Barrierefrei reisen – 2021 überhaupt möglich?

Die Internationale Reha- und Mobilitätsmesse für Alle (IRMA) sollte bereits im letzten Jahr stattfinden. Wie in der VdK-Zeitung mitgeteilt, musste sie coronabedingt um ein weiteres Jahr, auf Mai 2022, verschoben werden. Unter den vielen Produkten der Aussteller finden sich jedes Mal auch Angebote zum barrierefreien Reisen. Für unsere Leserinnen und Leser, die sich in diesem Jahr selbst nicht in den Hamburger Messehallen informieren können, haben wir mit dem Verleger und Veranstalter der ­IRMA, Pascal Escales, gesprochen.

Gruppenfoto: Herr Escales mit seinen Kindern.
Yvo Escales hat vor über 30 Jahren begonnen, Reisetipps für Menschen mit Behinderungen zu verlegen, 2012 hat er die Fachmesse IRMA ins Leben gerufen. Auch seine Kinder Catharina und Pascal konnte er von der wichtigen Aufgabe begeistern. Seit 2019 hat Pascal Escales (rechts) die Geschäfte seines Vaters übernommen. Das Bild zeigt die drei auf der letzten IRMA 2018, wo auch der VdK Hamburg mit einem Stand vertreten war. | © Escales Verlag

Herr Escales, Sie verlegen den Reiseguide „Handicapped Reisen“. Auch für dieses Jahr haben Sie den Ratgeber für Rollstuhlfahrer, Gehbehinderte und Senioren, der neben Übernachtungsangeboten viele Tipps rund ums barrierefreie Reisen enthält, neu aufgelegt. Wie schätzen Sie die Situation ein: Ist sicheres barrierefreies Reisen im Corona-Jahr 2021 überhaupt möglich?
Menschen mit Behinderung oder Vorerkrankungen sowie Senioren gehören glücklicherweise zu einer Gruppe mit hoher Priorität bei der Impfreihenfolge. Grundsätzlich denke ich, dass jeder, der geimpft ist, reisen kann und es dieses Jahr auch tun wird. Einen wirklichen Sinn sehe ich in aktuellen Reisebeschränkungen nicht und hoffe daher auf ein Umdenken der Politik. Wer nicht reisen kann, besucht in seiner Freizeit halt lokale Attraktionen und Naherholungsgebiete. Gerade im Umkreis der Metropolen kommt es dadurch, vor allem bei gutem Wetter, regelmäßig zu bedenklichen Massenansammlungen. Mit einer Reisefreiheit innerhalb Deutschlands könnte man dem entgegenwirken, zumal viele Städter bevorzugt Urlaub auf dem Land oder im Grünen machen. Die Pandemieregeln sind überall gleich. Jeder, ob geimpft, behindert, oder nicht, sollte das mit einer Reise verbundene Risiko selbst abwägen und entscheiden können. Denn wenn durch Isolation die Psyche leidet, kann Corona zu einem nachrangigen Problem werden.

Wie ist Ihre Erfahrung? Sind die Anbieter, mit denen Sie zusammenarbeiten, auf die Corona-Situation vorbereitet?
Ja, sehr gut sogar! Neben den üblichen Maßnahmen wurden viele Konzepte und Ideen ausgearbeitet, um im Beherbergungsalltag nicht mehr Kontakte aufkommen zu lassen als im normalen Alltag. Wir sprechen hier von neuen Belüftungsanlagen oder Sonderreinigungsprogrammen, einer Testpflicht, stark reduzierten Belegungsplänen, À-la-­carte-Essen auf dem Zimmer und vielem mehr. Beherberger würden nahezu alles tun für etwas Perspektive. Umso größer ist der Frust durch das ständige Hin und Her von Bund und Ländern, die mangelnde Bereitschaft, auf gute Vorschläge einzugehen und aus Fehlern zu lernen. Ein befreundeter Pensionsbesitzer aus dem Schwarzwald hat nach Empfehlung des Bundes seinen Gastraum für zwanzigtausend Euro umgebaut, um wieder öffnen zu können. Eine Woche nach Fertigstellung durfte er dann wieder schließen, bis heute. Die Kosten erstattet ihm keiner. Bei Urlaub in Kleinstbetrieben oder Ferienwohnungen sehe ich sogar ein geringeres Risiko, als es vielen Menschen im normalen Alltag begegnet. Ich wohne in einer Wohnung in einem Zwölfparteienhaus und sehe auf jeder Bahnfahrt mehr Menschen als in einer gesamten Woche Schwarzwald­aufenthalt.

