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Wie in jedem Jahr drucken wir an dieser Stelle eine Kurzgeschichte von VdK-Mitglied Joachim Frank ab. Im Folgenden lesen Sie mit freundlicher Genehmigung des Wiesenburg Verlags seine Kurzgeschichte „Die Geschichte vom doppelten Weihnachtsmann“.
Lange Jahre hatte Niklas mit seiner jungen Familie im Ausland gelebt, aber dann war es an der Zeit gewesen, in die schwedische Heimat zurückzukehren, denn die Kinder sollten dort eingeschult werden. Nun wohnten sie bereits seit mehr als einem halben Jahr in dem behaglichen, typisch in Falunrot gestrichenen Haus.
Niklas schaute aus dem Fenster. Es war früher Nachmittag an diesem ersten Heiligabend im neuen Zuhause. Er blickte auf den schmalen Weg, der sich durch das Dorf schlängelte, aber der war menschenleer, weil jedermann Vorbereitungen für das Fest traf. Er blickte in den grauen Himmel. Ob es wohl sogar schneien würde? Zufrieden dachte er an die ersten Monate hier zurück, denn fast alles hatte sich bestens ineinander gefügt: Schnell waren Kontakte zu den Nachbarn geknüpft worden, die Kinder hatten sich gut im Kindergarten eingelebt und seine Frau Astrid genoss es, endlich mehr Zeit für sich und die Familie zu haben.
Es war völlig ruhig im Haus. Niklas öffnete die Terrassentür. Kalte Luft schlug ihm entgegen und strömte in die warme Stube. Er packte die schön gewachsene Tanne, die er gleich in einen Christbaum verwandeln wollte, denn ganz in der Tradition seiner Familie war es das Privileg des Familienvaters, den Weihnachtsbaum zu schmücken, während die anderen Mittagsruhe hielten. Liebevoll dekorierte er die Zweige mit Lichterketten, bunten Tannenbaumkugeln, Figuren und Schleifen. Die Krone des Baumes musste noch etwas gekürzt werden, damit die Tannenbaumspitze unter die Zimmerdecke passte.
Niklas setzte sich in den Sessel und betrachtete sein Werk: Gut gelungen! dachte er auch mit ein wenig Stolz. Stolz nicht etwa, weil er von seinen Dekorationskünsten so begeistert gewesen wäre, sondern ihn erfüllte das gute Gefühl, seiner Verantwortung gerecht geworden zu sein. Diesen Tannenbaum, dieses Weihnachtsfest empfand er als Bestätigung, die Weichen für seine Familie in die richtige Richtung gestellt zu haben. Er schaute erneut aus dem Fenster, und wie um einen Heiligabend perfekt zu komplettieren, segelten ein paar Schneeflocken vorbei. Um vier Uhr würden die Eltern zum Kaffee kommen, und für die Kinder hatte er noch eine ganz besondere Überraschung geplant.
Zur gleichen Zeit, während Niklas seinen Gedanken nachhing, schlüpfte Lasse im Nachbarhaus in ein etwas zu großes Weihnachtsmannkostüm, das er sich von einem Bekannten geliehen hatte. Sorgfältig klebte er sich den weißen Bart ins Gesicht und legte die schon lange eingekauften, liebevoll eingewickelten Geschenke in den Jutesack. Lasse wohnte schon immer hier. Das Leben hatte ihm keine eigene Familie beschert, aber weil er Kinder so gern hatte, war der Einzug der neuen Nachbarfamilie eine große Freude für ihn gewesen. Er zog sich die klobigen Stiefel an, schulterte den gut gefüllten Sack und freute sich schon unbändig darauf, in die ungläubig staunenden Gesichter von Laura und Lukas zu schauen, wenn gleich der Weihnachtsmann leibhaftig vor ihnen stehen würde. Er stapfte los und sah, dass sich die Tür des Nachbarhauses bereits öffnete.
Was war denn das? Niklas starrte auf seine Uhr. Es war noch viel zu früh für den Weihnachtsmann! Er hatte seinen Kollegen doch gebeten, auf keinen Fall vor … Doch ihm blieb jetzt nicht viel Zeit zum Nachdenken, denn noch bevor der Weihnachtsmann an die Tür klopfen konnte, schrie der kleine Lukas aus dem ersten Stock: „Papa, Papa! Guck mal! Da kommt der Weihnachtsmann!“ Natürlich hatte der Kleine längst nicht mehr im Bett gelegen und auch das Schwesterchen wollte gerade die Treppe hinunter gestürmt kommen.
