10. Juni 2020

Barrierefreiheit noch ein langer Weg

Ziel der UN-Behindertenrechtskonvention und des deutschen Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) ist eine umfassende Barrierefreiheit. Denn nur so können Menschen mit Behinderung, aber auch ältere oder kurzzeitig eingeschränkte Personen vollständig am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Zwar wurden in den vergangenen Jahren schon einige Barrieren beseitigt, doch es gibt auch über zehn Jahre nach Inkrafttreten der Behindertenrechtskonvention bei der Inklusion noch viel zu tun, wie die nachfolgenden Beispiele zeigen. Sie stammen aus VdK Orts- und Kreisverbänden und beziehen sich im Wesentlichen auf bauliche Hindernisse.

Barrierefreiheit
Für einen behindertengerechten Buseinstieg setzt sich der VdK in der Wesermarsch ein. | © Renke Hemken-Wulf.jpg

So setzt sich der Ortsverband Friedeburg im Kreis Wittmund beispielsweise für die Errichtung einer öffentlichen, behindertengerechten Toilette ein. „Dass unsere Regionalpolitiker den Antrag einfach ablehnen, weil ihrer Meinung nach eine in der Nähe gelegene WC-Anlage ausreichend ist, lassen wir als VdK so nicht durchgehen“, erklärt Vorsitzender Horst Hattensaur. Er hat die genannte Anlage zusammen einem Vorstandsmitglied getestet und festgestellt: Ein Rollstuhlfahrer passt hier nicht einmal durch die Tür! „Auch finanzielle Gründe lassen wir nicht gelten, schließlich kann der Neubau eines behindertengerechten Toilettenhauses zu 70 Prozent aus verschiedenen Fördertöpfen bezuschusst werden“, weiß Hattensaur durch ein Projekt der Nachbargemeinde Werdum. Der Ortsverband Friedeburg wird dieses Vorhaben weiter kritisch begleiten – „das sind wir unseren Mitgliedern schuldig!“
Barrieren ganz anderer Art bemängelt Rolf Münch, der Vorsitzende des Ortsverbands Bremerhaven: Sowohl für sehbehinderte als auch für ältere Menschen sei die häufig sehr kleine Schrift auf Schildern im Supermarkt oder Baumarkt, aber auch in Informationsbroschüren ein großes Problem im alltäglichen Leben. „Man muss sich schon sehr anstrengen, um das Kleingedruckte lesen zu können. Mitarbeiter, die helfen könnten, sind natürlich auch nicht immer in der Nähe. Und somit bleibt dem Kunden nur übrig, mühsam auf die Knie zu gehen. Das ist aber gerade für Gehbehinderte meist nicht möglich, was von vielen Märkten leider nicht berücksichtigt wird. Zur Barrierefreiheit gehört das definitiv dazu!“, so Münch.

Verkehr

Vorsichtigen Anlass zum Optimismus geben die Zahlen zum barrierefreien Zugang zu den niedersächsischen Bahnhöfen: Immerhin 93 Prozent von ihnen verfügen nach Auskunft der Bundesregierung über Aufzüge, Rolltreppen oder Rampen für Menschen mit einer Behinderung. Damit liegt Niedersachsen – aber auch Bremen mit 85,2 Prozent – über dem Bundesdurchschnitt (83,5 Prozent). „Doch rollstuhlgerecht allein bedeutet natürlich noch keine vollständige Barrierefreiheit. Auch weitere Faktoren wie etwa Blindenleitsysteme spielen hier eine Rolle. Voraussetzung ist außerdem, dass Aufzüge und Rolltreppen auch regelmäßig gewartet werden und stets betriebsbereit sind, sonst verfehlen sie ihren Nutzen!“, warnt Landesvorsitzender Friedrich Stubbe. Dass der gesamte öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) unter diesen Voraussetzungen bis Anfang 2022 tatsächlich vollständig barrierefrei sein wird, ist kaum zu glauben. Zumal die Zuständigkeiten für den Umbau von ÖPNV-Haltestellen vom Bund auf die Länder und weiter zu den Kommunen geschoben werden. Weil letzteren die Kapazitäten oder finanziellen Mittel fehlen, berufen sie sich gerne auf eine gesetzliche Ausnahmeregelung, nach der die ausbleibenden Umbaumaßnahmen im Nahverkehrsplan nur ausreichend begründet werden müssen. „Das kann doch nicht der Anspruch in unserem Land sein“, empört sich Stubbe, „mangelnde Barrierefreiheit ist eine klare Diskriminierung von Menschen mit Behinderung und muss beseitigt werden!“

Positive Beispiele

Dass es auch anders geht, zeigt ein Beispiel aus der Wesermarsch. Hier war der Busbahnsteig zu niedrig, sodass Personen mit einer Gehbeeinträchtigung nicht einsteigen konnten. Das Problem war der Stadt bekannt und wurde auch in die „Landkarte der Barrieren“ eingetragen, die der VdK im Zuge seiner Kampagne „Weg mit den Barrieren!“ angelegt hatte. Als sich der Kreisverband an die Presse wandte, die groß darüber berichtete, wurde der Bahnsteig erhöht. „Das zeigt uns, wie wichtig der öffentliche Druck bei der Umsetzung solcher Begehren ist“, so die VdK-Verantwortlichen. Gleiches gilt für die Gemeinde Schwanewede. Rund 15 Bushaltestellen sind dort umgebaut worden, damit die Pflasterung zur Höhe des Buseinstiegs passt.
Im Kreis Osterholz wurden auf Anraten des VdK ebenfalls Barrieren im Straßenverkehr beseitigt: Bei mehreren Kreuzungen wurde im Bereich der Fußgängerüberquerung eine Zwischeninsel eingebaut. Gerade für gehbehinderte oder ältere Menschen sei dies praktisch, erklärt der Kreisvorsitzende Walter Dammann, der die Umbauten initiiert hat und auch als Behindertenbeauftragter tätig ist. „Wer es nicht schafft, während einer Grünphase die Straße zu überqueren, kann in der Mitte auf dieser Insel pausieren und läuft so nicht Gefahr, von anderen Verkehrsteilnehmern gedrängt zu werden.“ Auch wurden vor einer Bankfiliale Blindenleitstreifen eingebaut, um den Weg bis in die Fußgängerzone für blinde und sehbehinderte Personen sicherer zu gestalten.

Noch viel zu tun

Neben der Barrierefreiheit von Gebäuden und Verkehrsmitteln umfasst das Thema noch viele weitere Bereiche wie Gebrauchsgegenstände, Dienstleistungen oder Freizeitangebote. Dazu gehört auch, dass Formulare in Leichter Sprache angeboten werden, Internetseiten für Blinde zugänglich sind oder Videos für gehörlose Menschen mit Untertiteln versehen werden.
„Die genannten Beispiele zeigen uns, dass der Einsatz des VdK vor Ort lohnt und Veränderungen bewirken kann. Trotzdem ist es zur vollständigen Barrierefreiheit noch ein langer Weg, den wir nur gemeinsam gehen können“, motiviert Friedrich Stubbe.
Schließlich betreffe Barrierefreiheit alle Menschen, denn: Nur vier Prozent der Behinderungen sind angeboren, die meisten Einschränkungen entstehen im Laufe des Lebens durch das Alter, plötzliche Unfälle oder Krankheiten. „So wird fast jeder von uns irgendwann auf Leichte Sprache, gut zugängliche Gebäude oder die Kommunikation per Computer angewiesen sein oder zumindest übergangsweise die Vorzüge von Barrierefreiheit nutzen möchten, wie etwa mit Kleinkindern.“

Christina Diekmann

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