„Der VdK ist der größte Fanclub des Sozialstaats“
Bundeskanzler Scholz und führende Vertreter der Parteien würdigen bei der großen Abschlussveranstaltung des 19. Ordentlichen Bundesverbandstags in Berlin die Bedeutung des Sozialverbands VdK.
Spitzenpolitiker der Parteien beim VdK zu Gast
Am dritten Tag des Bundesverbandstags in Berlin kommen traditionell Spitzenpolitiker der Parteien und Regierungsvertreter zu Wort. Kanzler Olaf Scholz sprach per Video-Botschaft zu den Anwesenden, CDUkurz fürChristlich Demokratische Union-Generalsekretär Mario Czaja, Linken-Parteichefin Janine Wissler, die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang, der sozialpolitische Sprecher der FDPkurz fürFreie Demokratische Partei, Pascal Kober, und Gesundheitsminister Karl Lauterbach folgten der Einladung des VdK und hielten ihre Reden vor Ort. Verena Bentele nutzte die Gunst der Stunde und adressierte die Forderungen des VdK an die Polit-Prominenz.
Doch bevor die frisch im Amt bestätigte Präsidentin zum sozialpolitischen Teil überleitete, stellte sie sich im mit rund 300 Gästen voll besetzten Saal des Berliner Hotels „Maritim proArte“ den launigen Fragen von Sven Lorig.
Der bekannte Fernsehmoderator und Journalist führte kurzweilig durch das Programm und wollte wissen, was die VdK-Bundesverbandstage 2018 und 2023 voneinander unterscheide. Bentele musste nicht lange überlegen. Damals sei es aufregend gewesen, weil sie neu ins Amt gewählt wurde. In diesem Jahr sei es spannend, da der VdK eine neue Satzung verabschieden würde: „Wir werden jünger, weiblicher und wilder“, brachte sie die Änderungen mit ihren Worten auf den Punkt – und fügte lächelnd hinzu: „Auch wenn das so natürlich nicht in der Satzung oder im Zielbild steht“.
Pointiert in ihren Formulierungen und zudem gewohnt deutlich zeigte sie sich dann auch in ihrer Rede. Der VdK sei „der größte Fanclub des Sozialstaats“, so Bentele. Deshalb bewahre er sich seinen kritischen Blick darauf, was nicht funktioniert. Und da gibt es eine ganze Menge, das nicht zu übersehen ist. Corona, Krieg und Inflation hätten die Schere zwischen Arm und Reich weiter geöffnet. „Während die einen Gewinne machen, werden die anderen immer ärmer“, so die Präsidentin.
Alle sollen einzahlen
Bentele ging auf die Missstände ein: Endlich müssten alle in die sozialen Sicherungssysteme einzahlen, um das soziale Netz zu stabilisieren, rief sie und bekam großen Applaus vom Publikum. Einen „Gruß an die Mindestlohnkommission“ verband sie mit der Forderung nach einem Mindestlohn von 14 Euro. „Wir brauchen faire Löhne, damit es gute Renten gibt.“ Der VdK habe aber nicht ausschließlich die Rentnerinnen und Rentner, sondern alle im Blick. Denn der Kampf gegen Armut fange bereits mit dem Tag der Geburt an.
Deshalb mache sich der VdK für eine Kindergrundsicherung stark. „Wir können nicht hinnehmen, dass in diesem Land jeder fünfte Mensch unter 18 Jahren armutsgefährdet ist“, bekräftigte sie ihre Forderung an die Ampel, endlich die Parteipolitik beiseite zu lassen und zum Wohl der Kinder zu handeln.
Vieles zu bürokratisch
Bentele warnte vor einer „Abwertung der wichtigsten Währung. Das ist das Vertrauen in den Sozialstaat“. Vieles sei zu bürokratisch und überfordere die Menschen. Bei der Frage zur Finanzierung des Heizungsumbaus etwa müsse es eine sozial gerechte Lösung geben. Viele Menschen hätten schon heute keine Rücklagen für Ausgaben wie eine neue Heizung. „Deshalb stellen wir uns auf die Seite derer, die beim Heizungsaustausch Unterstützung brauchen. Es dürfen nicht alle die gleiche Förderung erhalten“, so ihr Appell an die Regierung, das Gesetz zu überarbeiten.
Mit Blick auf die Nächstenpflege-Kampagne des VdK kritisierte Bentele, dass die häusliche Pflege nicht den angemessenen Stellenwert in der Ampel-Koalition habe. In dem Gesetzentwurf zur Pflegereform vermisse sie die Ansätze, die pflegenden Angehörigen und Pflegebedürftigen wirklich helfen würden. Konkreter wurde sie später, als sie Gesundheitsminister Lauterbach die VdK-Pflegestudie überreichte.
Bundeskanzler Olaf Scholz übermittelte in seiner Video-Botschaft seinen Dank an den VdK, der wichtiger sei denn je. „Die Einschätzungen des VdK geben uns in der Bundesregierung eine wichtige Orientierung für unsere Sozialpolitik.“ Deshalb „fließen Ihre Empfehlungen auch häufig in unsere Gesetze mit ein“, so Scholz.
