, dem Verlust von Fähigkeiten und Fertigkeiten, Krankheiten und dem Tod von nahestehenden Menschen. Doch es gibt auch positive Seiten: Pater Anselm Grün, 79 Jahre, beschreibt in seinem Buch „Gelassenheit – Das Glück des Älterwerdens“, wie man an Erfahrung, Weisheit und Milde gewinnt und lernt, im Moment zu leben. Er sagt: „Man muss keine Angst haben vor dem Alter.“

VdK-Zeitung: Sie verbinden das Altwerden mit Glück. Was ist das Schöne daran? 

Pater Anselm Grün: Dass man sich nicht mehr beweisen muss. Ich darf einfach sein, der ich bin, ohne etwas vorweisen, ohne mich darstellen, ohne mich rechtfertigen zu müssen. Und das Alter schenkt Gelassenheit und innere Weite. Natürlich gelingt das nicht jedem. Aber das ist das Glück, das wir alle anstreben sollen.

Sie zitieren gern den Psychologen Carl Gustav Jung: „Ab der Lebensmitte bleibt nur der lebendig, der zu sterben bereit ist.“ Was bedeutet der Satz konkret?

Es geht um die Bereitschaft, sich selbst und sein Leben loszulassen. Das Problem ist, dass manche in der Lebensmitte merken, dass sie nie richtig gelebt haben. Ungelebtes Leben kann man nicht gut loslassen. Zu sterben bereit sein, bedeutet auch, sich bewusst auf jeden Augenblick einzulassen und dankbar die Zeit zu erleben, die uns gegönnt ist. Wir wissen nie, wie lange das dauert. Das kann uns auch Gelassenheit und innere Freiheit schenken.

Worin bestehen die Herausforderungen des Älterwerdens?

Darin, dass wir unser Älterwerden akzeptieren, dass wir uns aussöhnen mit unserer Lebensgeschichte. Manche schauen voll Verbitterung auf ihre Biografie zurück. Doch dann wird auch ihr Alter bitter und voll von Unzufriedenheit. Wir sollten nicht ständig überlegen, was wir versäumt haben, sondern dankbar auf unser Leben schauen. Aber es gilt auch, das Schwächerwerden und eventuelle Krankheiten und Beeinträchtigungen anzunehmen und auf manches zu verzichten, was nicht mehr geht – wie zum Beispiel große Bergwanderungen.

Wie kann das Loslassen gelingen?

Meine Mutter sagte immer: „Man muss mit warmen Händen geben.“ Wer alles krampfhaft behält, damit seine Kinder mehr erben, der wird damit keinen Segen stiften. Loslassen kann ich nur, wenn mir andere Dinge wichtiger werden als Macht und Geld. Die Macht loszulassen und sich von der Rolle zu verabschieden, die ich im Beruf gespielt habe, ist nicht einfach. Aber wenn es uns gelingt, dann zeigen wir uns den anderen als diese einmalige Person. Wir begegnen den anderen nicht mehr hinter der Maske unserer Macht oder Rolle, sondern von du zu du, auf Augenhöhe. Dann bekommen die Begegnungen eine andere Qualität. Das Loslassen ist die Bedingung, dass etwas Neues in uns wachsen kann.

Was kann man tun, um den Prozess des Älterwerdens bewusst wahrzunehmen und zu gestalten?

Wir haben das Bedürfnis, aktiv und selbstbestimmt unser Alter zu gestalten. Wir spüren, dass andere Dinge wichtiger werden. Wir haben Zeit zum Lesen, zum Wandern, ins Theater zu gehen. Es geht darum, herauszufinden, was jetzt angemessen ist für mich, worauf ich Lust habe, und wo ich für andere zum Segen werden kann. Wir sollen im Alter nicht nur um uns selbst kreisen, sondern auch fruchtbar werden für die Menschen. Großeltern erleben, dass sie eine wichtige neue Rolle für ihre Enkelkinder spielen. Andere engagieren sich ehrenamtlich in der Kirche, bei Krankenbesuchen oder in bürgerschaftlichen Initiativen.

Wie findet man seine innere Ruhe?
Die innere Ruhe finde ich, wenn ich meine innere Wahrheit anschaue. Jesus sagt: „Die Wahrheit wird euch frei machen.“ Ich kann meine Wahrheit aber nur dann ehrlich anschauen, wenn ich sie nicht bewerte, wenn ich mir erlaube: Alles darf sein. Ich versuche, mich zu verstehen, statt mich zu bewerten. Und ich finde innere Ruhe, wenn ich mir bewusst Zeit nehme, mich einfach bequem in den Sessel setze und mir sage, ich muss jetzt gar nichts leisten. Ich bin einfach da. Und zur Ruhe komme ich nur, wenn ich dankbar auf meine Lebensgeschichte und die jetzige Situation meines Lebens schaue.

Viele Menschen sind im Alter allein. Wie können sie diese Einsamkeit in ein positives Gefühl umwandeln?

Die Kunst besteht darin, das Alleinsein in ein All-Eins-Sein zu verwandeln. Ich spüre die Traurigkeit, dass ich allein bin, aber ich gehe gleichsam durch die Traurigkeit hindurch auf den Grund meiner Seele. Dort fühle ich mich eins mit allen Menschen, mit denen, die ich kenne, aber auch mit allen, die ähnlich einsam sind. Und ich fühle mich eins mit den Verstorbenen. Dann spüre ich meine Wurzeln, die mich tragen. Das ist der spirituelle Weg, mit dem Alleinsein umzugehen. Wenn ich Kontakt suche, ergreife ich selber die Initiative, um mit anderen Seniorinnen und Senioren etwas zu unternehmen.

Lebt es sich leichter, wenn man sich der Endlichkeit seiner Lebensjahre bewusst ist?
Ja, es lebt sich leichter. Man lebt bewusster. Jeder Augenblick könnte der letzte sein. Dann werden die Begegnungen nicht mehr oberflächlich sein. Ich kann mich auf den Augenblick einlassen, weil ich zugleich mein Leben loslassen kann. Ich lebe dankbar den Augenblick, aber ich bin auch bereit, zu gehen. Das gibt Gelassenheit und Ruhe. Wer sich der Endlichkeit nicht bewusst ist, der möchte möglichst viel in sein Leben hineinstopfen, der muss die innere Leere mit tausend Aktivitäten zustopfen. Der wird ruhelos und rastlos.

Inwieweit hilft der Glaube beim Altwerden?

Der Glaube ist eine Hilfe, dem Alter positiv zu begegnen. Einmal sagt er mir, dass ich immer eine unantastbare Würde habe, dass mich überall Gottes Segen begleitet, dass ich nie allein bin, sondern immer getragen werde von Gott. Und der Glaube zeigt mir, dass der Tod nicht einfach das Ende ist, sondern Vollendung, dass im Tod all unsere Sehnsüchte erfüllt werden. Daher müssen nicht alle unsere Wünsche schon hier erfüllt werden. Das gibt Gelassenheit und Freiheit und Vertrauen.

Gelingt ein guter Umgang mit dem Alter auch ohne Glaube?

Es ist sicher auch möglich, ohne Glaube bewusst alt zu werden. Aber dann sollte ich mich aussöhnen mit meinem Alter und offen sein für das Geheimnis des Lebens, für etwas, das größer ist als wir selbst.