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83-Jährige entwirft Unterwäsche für Pflegebedürftige

Als die Versorgung ihres demenzkranken Mannes immer mehr Zeit in Anspruch nimmt, kann die Mathematikerin Gisela-Elisabeth Winkler ihren Beruf nicht mehr ausüben. Um sich die schwere Pflegetätigkeit zu erleichtern, erfindet sie Unterwäsche, die sich öffnen und schließen lässt. Das ist der Startschuss für ihre zweite berufliche Laufbahn als Erfinderin und Unternehmerin.

Gisela-Elisabeth Winkler zeigt zwei Wäschestücke aus ihrer Kollektion.
© Jörg Ciszewski / VdK

Neun Jahre hat Gisela-Elisabeth Winkler ihren an Demenz erkrankten Ehemann zu Hause versorgt. Die zierliche Frau weiß, wie körperlich und mental anstrengend die häusliche Pflege ist. “Mein Mann wurde spastisch, verkrampfte oft so sehr, dass ich seine Arme und Beine nicht mehr bewegen konnte”, erinnert sie sich. Sie hatte Angst, ihm weh zu tun, wenn sie ihn anzog. Selbst zusammen mit einer Pflegekraft war das oft kaum zu schaffen.

Pflegerinnen waren begeistert

Die Not machte sie erfinderisch. Mit ihrer Schwester Sigrid Ladig, einer Schneidermeisterin, entwarf sie Unterwäsche, die sich mit Druckknöpfen öffnen und schließen lässt. Dadurch brauchte ihr Mann beim An- und Ausziehen des Unterhemds nicht mehr die Arme zu heben. Es reichte, ihn dafür auf die Seite zu drehen. Die Pflegerinnen, die ihr zu Hause halfen, waren begeistert von der Wäsche. Winkler hingegen war überrascht, dass so es etwas noch nicht gab.

Das bestärkte sie darin, die Kleidung bei der Internationalen Fachmesse “Ideen - Erfindungen -Neuheiten” in Nürnberg vorzustellen. Die Druckknöpfe hatte sie mittlerweile durch Klettverschlüsse ersetzt. Die Jury zeichnete ihre Erfindung mit einer Goldmedaille aus. Das beflügelte sie. Mit ihrer Schwester begann sie, an Mustern zu arbeiten, suchte nach Materialien und recherchierte Produktionsstandorte. Sigrid Ladig entwarf Schnitte für verschiedene Größen. Die Idee einer eigenen Firma nahm Gestalt an. In Deutschland leben rund fünf Millionen pflegebedürftige Menschen. Da muss es einen Bedarf für dieses Produkt geben, dachte Winkler.

2010, ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes, gründete sie im Alter von 70 Jahren mit ihrer zwei Jahre jüngeren Schwester die Ladig & Winkler GmbH. Die Wäsche erhielt den Markennamen “Saba” und wird in der Nähe von Chemnitz produziert, in einer Region, wo die Textilindustrie Tradition hat.

Winkler hatte viele Jahre als Redakteurin bei einer mathematischen Fachzeitschrift gearbeitet und keinerlei Erfahrung mit der Gründung eines Unternehmens. Für die ersten Schritte nahm sie an einem Förderprogramm für Firmengründungen teil und hatte ein halbes Jahr eine Unternehmensberatung an ihrer Seite. Die Seniorin entwickelte eine Webseite mit Online-Shop, den sie zu Hause in Berlin-Hermsdorf betreibt.

Patent angemeldet

Ihre Kundinnen und Kunden sind Privatpersonen. Die Kundenliste umfasst rund 1.000 Namen. Die Unterhemden für Herren oder Damen, Slips und Unterhosen kosten zwischen 43 und 49 Euro. Pflegeheime, denen sie ihre Wäsche zum Test überließ, gaben ihr zwar positive Rückmeldungen. Allerdings sei daraus bislang noch keine Großbestellung entstanden. Das Design der Saba-Unterwäsche mit dem Klettverschluss hat sie sich patentieren lassen. Kürzlich habe sie im Internet einen chinesischen Anbieter gefunden, der ein fast identisches Produkt anbietet. Das habe sie dem Onlineversandhändler gemeldet: “Ich hoffe, dass der schnell auf diesen Verstoß gegen das Patentrecht reagiert und das Produkt aus dem Angebot nimmt”, sagt sie.

Preise, aber kein Kredit

Kürzlich wurde Winkler mit einem weiteren Preis ausgezeichnet. Sie erhielt den “Zugabepreis” der Körber-Stiftung, weil sie “als Quereinsteigerin zur erfolgreichen Unternehmensgründerin wurde, motiviert durch den sozialen Nutzen, nicht durch maximale Gewinnorientierung”. Die Stiftung bezeichnete sie als Vorbild für den mutigen Neuanfang im Alter. Die Unternehmerin ist gefragter Gast bei Podiumsdiskussionen, und mehrere Medien haben bereits über sie berichtet. Allerdings befindet sie sich gerade an einem Punkt, an dem es geschäftlich nicht recht weitergeht.

Auf der Suche nach Kapital, um die Werbung zu intensivieren und die Nachfrage anzukurbeln, lassen die Banken sie abblitzen. In ihrem Alter erhält sie keinen Kredit mehr. Auch ihr Antrag beim Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkasse, die Wäsche als Pflegehilfsmittel anzuerkennen, verlief bisher im Sande. Doch die 83-Jährige gibt nicht auf. Sie hat bereits weitere Kleidungsstücke für Pflegebedürftige entwickelt.