2. April 2015

Ganz normal anders leben

2. April ist Welt-Autismus-Tag: Familie beschreibt Alltag mit Sohn

Maximilian sitzt in einem großen Sessel und liest Tageszeitung. Von dem Elfjährigen sind hinter der aufgeschlagenen Zeitung nur seine hellblonden Haare, die Hände und Beine zu erkennen. Was um ihn herum im Mehrgenerationenhaus in Ingelheim gerade passiert, interessiert ihn wenig. Er ist vertieft in einen ganz bestimmten Zeitungsartikel. In dem Text geht es um ihn – den Jungen mit Autismus.

Der elfjährige Maximilian Grewe (zweiter von links) sieht die Welt mit anderen Augen, er leidet unter Autismus. Seine Eltern, VdK-Mitglied Harry (rechts hinten) und Angelika Grewe (Dritte von links), Bruder Aaron und Susanne Behne (Erste von links) vom “Elternkreises Autismus Rheinhessen“ vor der Ausstellung zum Thema "Autimsus". Foto: Katie Scholl | © Katie Scholl

"Liebeserklärung an unsere autistischen Kinder“ steht in großen Buchstaben auf einem Banner im Mehrgenerationenhaus Ingelheim. Dort informiert die Ausstellung des „Elternkreises Autismus Rheinhessen“ mit Fotos, Texten und Tafeln über die allgemein wenig bekannte Entwicklungsstörung bei Kindern (siehe Info-Kasten rechts). Auch Maximilians Familie erzählt in der Ausstellung ihre (Leidens-)Geschichte.

Die Eltern Angelika und Harry Grewe erinnern sich noch gut an ihre Hilflosigkeit. „Maximilian hat sich körperlich fast normal entwickelt, aber er konnte uns beim Reden nicht anschauen, keine Freude zeigen und mit anderen Kinder wollte er auch nie spielen“, fasst seine Mutter das für sie anfänglich unerklärliche Verhalten ihres Sohnes zusammen. Ärzte vertrösteten die Familie mit Sätzen wie: „Ihr Sohn ist eben ein Spätstarter“. Schließlich wurde ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung) diagnostiziert. Damit war für die Ärzte klar, warum Maximilian sich auffällig verhält, warum er aus dem Kindergarten wegläuft und auch später in der Schule vom Lärm und seinen Mitschülern gestresst ist. Seine Eltern ließen aber nicht locker. „Wir wussten, da ist noch etwas Anderes“, beschreibt Angelika Grewe das elterliche Bauchgefühl.

Sehr anstrengender Alltag

Erst als Maximilian neun Jahre alt ist, wird in einer Frankfurter Klinik die „erlösende“ Diagnose gestellt: Asperger-Autismus. Für die Grewes kein Schock, sondern eher eine Erleichterung. „Jetzt bekam Maximilian endlich die gezielte Unterstützung, die er braucht“, sagt Harry Grewe. Die Familie ging zum Jugendamt und beantragte eine Integrationshelferin für Maximilian, die ihn im Schulunterricht unterstützt und auf seine Bedürfnisse eingeht.

Außerdem konnten die Grewes nun Kontakt zu Familien suchen, die mit ihren autistischen Kindern ähnliche Erfahrungen gemacht haben. So stießen sie auf den 2012 gegründeten „Elternkreis Autismus Rheinhessen“ mit Susanne Behne. „Wir sind keine Leidensgemeinschaft“, stellt die Mutter eines neunjährigen Jungen mit Autismus gleich zu Beginn des Gesprächs klar. „Wir sind viel mehr eine Freudensgemeinschaft, denn wir sind alle große Fans unserer Kinder. Auch wenn unser Leben sehr, sehr anstrengend ist.“

Kampf gegen Klischees

Behne und die anderen Eltern haben die Erfahrung gemacht, dass ihre Kinder oft gegen Klischees ankämpfen müssen. Und „Ey, Du Autist“ auf dem Schulhof auch schon mal als Schimpfwort benutzt wird. Mit der Ausstellung „Autismus – ganz normal anders leben“ will der Elternkreis mit Vorurteilen aufräumen und informieren. Und das Konzept scheint aufzugehen. Während des Gesprächs mit der VdK-Zeitung steht plötzlich eine Lehrerin vor den Infotafeln und fragt: „Kann ich hier mehr über Autismus erfahren?“ Erfreut beantworten die Eltern alle Fragen.

Und Maximilian? Der hat mittlerweile seine Tageszeitungslektüre beendet und sitzt neben seinem jüngeren Bruder Aaron auf dem Boden zwischen den Ausstellungstafeln und legt Zahlenreihen mit Bauklötzen – ganz normal anders eben.

Katie Scholl

Schlagworte Autismus | Elternkreises Autismus Rheinhessen

Was ist Autismus?

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Autismus beziehungsweise eine Autismus-Spektrums-Störung (ASS) als eine angeborene schwerwiegende Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsstörung des Gehirns. Die WHO unterscheidet zwischen 1) Frühkindlichem Autismus, 2) Atypischem Autismus, 3) Asperger-Syndrom und 4) nicht näher bezeichneten tiefgreifenden Entwicklungsstörung. Die Symptome und Ausprägungen des Autismus sind vielfältig; sie können von leichten Verhaltensproblemen an der Grenze zur Unauffälligkeit bis zur schweren geistigen Behinderung reichen. Allen autistischen Behinderungen sind Beeinträchtigungen des Sozialverhaltens gemeinsam – zum Beispiel Schwierigkeiten, mit anderen Menschen zu sprechen, Gesagtes richtig zu interpretieren, Mimik und Körpersprache einzusetzen und zu verstehen.

Elternkreis Autismus Rheinhessen

© Elternkreis Autismus Rheinhessen

Als unabhängige Initiative haben sich Betroffene im „Elternkreis Autismus Rheinhessen“ vernetzt. Sie treffen sich regelmäßig im Mehrgenerationenhaus in Ingelheim und wollen auf ihre besondere Situation aufmerksam machen.

Mehr Informationen gibt es auf der Internetseite www.autismus-rheinhessen.de. Fragen beantworten Susanne Behne (Telefon 06130/9478428) und Anna Daum (Telefon 06132/449399) vom Orga-Team. Per Mail kann der Elternkreis über info@autismus-rheinhessen.de kontaktiert werden.

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