Auf was achten Sie, wenn Sie Angebote für Ihren Reiseguide auswählen?
Für uns ist der persönliche Kontakt sehr entscheidend. Mit Vermietern oder Tourismusverbänden führen wir, neben einer umfassenden Erfassung der Barrierefreiheit in Schriftform, ausführliche Vorgespräche. Ein nach DIN-Norm eingerichtetes Zimmer allein reicht nicht. Man muss sich Menschen mit Einschränkungen auch öffnen wollen. Das merken Sie nur im persönlichen Kontakt, und es ist eine Grundvoraussetzung, um in unserem Angebot aufgenommen zu werden.

Was würden Sie sich von den Anbietern und von den Tourismusverbänden wünschen, damit sich die Reisesituation für Menschen mit Einschränkungen verbessert?
Glücklicherweise arbeiten Tourismusverbände seit vielen Jahren mehr und mehr barrierefreie Angebote aus. Teils geht es dabei um die reine Erfassung bestehender Angebote, teils um das Schaffen neuer Angebote. Ich denke, hier sind wir auf einem guten Weg, allerdings sollten Anbieter privater Freizeiteinrichtungen mehr in die Pflicht genommen und unterstützt werden, damit der Ausbau der Angebote besser vorankommt. Auch Unterkunftsanbieter sind zunehmend offen für das Thema. Es gibt allerdings bedauerlicherweise immer noch Anbieter, die befürchten, Menschen mit Behinderung könnten ihre „normalen“ Gäste verschrecken. Das beobachten wir leider immer wieder, vor allem bei Hotelketten. Aber auch hier gibt es viele, die sich sehr engagieren. So stehen wir u.a. in gutem und beratendem Kontakt mit Accor, Steigenberger, B&B und Best-Western.

Welche Fördermöglichkeiten gibt es, wenn Menschen mit Einschränkungen verreisen möchten?
Nun, da gibt es eine ganze Menge. Wer wenig Geld hat, kann beispielsweise günstige, in seltenen Fällen kostenfreie Freizeitangebote von Organisationen wie dem DRK, der Caritas oder anderen Wohlfahrtsverbänden und Glaubensvereinigungen in Anspruch nehmen. Außerdem gibt es zahlreiche Vereine, die bei verschiedensten Anliegen beraten oder tatkräftig unterstützen können. Sehr ausführlich gehen wir im Ratgeber-Teil von „Handicapped Reisen“ auf staatliche Fördermöglichkeiten wie die Verhinderungs- oder Kurzzeitpflege und den Entlastungsbeitrag ein. Leider wissen viele Betroffene nicht genug über die Möglichkeiten und Anwendungsgebiete dieser Hilfen. So werden beispielsweise von fast 40 Prozent aller antragsberechtigten Betroffenen die Beiträge aus der Verhinderungspflege, das sind bis zu 2418 Euro pro Jahr zur Unterstützung für den Urlaub, nicht abgerufen.

Was müssen unsere Leser beim barrierefreien Reisen besonders beachten und wie kommen sie an diese wichtigen Informationen?
Eine strukturierte Reiseplanung ist das A und O. Menschen mit Behinderung sollten nichts dem Zufall überlassen, denn spontanes Umplanen geht häufig nicht. In „Handicapped Reisen“ geben wir hierzu detaillierte Hilfestellungen und Anleitungen. Wurde mir das barrierefreie Zimmer schriftlich bestätigt und passt es zu meinen Anforderungen? Funktioniert der Aufzug im Museum meiner Wahl oder am Umsteige-Bahnhof? Wer die richtigen Fragen stellt und gezielt wichtige Dinge vor Urlaubsantritt abarbeitet, ist auf der sicheren Seite. Vor Ort kann dann immer noch etwas schief gehen, allerdings bringt einen die Summe der „alltäglichen“ Barrieren dann nicht mehr so leicht aus der Fassung. Worauf es ankommt, was alles schieflaufen kann und wie man an Informationen kommt, wissen wir vor allem aus Erfahrung. Seit fast 40 Jahren beschäftigen wir uns mit der Thematik Reisen mit Handicap und testen immer noch viele Angebote persönlich, im Rahmen unserer Reportagen für den Rollstuhl-Kurier.

