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In Corona-Zeiten, wenn man wenig unternehmen kann, ist es schön, in Erinnerungen zu schwelgen. In seiner Geschichte „Ich guck so gerne Cabrios“ nimmt uns VdK-Mitglied Joachim Frank auf eine Gedankenreise mit. Er hat die Geschichte in seinem Kurzgeschichtenband „Momente wie diese“ veröffentlicht; wir drucken sie im Folgenden mit freundlicher Genehmigung des Wiesenburg Verlags ab.
Seit ich denken kann, guck ich gerne Cabrios. Das heißt, eigentlich würde ich lieber ein Cabrio fahren, aber das kann ich mir nicht leisten. Dann träume ich eben manchmal ein bisschen und denke: Wenn ich in so einem Wagen durch die Gegend schnurren könnte, dann wäre es völlig egal, dass ich einen kleinen Bauch habe und meine Haare schon ziemlich dünn und grau sind.
Wenn ich in einem Café sitze und meinen Cappuccino schlürfe, schaue ich vorbeifahrenden Edelkarossen zu, mit Vorliebe den Cabrios. Und irgendwie bin ich dann mit im Auto – das fühle ich einfach. Dann schaue ich diesen wirklich sauteuren Schlitten zu, wie sie vorbeischleichen an dem Café und mir – und das ist ja nun wirklich das Coolste, wenn ein Sportwagen, der, sagen wir mal, 350 PS unter der Haube hat, so langsam vorbeischiebt, dass sogar ein Traktorfahrer dahinter sauer werden würde. Das nenne ich Stil – mit so einem Wagen ganz langsam zu fahren. Denn jeder, wirklich jeder weiß doch, wenn der wollte …!
Das eben genügt schon, und außerdem kann hier auf Sylt natürlich keiner – mit welchem Auto auch immer – so einfach Gas geben und losbrettern. Dafür hat ja auch niemand so ein Cabrio, sondern um die frische Luft zu genießen. Ich meine, so rundherum nur frische Luft und diese Straße entlangfahren, an den Cafés vorbeischnurren und einfach starr geradeaus schauen. Niemanden sehen und von allen gesehen werden – das muss das Größte sein. Das heißt, ein bisschen guckt man natürlich doch: nach hübschen Mädchen natürlich und ob man gesehen wird. Aber dabei dreht kein Fahrer seinen Hals auch nur einen Zentimeter nach links oder rechts, sondern er lugt nur aus den Augenwinkeln, und wegen seiner großen Sonnenbrille merkt das natürlich gar keiner. Und dann erkennst du, wie die Mädchen förmlich auf dem Sprung sind in dein Cabrio … Du müsstest einfach nur einen Moment anhalten und lässig winken, und schon – schwupps – wär die Karre voll mit ihnen.
Gerade kommt wieder so eine Edelkarosse vorbei, und wer sitzt da am Steuer? Ja, ist das denn die Möglichkeit!? Das ist doch …, nein, ich glaub’ es einfach nicht! Das ist Dieter! Unser Dieter! Der immer blonde, dauergebräunte, unverwüstlich männlich-jugendliche Dieter. Oder ist das doch gar nicht unser Dieter? Komisch, manchmal kommt es mir so vor, dass diese Cabriofahrer alle irgendwie so aussehen wie Dieter. Ja, ja, selbst wenn sie braune Haare haben und nicht diese stahlblauen Augen, selbst die Frauen sehen irgendwie aus wie Dieter, obwohl das ja eigentlich nicht sein kann, aber schauen Sie mal genau hin!
Ich blicke in meine leere Kaffeetasse und überlege, ob ich mir noch einen Cappuccino leisten kann. Sonst muss ich gehen, denn ich kann natürlich hier nicht ewig sitzen, ohne etwas zu verzehren. Die Serviererin guckt schon so geringschätzig zu mir rüber, weil ich ewig nichts mehr bestellt habe, aber bei den Preisen! Durch die verspiegelten Gläser meiner Ray-Ban-Brille schaue ich auf meine schwere, glänzende Rolex. Habe ich mir genauso wie die Lacoste-Hemden aus Thailand mitgebracht. Zum Glück ist noch Zeit, bis mein Zug fährt.
Einmal im Sommer fahre ich nach Sylt, weil es dort einfach die geilsten Cabrios gibt. Dabei habe ich sogar selbst ein Cabrio zu Hause, viele sogar. Manchmal, im Winter, nehme ich eins davon aus der Vitrine, stelle es auf den Wohnzimmertisch und schließe die Augen.
Die Geschichten von Joachim Frank handeln von Momenten, die nicht das Spektakuläre in den Blickpunkt rücken, sondern dem Verborgenen nachspüren. Nachdenklichkeit, Freude, Dankbarkeit, Trauer oder Wut: Alles kann sich in den kleinen Momenten widerspiegeln.
Joachim Frank: Momente wie diese, Wiesenburg Verlag 2015, 184 Seiten, 9,90 Euro, ISBN 978-3-95632-287-7.
Schlagworte Dann träume ich eben ein bisschen
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