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Im Urlaub ist vieles möglich: das Gewohnte hinter sich lassen, Grenzen überschreiten, die Welt entdecken. Doch wenn sich Menschen erholen wollen, denen bereits im Alltag Hindernisse begegnen, braucht es eine akribische Planung. Für Pflegebedürftige oder Menschen mit Behinderung ist es essenziell, die gesamte barrierefreie Reisekette zu berücksichtigen – von der Buchung über die Fahrtwege bis zur Teilhabe an touristischen Angeboten.
Ist die Rezeption gut ausgeschildert? Kann der Rollstuhl im Hotelzimmer wenden? Gibt es steile Böschungen neben dem Wanderweg? Reguläre Reisekataloge stoßen schnell an ihre Grenzen. „Wer gesunde Augen, Füße und Ohren hat, für den sind Hotels Geschmackssache. Dann geht es etwa darum, welcher Pool am besten gefällt. Für Menschen mit Einschränkungen ist die Suche nach einer geeigneten Unterkunft knifflig“, sagt Yvonne Lang, Inhaberin von „Ihr Reisespezialist“.
Oftmals sind es vermeintliche Kleinigkeiten, die vorab geklärt werden müssen. „Viele unserer Kunden können gut laufen, aber haben Schwierigkeiten, an einer Leiter in den Pool zu steigen. Sie brauchen eine Anlage mit normalen Stufen und Geländer oder mit flachem Abstieg ins Wasser“, so Lang. Das Problem: In Katalogen gibt es keine Ausschreibungen mit diesen Details. „Wir müssen auf unser eigenes Wissen zurückgreifen, telefonieren mit Hoteliers oder prüfen vor Ort, wie es um die Barrierefreiheit steht.“
In der Unterkunft anzukommen, ist schon ein großer Schritt. Lang erinnert sich an Stammkunden mit einer schwerbehinderten Tochter in einem Spezialrollstuhl, die zur Delfintherapie in die Türkei fliegen wollen. „Wir können den Transport des Rollstuhls zwar anmelden, aber das Mädchen braucht eine spezielle Sitzschale für eine schmerzfreie und stabile Haltung. Die ist nicht genormt, sondern an den Körper angepasst. Airlines weigern sich, die Sitzschale mitzunehmen, obwohl man sie wunderbar auf dem Sitz anschnallen könnte.“ Inzwischen hat die Mutter eine Notlösung gewählt: Das Mädchen sitzt im Flugzeug auf einem weniger stabilen, aber erlaubten Stillkissen.
Als zwei Menschen mit Sehbehinderung die erste Auslandsreise ihres Lebens planen, fährt Lang in ein spanisches Hotel und läuft die Wege innerhalb der Ferienanlage ab. „Im Außenbereich führte ein Holzpfad bis zum Strand, sodass dieser mit dem Blindenstock begehbar war. Im Speisesaal stand den Urlaubern eine deutschsprachige Servicekraft zur Seite und erklärte das Essensangebot. Eine Buffet-Beschreibung in Brailleschrift habe ich aber auf der ganzen Welt noch nicht gesehen.“ Häufig organisiert Lang pragmatische, individuelle Hilfestellungen, denn viele Anbieter haben die Bedürfnisse der Zielgruppe erst seit Kurzem im Blick.
„Lange Zeit war in den Köpfen verankert: Eine Behinderung, das bedeutet, zu Hause sein. Seit wenigen Jahren ändert sich diese Denkweise – dank der gestiegenen Nachfrage allmählich auch bei den Hoteliers und Reiseveranstaltern“, sagt Lang. Sie selbst ist seit fast drei Jahrzehnten in der Tourismusbranche tätig. Anfangs betreute sie den behindertengerechten Umbau einer Hotelkette. Als sie nach mehreren Operationen aufgrund eines angeborenen Hüftfehlers über zwei Jahre hinweg kaum laufen kann, schult sie um und gründet das Reisebüro in Saarbrücken, um Menschen mit besonderen Bedürfnissen den Urlaub zu ermöglichen. „Ich habe mich damals geärgert, weil es kein Schwimmbad oder Hotel gab, bei dem ich Nass-Gehhilfen leihen konnte, um sicher ins Wasser zu kommen“, so Lang.
Spezialisierte Reiseveranstalter bieten eine Haustür-Abholung und beantragen direkt Unterstützung für Flug- und Bahnreisen. Urlauber können bereits bei der Buchung angeben, welche Hilfsmittel sie im Ferienort brauchen und nach Bedarf beispielsweise Gehilfe, Rollator, Rollstuhl, Toilettenerhöhung bis hin zum Pflegebett mieten. Besonders gefragt ist ein Strandrollstuhl, der es mit breiteren Reifen möglich macht, bis ins Wasser zu fahren.
