
Erinnerungen der letzten Zeitzeugen: Kriegskinder berichten von der Befreiung Deutschlands
Vor 80 Jahren – am 8. Mai 1945 – endete der Zweite Weltkrieg in Europa. Städte lagen in Schutt und Asche, Millionen von Menschen litten Hunger, waren ohne Obdach oder auf der Flucht.

Mehr als 100 Briefe von Zeitzeugen erhalten
Es gibt nicht mehr viele Zeitzeugen, die von den Schrecken des Krieges berichten können. Die, die noch am Leben sind, wollen oft von dieser schweren Zeit erzählen – auch, um zu vermitteln, wie viel persönliches Leid durch Krieg entsteht. Im Dezember 2023 hatten wir in der VdK-Zeitung Mitglieder aufgerufen, ihre Erinnerungen an den Krieg zu schildern. Das Ergebnis war überwältigend: Uns erreichten weit mehr als 100 Briefe und E-Mails aus ganz Deutschland. Weil das Thema bis heute viele unserer VdK-Mitglieder berührt, wollen wir hier noch einmal einige ehemalige Kriegskinder zu Wort kommen lassen.
Nie wieder – ich bin und bleibe Pazifist.
Süßigkeiten zugeworfen
Reinhold Miller aus dem bayerischen Jedesheim kann sich gut an das Kriegsende erinnern: „Eines Tages sahen wir, wie amerikanische Panzer in Kolonne über die gesprengte Illerbrücke und den Kanal in Richtung Illertissen fuhren. Da sind wir schnell nach Hause gelaufen.“
Am Abend bekam die Familie Besuch von amerikanischen Soldaten. Sie bereiteten sich Essen zu, blieben über Nacht und hinterließen das Haus so, wie sie es vorgefunden hatten.
Rolf-Rüdiger Traub aus Frankfurt am Main spielte am 8. Mai im Garten, als amerikanische Flugzeuge den nahegelegenen Flugplatz ansteuerten. „Schnell wurden noch die letzten Nazi-Reliquien verbrannt und deren Asche weit weg verstreut. Nie wieder – ich bin und bleibe Pazifist“
, schreibt er.
Jörg Lindner und seine Mutter waren 1943 nach schweren Bombenangriffen in Berlin evakuiert worden und erlebten das Kriegsende in einem Ort im Riesengebirge im heutigen Tschechien. Er erinnert sich daran, dass die russischen Soldaten den Kindern Süßigkeiten zugeworfen haben.
Ich sah zum ersten Mal, wie hilflos doch die Menschen waren, bei denen ich immer Schutz gefunden hatte.
Grausamkeit russischer Soldaten
Die Soldaten der Alliierten waren aber nicht nur Befreier. Viele begingen auch Straftaten, insbesondere an Mädchen und Frauen. Ingrid Heinze musste als Siebenjährige mitansehen, wie ihre Mutter und Großmutter vergewaltigt wurden. „Alle weinten, und ich sah zum ersten Mal, wie hilflos doch die Menschen waren, bei denen ich immer Schutz gefunden hatte“
, schreibt sie.
Auch Waltraud Werner hat als Neunjährige die Grausamkeit russischer Soldaten miterlebt. Die Familie floh im April 1945 aus der Niederlausitz, doch überlebt hat nur sie. Die Mutter wurde vergewaltigt. Später kamen sie und der kleine Bruder bei einem Bombenangriff ums Leben. Waltraud Werner wurde von deutschen Soldaten mitgenommen und gelangte nach mehreren Monaten in verschiedenen Lagern schließlich zu ihren Großeltern in Bayern. „Es wird in absehbarer Zeit nicht mehr so viele Menschen geben, die den Zweiten Weltkrieg hautnah erlebt haben“
, so Werner. Deshalb hat sie ihre Erlebnisse in einem Büchlein niedergeschrieben.
Es kann keiner begreifen, wozu Menschen fähig sind. Bitte lasst nicht zu, dass sich die Geschichte wiederholt.
Kindern und Enkeln eine bessere Welt hinterlassen
Einig sind sich die Kriegskinder von einst, dass militärische Auseinandersetzungen unbedingt vermieden werden sollten. „Als im Februar 2022 der Krieg gegen die Ukraine begann, war ich fassungslos“
, schreibt Edith Armster. „Horrorbilder tauchten vor mir auf.“
Auch bei Ingrid Heinze haben sich die schweren Kriegsjahre tief in die Seele eingegraben.
Erhard Pleger, Jahrgang 1933, hat die Belagerung von Danzig miterlebt und wurde nach Russland verschleppt. Er floh und lief 200 Kilometer zurück nach Danzig. Von dort aus ging er mit seiner Familie nach Berlin. Um Geld zu verdienen, suchte er Leichenteile zusammen und ging betteln. Mit 16 Jahren brach er zusammen, weil er stark unterernährt und gesundheitlich angeschlagen war.
Pleger hat sein Leben lang über das, was ihm passiert ist, geschwiegen. Nun will er darüber reden, um seinen Kindern und Enkeln eine bessere Welt zu hinterlassen. „Es kann keiner begreifen, wozu Menschen fähig sind“
, resümiert er. „Bitte lasst nicht zu, dass sich die Geschichte wiederholt.“