26. Mai 2023
Presse

„Wir erfinden uns immer wieder neu!“

Interview mit dem Vorsitzenden des VdK-Landesverbands, Horst Vöge

75 Jahre VdK in NRW – dieses Jubiläum feiert unser Sozialverband am 3. Juni 2023 mit einem Festakt in der Gründungsstadt Bochum. Im Vorfeld dieser Veranstaltung sprach die VdK-Redaktion mit Horst Vöge über die Entwicklung des VdK in unserem Bundesland, über neue Herausforderungen und über soziale Schieflagen.

Horst Vöge steht nicht nur an der Spitze des VdK in NRW, sondern fungiert seit 2017 auch als Vize-Präsident des VdK Deutschland. | © eventfotograf.in

Herr Vöge, was nimmt der VdK in NRW aus 75 Jahren Vergangenheit mit in die Zukunft?

H. Vöge: Von der ersten Stunde an ist in unserem Sozialverband eine Bewegung entstanden, in der viele Menschen etwas verändern, etwas verbessern wollen – für sich selbst, aber vor allem für diejenigen, die in soziale Nöte und Ängste geraten sind oder denen eine Teilhabe am Leben erschwert wird. Damals wie heute sind wir längst nicht am Ende. Wir setzen den Kampf gegen Altersarmut, für eine bessere Pflege und für gerechtere Renten mit Nachdruck fort.

Fast 400.000 Mitglieder vertrauen in unserem Bundesland dem VdK. Warum ist das so und wie sehen Sie die weitere Entwicklung?

H. Vöge: Das Kernstück unserer Arbeit ist die sozialrechtliche Beratung für die Hilfesuchenden. Hier sind wir stark. Das ist ein schon Brett. Wir konnten sehr vielen Menschen helfen. Das liegt mir sehr am Herzen. Aber wir sind auch eine kraftvolle Stimme für ein soziales Miteinander und für eine offene wie tolerante Gesellschaft. In den Medien sind wir präsent wie nie. Es vergeht fast kein Tag ohne eine Anfrage in unserer Presseabteilung. Dadurch machen wir den VdK in der Öffentlichkeit noch bekannter. Ich schätze, wir haben in zehn Jahren 500.000 Mitglieder.

Welche Lehren zieht der Verband aus der Pandemie?

H. Vöge: Dass wir in jeder Hinsicht flexibel bleiben müssen. Zum Glück erfinden wir uns immer wieder neu. Corona hat uns alle verändert – ja, aber Corona hat auch die Digitalisierung im Eiltempo in den Verband eingebracht. Plötzlich waren wir zu neuen technischen Voraussetzungen gezwungen und haben diese gemeistert. Ich bin in diesem Zusammenhang stolz auf viele ältere Mitglieder und Ehrenamtliche beim VdK. Trotz aller Vorbehalte haben sie sich auf die digitale Welt eingelassen. Es gibt jedoch immer noch etliche, die keinen Zugang zum Internet haben.

Viele Menschen machen sich aktuell große Sorgen. Krieg in der Ukraine, Inflation oder Energiekrise - wie sozial ist Nordrhein-Westfalen noch?

H. Vöge: Nordrhein-Westfalen ist sozial stark – noch! Denn die Landesregierung muss unbedingt die Zukunftsprobleme anpacken. Die überdurchschnittlich hohe Armutsquote ist ja nur eine von mehreren sozialen Schieflagen, die wir im bevölkerungsreichsten Bundesland besonders deutlich spüren. Wir stehen dazu in engem Austausch mit allen demokratischen Parteien und versuchen den Finger in die Wunde zu legen – auch dank unserer Abteilung Sozialpolitik.

„Für Ältere oder Menschen mit Mobilitätseinschränkungen ist oft schon vor dem Bahnhof die Reise zu Ende. Das macht mich wütend.“

Horst Vöge

Wie gut sind wir für den demografischen Wandel gerüstet?

H. Vöge: Bis 2030 wird die Zahl der Menschen im Rentenalter in NRW um gut zehn Prozent steigen - in ländlichen Regionen wie Borken-Coesfeld, Paderborn, Heinsberg oder Euskirchen sogar noch deutlicher. Aus diesem Grund ist ein ganzes Bündel an Maßnahmen erforderlich, damit die Herausforderungen einer immer älter werdenden Gesellschaft der Politik nicht über den Kopf wachsen.

Welche Maßnahmen meinen Sie konkret?
H. Vöge: Land und Kommunen müssen ihre Infrastruktur noch stärker auf die Bedürfnisse der älteren Generation ausrichten. Dabei sind vor allem der Ausbau von barrierefreien Verkehrswegen und Wohnungen gefragt, die Schaffung von gesellschaftlichen und kulturellen Begegnungsorten sowie sportlichen Angeboten bis hin zur ärztlichen und pflegerischen Versorgung. Darüber hinaus lehnen wir eine Anhebung des Renteneinstiegsalters strikt ab.