Auch ambulante Pflegedienste können im Ausland ins Hotel kommen. „Es gibt innerhalb von Deutschland selbst Kunden mit einer 24-Stunden-Pflegebetreuung und Angehörige, die im Urlaub tageweise die Kurzzeitpflege beanspruchen können. Einige Kassen kooperieren auch mit Pflegehotels in Deutschland, Belgien und Spanien – die Anträge sollten aber auf jeden Fall mehrere Monate im Voraus gestellt werden“, so Lang.
Zwischen Skandinavien und Südafrika herrschen unterschiedliche Auffassungen darüber, was Barrierefreiheit im Tourismus bedeutet. „Viele Hoteliers denken, wenn sie eine kleine Rampe und einen Fahrstuhl haben, genügt das. Die nächste Stufe ist eine etwas breitere Türe und eine eben begehbare Dusche. Klar hilft das manchen Urlaubern, aber das ist nicht barrierefrei, sondern gut gemeint“, so Lang.
Genauso wichtig sei es, mögliche Kultur- und Freizeitangebote vor Ort zu erfragen: „Man fährt ja nicht in den Urlaub, um nur im Hotel zu sitzen.“ Ob ein Angebot mit Barrierefreiheit wirbt, wurde bislang der Selbsteinschätzung des Anbieters überlassen, internationale Prüfverfahren mit Detailangaben für unterschiedliche Einschränkungen fehlen.
Einen Vorstoß, um eine bundesweit einheitliche Kennzeichnung für Barrierefreiheit zu etablieren, gibt es bereits. Das Projekt „Reisen für Alle“ nimmt touristische Angebote unter die Lupe. Online werden Unterkünfte, Unterhaltungs- und Freizeitangebote, Verkehrsmittel und Ausflugsziele gesammelt, die „barrierefrei geprüft“ sind. In einer ausführlichen Beschreibung erfahren beispielsweise gehörlose, blinde oder auf einen Rollstuhl angewiesene Menschen, ob das Angebot speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist.
Ein Hotel, das bereits zum zweiten Mal zertifiziert wurde, ist das euvea Freizeit- und Tagungshotel in der Südeifel (www.euvea.de), das von Organisationen für Menschen mit Behinderung aus Deutschland, Belgien, Frankreich und Luxemburg betrieben wird. „Es ist uns wichtig, dass sich die Barrierefreiheit durch alle Hotelbereiche zieht und die Erholung für Menschen im Rollstuhl nicht vor dem Wellnessbereich endet. Neben einem Pflegebad haben wir seit diesem Jahr sogar einen Whirlpool, der mit Deckenlifter erreichbar ist“, sagt Thomas Metzger, Leiter des euvea-Hotels.
Barrierefreie Tourismusangebote wie diese sind in Deutschland längst nicht flächendeckend zu finden. Von über 2200 Angeboten, die „Reisen für Alle“ geprüft hat, sind im Saarland bislang nur zwei gelistet. „Die Landesmarketingorganisationen und zuständigen Ministerien aller Bundesländer haben zugesagt, das Kennzeichnungssystem einzuführen. Zögerlich sind bislang vor allem die Bundesländer, die zuvor eigene Prüfsysteme hatten“, sagt Rolf Schrader, Projektleiter von „Reisen für Alle“. Zukünftig sollen alle Reisenden, auch Familien mit Kinderwagen und Urlauber mit Gepäck, Informationen über touristische Anbieter entlang der gesamten Servicekette erhalten.
Das bundesweit einheitliche Kennzeichnungssystem „Reisen für Alle“ vermittelt zuverlässige Informationen darüber, inwieweit ein touristisches Angebot die Kriterien der Barrierefreiheit erfüllt. Neben dem Logo „Barrierefreiheit geprüft“ geben Piktogramme an, für welche Zielgruppe das Angebot umfassend oder teilweise zugänglich ist. Auf der Website www.reisen-fuer-alle.de erhalten Interessierte detaillierte Beschreibungen zu ihren Reisezielen. Mit dem Projekt soll die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland umgesetzt werden, die besagt, dass die Teilhabe an Tourismus und Freizeit eine wichtige Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben ist.
Bislang wurden über 2200 Unterkünfte, Unterhaltungs- und Freizeitangebote, Verkehrsmittel und Ausflugsziele zertifiziert. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert und vom Deutschen Seminar für Tourismus (DSFT) Berlin e.V. in Kooperation mit Tourismus für Alle Deutschland e.V. (NatKo) umgesetzt, einem Zusammenschluss von bundesweit tätigen Verbänden der Behindertenselbsthilfe, sowie mit touristischen Akteuren.
Die Volkshochschule Regionalverband Saarbrücken veranstaltet regelmäßig barrierefreie Tagesfahrten (Kontakt unter der Telefonnummer (0681) 506-4343). Das Netzwerk Hören ist ein Projekt des saarländischen Wirtschaftsministeriums und bietet Wanderungen, Stadt- und Museumsführungen für Menschen mit Höreinschränkungen an (Infos unter www.hoeren.saarland).
Myriam Moser
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