Wie unterscheiden sich die Angebote im Reiseguide „Handicapped Reisen“ von denen auf der Internetseite „Rolli-Hotels“?
Die Angebote und Hilfestellungen in „Handicapped Reisen“ sind auf 540 Seiten umfassender. Wir verzeichnen hier insgesamt 180 rollstuhlgeeignete Unterkünfte, 83 Gruppenangebote und 63 Unterkünfte mit Pflegeangebot. Hinzu kommen ein 120-seitiger Ratgeber mit vielen nützlichen Kontakten und Tipps, eine Rubrik mit Spezialreiseveranstaltern und ausführliche Präsentationen barrierefreier Urlaubsregionen. Auf der Internetseite ziehen wir in diesen Bereichen aber nach. Ein Vorteil der Internetseite ist hingegen die Möglichkeit, gezielt nach Bedürfnissen filtern zu können. So kann der Benutzer hier beispielsweise auswählen, sich nur Unterkünfte mit gewissen Türbreiten, Abständen, Haltevorrichtungen, Bewegungsspielräumen oder anderen Dingen anzeigen zu lassen. Auch ist hier mehr Platz für Details. In beiden Bereichen ist der Mindeststandard für Betriebe aber hoch. Eine Eignung für Rollstuhlfahrer mit Vorrichtungen wie Haltegriffen, ebenerdigen Duschen et cetera ist Pflicht.

Interview: Ruth Seyboth-Kurth

Mehr zu „Handicapped Reisen“ und „Rolli-Hotels“ und weitere Tipps zum barrierefreien Reisen

Blick auf den Bauerhof.
[05/2021] Tipps zu speziellen Angeboten für barrierefreie Urlaubstage, | weiter

Ein ICE steht im Hauptbhanhof.
[05/2021] Entschädigung bei Bahn-Barrieren, | weiter

Rat und Tat | Was ist der Grad der Behinderung (GdB)?

Viele Menschen haben körperliche, geistige oder seelische Beeinträchtungen. Um zu bemessen, wie stark diese Beeinträchtigungen im Alltag sind, gibt es den Grad der Behinderung - kurz GdB. Wo kann man einen GdB beantragen? Was sind die Voraussetzungen? Was sind Nachteilsausgleiche? Kai Steinecke erklärt in unserem neuen VdK-TV-Format "Rat und Tat", was man dazu wissen muss.

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Symbolbild: Eine Gruppe von Menschen mit und ohne Behinderung mit Protestplakaten.
Der VdK ist die größte Selbsthilfe-Organisation in Deutschland, er setzt sich seit 60 Jahren erfolgreich für die Interessen seiner Mitglieder ein.


Foto: Die Geschäftsstelle des VdK Hamburg
Wenn Sie in einem Bereich des Sozialrechts Rat, Hilfe oder Rechtsschutz benötigen, wenden Sie sich vertrauensvoll an die Landesgeschäftsstelle.


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Stehend in einer Reihe die Mitglieder des Landesvorstands
Landesverbandsvorstand Sozialverband VdK Hamburg
Symbolbild: Ein Treffen von VdK Mitlgiederinnen mit Kaffee und Kuchen
Unsere Ortsverbände organisieren interessante bunte Abende, kulturelle und informative Veranstaltungen.
Blick auf die Kaffeetafel
Hier informieren wir Sie über aktuelle Veranstaltungen und Versammlungen der Ortsverbände.
Blick auf einen Hamburger Seniorentag
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Symbolbild: VdK Telefonzentrale
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