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Eberstädter Stadtgeschichte

Eberstädter Stadtgeschichte
Im ländlich geprägten Eberstadt setzte im 19. Jahrhundert die allmähliche Ablösung der Jahrhunderte alten agrarischen Struktur durch eine zunehmende Industrialisierung und Urbanisierung ein. Eisenbahn und Dampfstraßenbahn machten den Ort zu einem Umschlagplatz des regionalen Handels und verbanden ihn mit der Hauptstadt Darmstadt. Unternehmen der Eisen- und Papierindustrie, Gerbereien sowie die Hefefabrik Pleser siedelten sich in der wasserreichen Gemeinde an. Mit Errichtung eines Wasserwerks (1893), des Gas- und Elektrizitätswerks (1899), der Volksbibliothek und des Schwimmbads (1890, 1899) sowie mit dem Bau dreier Schulen (1880 bis 1908) trieb die Gemeindeverwaltung die Urbanisierung voran.

Die Straßenbahn nach Darmstadt ermöglichte es vielen Bewohnern, in Darmstadt Arbeit zu finden, was die Attraktivität Eberstadts als Wohnort steigerte. Die Einwohnerzahl stieg von knapp 2500 zur Mitte des 19. Jahrhunderts auf etwa 8000 am Vorabend des Ersten Weltkriegs und fast 9000 im Jahr 1937. Im Ortszentrum, in der seit 1898 erschlossenen Villenkolonie, ab 1925 am Lämmchesberg und seit 1932 in der Kirchtanne und am Bellenweg entstanden Neubausiedlungen für alle Einkommensschichten.
Seit Mitte der zwanziger Jahre ließ die Stadt Darmstadt den Wunsch nach Eingemeindung der wohlhabenden Vorortgemeinde erkennen, ein Wunsch, den die Landesregierung, insbesondere Innenminister Wilhelm Leuschner, unterstützte, der in Eberstadt aber kaum auf Gegenliebe stieß. Die Gemeindeverwaltung unternahm weitere Anstrengungen, um ihre Selbstständigkeit zu erhalten, versuchte Industrieunternehmen anzuwerben, spekulierte auf einen eigenen Anschluss an die seit 1926 geplante Autobahn Darmstadt ? Heidelberg, verstärkte die Fremdenverkehrswerbung und warb spätestens seit 1931 mit dem Prädikat ?Luftkurort?, ohne dass eine offizielle Verleihung dieses Titels vorliegt. Vermutlich strebte Eberstadt auch die Erhebung zur Stadt an.
Die Machtergreifung der Nationalsozialisten machte alle Bemühungen um den Erhalt der Selbstständigkeit zunichte, obwohl selbst der nur aus NSDAP-Mitgliedern bestehende Gemeinderat und der zum Bürgermeister ernannte Parteigenosse Wille Madre, gestützt auf den Willen der Bevölkerung, sich den Eingemeindungsplänen mehrfach widersetzten ein unter dem totalitären NS-Regime bemerkenswerter Vorgang.

Einsam tuckert ein Auto um 1940 durch die Heidelberger Landstraße in Richtung Norden. Im Vordergrund links ist die kleine Sackgasse an der Modaubrücke zu sehen, im Hintergrund die Einmündung der Pfungstädter Straße.

Schon 1934 zeigte der Darmstädter NS-Oberbürgermeister Otto Wamboldt offen sein Interesse an einer Eingemeindung. In einer Denkschrift vom Oktober 1935, sicher mit Reichsstatthalter und Gauleiter Jakob Sprenger abgestimmt, begründete Wamboldt den Eingemeindungsantrag für Eberstadt sowie für Arheilgen und Griesheim unumwunden mit dem Raumbedarf für militärische Zwecke. Die Wiederaufrüstung und Wiedereinführung der Wehrpflicht mache Kasernenbauten in großem Rahmen notwendig, nur eine ausreichende Baulandreserve erfülle die Bedürfnisse der künftigen Garnisonsstadt. Daneben komme die Eingemeindung auch dem von den neuen Machthabern forcierten Siedlungsbau zugute. Im Hintergrund der Darmstädter Initiative stand sicher auch das Bestreben, den Status einer Großstadt und damit die Kreisfreiheit zu erlangen.

In einer Stellungnahme vom Januar 1936 lehnte der Gemeinderat das Eingemeindungsbegehren erneut einstimmig ab und stellte besonders heraus, Eberstadt sei eine wirtschaftlich lebensfähige Gemeinde, man sei schuldenfrei und besitze eine gute Infrastruktur. Darmstadt benötige nicht mehr Raum zum Bau von Siedlungen und militärischen Anlagen, besäße vielmehr selbst genügend Flächen. Die Eberstädter hatten vor allem Bedenken gegen die in Darmstadt wesentlich höheren Steuersätze und gegen die befürchtete Erhebung von Anliegerbeiträgen.
Alle Argumente verfingen nicht. Gauleiter Jakob Sprenger reagierte auf die Eberstädter Opposition zunächst mit der Beurlaubung von Bürgermeister Wille Madre. Sein Stellvertreter, der Erste Beigeordnete Heinrich Dächert IV., zeigte sich umgänglicher und wollte Vergünstigungen für seine Gemeinde aushandeln. Immerhin konnte man im Eingemeindungsvertrag vom 24. Dezember 1936 durchsetzen, dass Darmstadt sich zum Bau einer Kanalisation und eines Schwimmbads verpflichtete und für zehn Jahre darauf verzichtete, die Bewohner für Anliegerbeiträge heranzuziehen.
Außerdem ließ man den Eberstädtern das Ortsgericht und Standesamt und richtete eine Ortsverwaltung ein, die, eigentlich als Übergangslösung gedacht, bis heute Bestand hat. Gauleiter Sprenger verfügte die Eingemeindung Eberstadts nach Darmstadt zum 1. April 1937. Noch im Winter 1937/38 wurde in der südlichen Eberstädter Gemarkung mit dem Bau der Heeresmunitionsanstalt (MUNA) begonnen.

Bevor die ausgehandelten Vorteile der Eingemeindung richtig griffen, machten der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und die Zerstörung Darmstadts alle Vorhaben für viele Jahre zunichte. Bestrebungen, die Eingemeindung nach 1945 rückgängig zu machen, widersetzte sich Ortsverwalter Fritz Dächert: Das zerstörte Darmstadt benötige die Hilfe der Eberstädter, man könne die Stadt jetzt nicht allein lassen. Immerhin halfen auch viele ausgebombte Darmstädter, die es nach Eberstadt verschlagen hatte, beim Aufbau des Ortes, bei der Beseitigung von Kriegsschäden und beim großteils in Selbsthilfe organisierten Siedlungsbau mit.
Nach der Überwindung der größten Probleme des Wiederaufbaus löste Darmstadt seine Zusagen aus dem Eingemeindungsvertrag ein und errichtete 1954 bis 1957 eine Kanalisation mit Kläranlage, zwei Jahre später erfolgte die Einweihung des Mühltalbades. Hinzu kamen der Bau mehrerer Schulen, die Ortskernsanierung und die Umgehungsstraßen im Süden und Westen.
Eberstadt hat also durchaus vom großen Partner profitiert. Daneben konnte der Stadtteil sein eigenes kulturelles Leben entfalten und seine Eigenheiten pflegen. Nicht zuletzt hat sich der Eberstädter Geschichtsverein auf die Fahne geschrieben, die Eberstädter Identität durch die Vergegenwärtigung ihrer historischen Wurzeln zu stärken.

(Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Dr. Peter Engels, Staatsarchiv Darmstadt)

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