Springen Sie direkt:
An „70 Jahre Kriegsende“ erinnert der Volkstrauertag am 15. November. Ein passender Anlass für den Sozialverband VdK, seiner Wurzeln zu gedenken. Die VdK-Zeitung geht auf Spurensuche.
“Der Sozialverband VdK hieß damals noch ‚Verband der Kriegsbeschädigten‘, und er war wie eine Gewerkschaft für uns“, erinnert sich Hubert Strick aus Münstermaifeld. Als Soldat hatte der heute 92-Jährige im Russlandfeldzug beide Füße und mehrere Finger verloren. „Der Staat konnte uns ja nicht versorgen, und so mussten wir uns selbst helfen“. Mit drei anderen Kameraden gründete Strick 1950 einen VdK-Ortsverband, so wie es in Rheinland-Pfalz bald Hunderte geben sollte.
„Der VdK ist als Selbsthilfeorganisation ganz klar ein Kind der Nachkriegszeit“, erläutert Dr. Andreas Linsenmann, Historiker an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. „Alles war ja zusammengebrochen: Der Staat, die Verwaltung, die Versorgung. 1946/47 gab es einen Hungerwinter, Lebensmittel waren knapp. Dazu kam, dass die Alliierten im Zuge der ‚Entnazifizierung‘ zunächst alle Militärrenten gestrichen hatten. Anerkannte Invaliden standen auf einmal mit leeren Händen da, und sie brauchten Unterstützung. Je nach Region waren über die Hälfte der Arbeitslosen körperbehindert. Die Menschen waren verunsichert, vom Schicksal gebeutelt und teilweise bettelarm. Deswegen schlossen sie sich zusammen.“
So entstand 1946 in einer Neuwieder Baracke der „Verband der rheinischen Kriegsgeschädigten und Hinterbliebenen aus den Weltkriegen 1914 bis 1918 und 1939 bis 1945“. Die französische Militärregierung in Rhein-land-Pfalz strich schnell das Wort „Krieg“ aus dem Namen – ein dreiviertel Jahr später hieß der VdK dann „Bund der Körperbehinderten und Hinterbliebenen“. Sein politisches Hauptziel war, für Kriegsbeschädigte und Witwen eine angemessene Versorgung durchzusetzen. Außerdem kämpfte er für die Freilassung der noch in Gefangenschaft verbliebenen Soldaten.
„Der VdK hat das soziale Sicherungssystem der späteren Bundesrepublik Deutschland entscheidend geprägt“, betont Landesverbandsvorsitzender Willi Jäger. „Er beeinflusste beispielsweise die Einführung des Landes- und Bundesversorgungsgesetzes für Kriegsbeschädigte und die Rentenerhöhung 1949. Seitdem ist der VdK einer der wichtigsten Interessenvertreter für sozial Benachteiligte.“
Innerhalb von vier Jahren nach seiner Gründung wuchs der Verband von 353 auf über 97.000 Mitglieder. Mit der Größe, dem Erfolg und den Jahren änderte sich auch sein Hauptsitz: Aus der provisorischen „Baracke“ zog der VdK in die Mainzer Straße 18 nach Koblenz. Nun nannte er sich „Verband der Kriegsbeschädigten, Kriegshinterbliebenen und Sozialrentner“. 1950 entstand der VdK-Bundesverband mit Sitz in Bonn.
„Der VdK blieb viele Jahre vornehmlich ein Verband der Kriegsbeschädigten“, erläutert Willi Jäger. „Ab den 70er Jahren schrumpfte er, weil viele Gründungsmitglieder starben. Deswegen kümmerte sich der VdK bald um alle Menschen mit sozialen Problemen, auch wenn sie mit der Kriegszeit nichts mehr zu tun hatten. Gleichzeitig setzte er Anfang der 80er Jahre verstärkt auf professionelle Öffentlichkeitsarbeit.“ Die Maßnahmen zeigten Wirkung, und der Verband erholte sich.
Doch manchem missfiel diese Entwicklung; einige erkannten „ihren VdK“ nicht wieder. Doch Hubert Strick, seit mittlerweile 66 Jahren Mitglied, sieht das anders: „Ich habe den VdK nie als reinen Soldatenverein gesehen, und ohne die Öffnung für andere Bevölkerungsgruppen gäbe es ihn nicht mehr. Der VdK ist wichtig für alle Menschen, die Hilfe brauchen.“
Nach etlichen Namenswechseln heißt der VdK seit 2002 nun offiziell „Sozialverband VdK Rheinland-Pfalz“. Mittlerweile hat er seine Hauptgeschäftsstelle in Mainz. Der Verband gliedert sich in 28 Kreis- sowie über 750 Ortsverbände und zählt rund 190.000 Mitglieder. Fast 220 hauptamtliche Mitarbeiter beraten Hilfesuchende in allen Fragen des Sozialrechts.
Seine Gestalt hat der VdK zwar geändert – er ist größer, gewichtiger und komplexer geworden – doch der Kern ist gleich geblieben. Das zeigt früher wie heute sein Motto: „Wir sind an Ihrer Seite“.
Michael Finkenzeller
Schlagworte Sozialverband VdK Rheinland-Pfalz | Gründung | Organisation
Dr. Linsenmann, Sie sind als Historiker an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz spezialisiert auf Zeitgeschichte. Wie ist das „Bindestrich-Land“ Rheinland-Pfalz entstanden?
Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es vier Besatzungszonen, deren Grenzen keine Rücksicht auf gewachsene Regionen legte. So kam es zum Beispiel, dass Mainz am Rhein zerschnitten wurde in einen hessischen und einen rheinland-pfälzischen Teil. Das heutige Rheinland-Pfalz war den Franzosen unterstellt. Gegründet am 30. August 1946 umfasste es Teile der preußischen Rheinprovinz, Rheinhessen, Hessen-Nassau, Birkenfeld und die Rheinpfalz.
Im Vergleich: Hatten es die Rheinland-Pfälzer mit den Franzosen eher gut oder eher schlecht getroffen?
Die Franzosen führten demokratische Strukturen ein und handelten nach dem Motto „sévère mais correct“, also „streng aber korrekt“. Materiell ging es den Menschen in der amerikanischen Zone besser. Frankreich war ja selbst vom Krieg geschwächt. Daher nutzten die Franzosen viele rheinland-pfälzische Ressourcen, um die Not im eigenen Land zu lindern: Holz, Bahngleise und Lebensmittel gingen über die Grenze.
Kam daher die große Hungersnot 1946/47?
Das war ein Faktor. Hauptursache war jedoch, dass es eine sehr schlechte Ernte gab. Außerdem hatte Nazi-Deutschland jahrelang die Agrarwirtschaft der besetzten Gebiete ausgebeutet. Diese Erträge fielen nun weg.
Warum verließ man nicht einfach die Zone?
Das war verboten, die Zonen waren streng abgeriegelt. Zum Beispiel ließen die Franzosen nur wenige Kriegsflüchtlinge aus dem Osten rein; die mussten zum Beispiel nach Bayern. Genauso schwierig war ausreisen. In Mainz gab es regelrechte Schlepper, die nachts über den Rhein paddelten. Teilweise wurde auf sie geschossen. Betrachtet man die Gegenwart, ist es erstaunlich, wo und wie sich Geschichte wiederholt.
Bildrechte auf der Seite "http://www.vdk.de//rheinland-pfalz/pages/70217/kind_der_nachkriegszeit":
Liste der Bildrechte schließen
Wir setzen auf unserer Website Cookies ein. Einige von ihnen sind notwendig, während andere uns helfen, unser Onlineangebot zu verbessern.