Die Expertise des VdK ist bei den Medien gefragt wie nie – hier steht Horst Vöge in der ZDF-Sendung „Volle Kanne“ zum Bürgergeld Rede und Antwort.

Auch bei der Pflege sind Betroffene am Limit. Rennen wir in eine Katastrophe?

H. Vöge: Die Situation ist wirklich dramatisch. Der akute Fachkräftemangel in der ambulanten und stationären Pflege, die sehr hohen Pflegekosten für die Betroffenen sowie die immer noch mangelhafte Unterstützung von pflegenden Angehörigen stürzen die Pflege ins Chaos. Umso dringender ist es, dass sich die Menschen in NRW flächendeckend auf eine gute, unabhängige Beratung verlassen und ausreichend Plätze zur Kurzzeit-, Verhinderungs- sowie Tagespflege abrufen können.

Wohnraum wird trotz Mietpreisbremse ebenso immer teurer – was muss geschehen?

H. Vöge: Wir brauchen dringend neuen Wohnraum. Bauen, bauen und nochmals bauen alleine ist dabei nicht die Lösung! Vielmehr muss das gebaut werden, was die Menschen auch brauchen, nämlich barrierefreie, altersgerechte und vor allem bezahlbare Wohnungen. Auch hier sehe ich eine zentrale Aufgabe für die Landespolitik.

Stichwort Barrierefreiheit! Wann werden wir über dieses Thema im ÖPNV nicht mehr sprechen müssen?

H. Vöge: Leider ist es ein Thema für die Ewigkeit. Es gibt in einigen Städten und Kreisen zwar positive Ansätze, aber diese reichen nicht aus. Für Ältere oder Menschen mit Mobilitätseinschränkungen ist oft schon vor dem Bahnhof die Reise zu Ende. Das macht mich wütend. Ich sehe darin einen massiven Verstoß gegen das Gebot der gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen mit Behinderung.

Was bewirken Kampagnen des VdK?

H. Vöge: Unsere Kampagnen wie zuletzt die „Nächstenpflege“ haben enorme Strahlkraft. Wir erhöhen so den Druck auf die politischen Entscheidungsträger und sorgen dafür, dass soziale Schieflagen stärker wahrgenommen werden. Das geht nur mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen.

In Ihrem Verband benötigen Sie auch das Engagement von Ehrenamtlichen. Wie gewinnen Sie gerade in dieser schweren Zeit neue Aktive dafür?

H. Vöge: Mit einer neuen Satzung haben wir die Basis für ein attraktiveres und auch flexibleres Ehrenamt geschaffen. Wir werden digitaler, vernetzen uns schneller, bauen unser Schulungsprogramm aus und bleiben vor Ort aktiv – als große Gemeinschaft.

Der Sozialverband VdK NRW feiert sein 75-jähriges Bestehen. Wer Geburtstag hat, darf sich etwas wünschen. Was wünschen Sie sich?

H. Vöge: Unser Einsatz für den Frieden, das Bekenntnis zum demokratischen und sozialen Rechtsstaat, der Kampf für ein soziales Miteinander, für Solidarität und Menschlichkeit muss eine Verpflichtung bleiben – genauso wie die Einsatzfreude für jedes einzelne Mitglied.

Tobias Zaplata

Vita von Horst Vöge

Der Vorsitzende des Sozialverbands VdK NRW wurde am 22. Dezember 1947 in der Nähe von Stralsund geboren.

Sein erstes Taschengeld verdiente er sich als Kind mit etwa neun Jahren, als er im Duisburger Stadtteil Walsum Alteisen sammelte und auf dem Schrottplatz verkaufte.
Nach der Schule absolvierte er eine Kochlehre und studierte danach Geschichte, Politik und Wirtschaft an der Uni Duisburg. Anschließend war er als Restaurantleiter, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag und als Angestellter im Bergbau tätig.

Seit 1973 ist Vöge Mitglied der SPD - von 1990 bis 2005 sogar Mitglied des Landtags NRW. Innerhalb dieser Zeit gestaltete er nicht nur die Sozialpolitik des Landes NRW maßgeblich mit, sondern lernte auch den Sozialverband VdK bestens kennen, dem er 2002 beitrat.

2009 übernahm er den Vorsitz beim VdK-Kreisverband am Niederrhein. Ein Jahr später folgte zusätzlich das Amt des stellvertretenden Vorsitzenden des VdK NRW. Vöge ist außerdem Mitglied bei der AWO und der IG Bergbau, Chemie, Energie. Privat stehen seine Frau und Familie an erster Stelle - und das Fußball-Herz schlägt für den MSV Duisburg. Seine Hobbies sind Lesen, Kochen und Reisen.

Seit 2016 ist er Vorsitzender des Sozialverbands VdK NRW und seit 2017 Vize-Präsident des VdK Deutschland.

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