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Das Bundesverfassungsgerichts hat mit einem Beschluss die Rechte von Menschen gestärkt, die im Alltag auf die Unterstützung der vierbeinigen Helfer angewiesen sind.
In dem konkreten Fall befand das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), dass eine blinde Frau mit ihrer Blindenführhündin das Wartezimmer einer Arztpraxis durchqueren darf, weil sie nur so selbstständig in eine benachbarte Therapiepraxis gelangen kann. Damit stützte das BVerfG auch das verfassungsrechtliche Diskriminierungsverbot für private Betriebe.
Die Frau war in einer physiotherapeutischen Praxis in Behandlung, die sie über einen Hof und eine Stahlgittertreppe oder aber durch einen Ausgang des Wartezimmers einer orthopädischen Arztpraxis im selben Haus erreichen konnte. Mit ihrer Blindenführhündin war sie schon mehrfach durch das Wartezimmer gelaufen. Dies wurde ihr jedoch dann verboten: Die Ärzte forderten sie auf, den Weg über den Hof und die Treppe zu nehmen, und verweigerten ihr den Durchgang. Das BVerfG sah das anders: Das Durchgangsverbot sei unverhältnismäßig und benachteilige die blinde Frau in verfassungswidriger Weise, heißt es im entsprechenden Beschluss des Gerichts.
In den Vorinstanzen war die Frau gescheitert. Sie hatte zunächst vor dem Landgericht Berlin den Durch- und Zugang zusammen mit ihrer Blindenführhündin zu der Physiotherapiepraxis durch die Räume der Gemeinschaftspraxis während der jeweiligen Öffnungszeiten beider Praxen beantragt. Grund dafür sei, dass Ihre Hündin die Stahlgittertreppe scheue, weil sie sich mit ihren Krallen im Gitter verfangen und verletzt habe. Zudem stehe der Durchgang durch die Orthopädiepraxis den Patienten der Physiotherapiepraxis offen, auch sei die Praxis ungehindert für Nichtpatienten zugänglich.
Gelte ein Zutrittsverbot für Hunde auch für Assistenzhunde, so stelle dies eine rechtswid-rige mittelbare Diskriminierung nach § 3 Abs. 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsge-setzes (AGG) dar. Auch hygienische Bedenken reichten grundsätzlich nicht zur Rechtfertigung aus, argumentierte die Frau. Auf der Website der Deutschen Krankenhausgesell-schaft werde das Robert Koch-Institut (RKI) am 8. Februar 2012 wie folgt zitiert: "Dem RKI sind in den letzten 16 Jahren niemals Berichte übermittelt oder sonst bekannt geworden, wonach Blindenführ- oder andere Therapiehunde in Krankenhäusern auf Rehabilitanden oder Personal Krankheitserreger übertragen haben."
Die Ärzte der Gemeinschaftspraxis hielten dagegen, sie würden nur Patienten, deren Be-gleitpersonen sowie Mitarbeitern und Lieferanten den Zutritt gestatten. In Einzelfällen sei eigenen Patienten erlaubt worden, das Wartezimmer zu durchqueren, um zur Physiotherapiepraxis zu gelangen. Das Landgericht Berlin entschied zu ihren Gunsten, die Berufung wurde vom Kammergericht Berlin als "offensichtlich unbegründet" abgewiesen. Das Kammergericht führte aus: Die Frau werde benachteiligt, weil ihr – im Gegensatz zu anderen Patienten – untersagt worden sei, die orthopädische Praxis mit ihrer Führhündin zu betreten. Grund für die unterschiedliche Behandlung sei also nicht ihre Behinderung, sondern die Vorgabe der Ärzte, und diese sei sachlich gerechtfertigt: Eine möglichst umfassende Hygiene in ihren Räumen zu wahren, entspreche einem berechtigten Ziel der Praxisinhaber und deren wirtschaftlichen Interesse, das Vertrauen ihrer Patienten in einen einwandfreien Praxisbetrieb zu stärken.
Das Gericht vertrat die Ansicht, zwar sei die Hundebesitzerin inzwischen auf die Nutzung eines Rollstuhls angewiesen und könne daher die Praxis der Physiotherapeuten nicht über die Außentreppe betreten. Es sei aber zumutbar, das Tier für die Dauer der Behandlung vor den Praxisräumen zurücklassen. Die Patientin könne in beiden Praxen auch ohne ihre Hündin Begleitung und Unterstützung erwarten. Um den Hund vor Diebstahl oder Schaden zu schützen, sei der Frau auch zuzumuten, dies etwa durch ein Geschirr mit Kette und einem Schloss oder eine Beaufsichtigung zu tun.
Die Frau akzeptierte diese Entscheidungen nicht. In ihrer Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht betonte sie, eine blinde Person sei nicht nur für ihre Bewegungsfreiheit auf den Assistenzhund angewiesen, sondern stelle mit diesem eine Einheit dar, die die Voraussetzung dafür sei, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen und einigermaßen sicher zu fühlen. Der Hund könne nicht ohne Aufsicht an fremden Orten in der Öffentlichkeit angebunden werden. Das Risiko des Verlusts oder einer Verletzung ihrer Hündin einzu-gehen, sei unzumutbar.
Die Bundesverfassungsrichter kippten die Entscheidung des Kammergerichts. Bei dem strittigen Durchgangsverbot handele es sich um eine nicht gerechtfertigte Benachteiligung. Der Wartebereich, den die Frau durchqueren müsse, werde auch von Menschen mit Straßenschuhen und in Straßenkleidung betreten oder unter Umständen in einem Rollstuhl aufgesucht. Die Führhündin könne eher nicht zu einer nennenswerten Beeinträchtigung der hygienischen Verhältnisse in der Praxis führen.
Mit dem im Grundgesetz (GG) und in der UN-Behindertenrechtskonvention verankerten Zielen, die Unabhängigkeit von Menschen mit Behinderungen zu achten und ihnen volle gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, sei es nicht vereinbar, die Frau darauf zu ver-weisen, das Tier vor der Praxis anzuketten und sich von der Hilfe fremder oder wenig be-kannter Personen abhängig zu machen. Deshalb müssten die Interessen der Ärzte hinter dem Recht der Blinden gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG zurückstehen. In diesem Sinne verwies das BVerfG den Fall zur erneuten Entscheidung zurück an das Kammergericht.
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