Blick in den Tagungssaal, auf einer großen Leinwand wird die Videobotschaft von Bundeskanzler Olaf Scholz gezeigt.
„Wir sind im gleichen Fanclub“, stellte CDUkurz fürChristlich Demokratische Union-Generalsekretär Mario Czaja zu Beginn seiner Rede fest und griff Benteles Worte zum Sozialstaat auf. Er sei dem VdK sehr dankbar für die Demo ohne Menschen im Rahmen der Nächstenpflege-Kampagne. Es sei wichtig, dass im Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetz das Entlastungsbudget wieder aufgenommen werde, weil es den pflegenden Angehörigen helfe. „Gut, dass wir in diesem Punkt an einem Strang ziehen“, sagte Czaja.
Die Vorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, sprach sich für Nachbesserungen bei Bürgergeld und Mindestlohn aus und wies auf die „unsichtbare Säule unseres Gesundheitssystems hin: die pflegenden Angehörigen“. Bei der Finanzierung der Pflege würden Löcher gestopft. „Stattdessen brauchen wir eine Versicherung, in die alle einzahlen.“ Bereits jetzt würden sich die Leistungen von privater und gesetzlicher Pflegeversicherung kaum voneinander unterscheiden.
Sie wolle nicht hinnehmen, dass bei armen Menschen das Gefühl entstehe, dass Armut kein gesellschaftliches Problem sei, sondern der Grund dafür im individuellen Versagen der Betroffenen liege. „Wir müssen diese Menschen stärken, statt sie zu unterdrücken“, sagte Lang. Es sei wichtig, die Familien zu erreichen, denen das Geld für die Entwicklung ihrer Kinder fehle. „Die Kindergrundsicherung ist mehr als eine Verwaltungsreform oder ein Digitalisierungsprojekt.“
Erst soziale Frage klären
Im Kampf gegen die Klimakrise, so die Grünen-Chefin, müsse bei allen Maßnahmen die soziale Frage immer als Erstes geklärt werden. Damit spielte Lang auf das Heizungsgesetz an und sprach vielen Anwesenden aus der Seele.
Pascal Kober, sozialpolitischer Sprecher der FDPkurz fürFreie Demokratische Partei-Bundestagsfraktion, würdigte den VdK als „starke Stimme in der Sozialpolitik“. Seiner Meinung nach wird soziale Gerechtigkeit zu sehr auf das zur Verfügung stehende Geld reduziert. Die Frage, welche Förderung Menschen benötigen, um ihre Fähigkeiten zu entwickeln, spiele eine zu geringe Rolle. Gerechtigkeit sei „nicht nur Verteilungsgerechtigkeit, sondern auch Befähigungsgerechtigkeit“. Der FDPkurz fürFreie Demokratische Partei gehe es um einen „ganzheitlichen Armutsbegriff“. Ziel müsse sein, die Potenziale der Menschen zu erkennen und zu entwickeln.
Janine Wissler, Vorsitzende der Partei Die Linke, bezeichnete es als Schande für Deutschland, dass die Regierung die Armut nicht bekämpfe. Sie kritisierte die zu geringen Regelsätze beim Bürgergeld und forderte, dass die Kindergrundsicherung sofort kommen müsse.
Eine klare Absage erteilte Wissler einer Erhöhung des Renteneintrittsalters. „Das ist eine Rentenkürzung für Menschen, die hart arbeiten.“ Sie warb zudem für bessere Löhne für das Pflegepersonal: „Ich habe mit einer Frau gesprochen, die 45 Jahre in der Altenpflege gearbeitet hat, aber sich im Alter keinen Pflegeheimplatz leisten konnte.“
Großes Interesse
Ums Geld ging es auch bei Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Die Ausgaben in der Pflegeversicherung würden schneller wachsen als bei Sozial-, Kranken- oder Rentenversicherung, sagte er und kündigte an zu prüfen, ob mehr Steuermittel genutzt werden könnten. Langfristig sei ebenfalls über eine Zusammenführung der Pflegeversicherungen zu befinden.
Lauterbach warb darum, Kritik mit Augenmaß zu formulieren: „Die Qualität der Pflege ist gegeben. Lassen Sie uns nicht kaputtreden, nicht geringschätzen, was wir erreicht haben.“
Beim VdK hatte er sich zuvor für den kritischen, aber fairen Umgang bedankt. Der Gesundheitsminister kündigte an, die zuvor von Verena Bentele überreichte VdK-Pflegestudie „mit großem Interesse“ zu lesen. Dann verabschiedete er sich, um im Kabinett weiter über die Pflegereform zu verhandeln. Bentele kommentierte Lauterbachs Auftritt anschließend erfreut unter dem Applaus der Zuhörer: „Er nimmt was von uns mit in die Verhandlung. Das haben wir gut gemacht.“