„Nein, nein! Noch nicht! Bleibt noch einen Augenblick in euren Zimmern“, rief Niklas aufgeregt, denn diesen Moment, wenn der Weihnachtsmann die Kinder beschenken würde, sollten doch auch seine Frau und die Eltern miterleben. Also hastete er zurück zur Eingangstür, aber wer stand denn da vor ihm?
„Mein Gott – Lasse! Was machst du denn …“, stotterte Niklas.
„Stimmt etwas nicht?“, flüsterte Lasse. Und weil er sah, dass Niklas ganz und gar nicht erfreut, ja sogar bestürzt zu sein schien, erklärte er zaghaft: „Ich wollte den Kindern doch nur eine Freude machen – so als Weihnachtsmann, weißt du. Ist das nicht in Ordnung?“
Niklas versuchte zu retten, was nicht mehr zu retten war. Er trat vor die Tür und zog sie hinter sich zu. Dann sagte er: „Lasse, das ist wirklich ganz lieb von dir, aber – ja, wie soll ich dir das erklären – nachher wird ein Kollege von mir hier auftauchen – als Weihnachtsmann! Das habe ich so mit ihm abgemacht.“
„Verstehe“, sagte Lasse enttäuscht, „zwei Weihnachtsmänner – das geht natürlich nicht.“ Und während Niklas hilflos die Schultern hob, drehte Lasse bereits ab, und der Jutesack baumelte ganz traurig über seiner hängenden Schulter. Niklas rief ihm verzweifelt hinterher, er möge doch bitte – bitte! – ganz eng an der Hauswand entlang schleichen, und wenn ihm ein Weihnachtsmann entgegen kommen sollte, dann …“, aber Lasse achtete nicht mehr auf seine Worte.
Mit schlechtem Gewissen zog Niklas die Haustür hinter sich zu, während seine Frau die Treppe herunter kam.
„Wer war das denn?“, wollte sie wissen, und er erzählte ihr die missliche Lage, in die ihn der Nachbar gebracht hatte. „Was hätte ich denn machen sollen?“, fragte er ratlos und ahnte, was passieren würde, wenn sich diese Geschichte in dem kleinen Dorf herumsprechen würde. Dann würde man sich nun wohl jedes Jahr zu Weihnachten die Geschichte vom rausgeschmissenen Weihnachtsmann erzählen, der so traurig war, weil er die Kinder nicht beschenken durfte. Niedergeschlagen sah Niklas seine Frau an.
Die überlegte einen kurzen Moment. Dann ging sie zum Telefon. „Lasse? … Ja, hier ist Astrid. Hast du heute Abend schon etwas vor? … Nein? … Gut! Dann sei doch bitte um 18 Uhr bei uns … Zum Essen … Wie bitte? … Ja, natürlich kannst du den Kindern ein paar kleine Geschenke mitbringen. Aber vielleicht nicht – als Weihnachtsmann. Weißt du … ein Weihnachtsmann am Heiligabend ist genug.“
Den Autor Joachim Frank live erleben
Joachim Frank lebt in Prisdorf bei Pinneberg. Nach seinem Studium in Germanistik, Sport und Pädagogik war er dreißig Jahre in Hamburg als Lehrer tätig. Er ist langjähriges Mitglied im VdK und selbst schwerbeschädigt.
Seit vielen Jahr schreibt Joachim Frank. Mit seiner Kurzgeschichte „El Cóndor Pasa“ hat er 2016 den Kurzgeschichtenpreis der Hamburger Autorenvereinigung gewonnen. Im Juni 2017 wurde Frank auf der „literatur altonale“ mit dem Bahman-Preis ausgezeichnet. Seit Kurzem ist Joachim Frank auch Preisträger des Literaturwettbewerbs „Alltag im Wort“, bei dem seine Geschichte „Kartoffeln schälen“ ausgezeichnet wurde. Zuletzt erschien von ihm der Band „Wie ich lernte, einen Hund zu lieben“. (Das erste Kapitel hatten wir in der Mai-Ausgabe der VdK-Zeitung abgedruckt.)
Die Weihnachtsgeschichte „Der doppelte Weihnachtsmann“ (siehe oben) ist seinem Kurzgeschichten-Band „Weihnachtsgeheimnisse“ entnommen. Das Buch ist im Buchhandel zu beziehen, aber auch direkt beim Autor – auf Wunsch signiert und mit persönlicher Widmung – zu bestellen. Es kostet bei Direktbestellung inklusive Porto und Verpackung 9,90 Euro.
Wer Joachim Frank live erleben möchte, kann seine Geschichten bei diesen öffentlichen Lesungen hören:
Alle Termine sind auch unter http://joachimfrank.info im Internet zu finden. VdK-Ortsverbände können den Autor zu einem ihrer Treffen honorarfrei einladen; dazu unter Telefon (0 41 01) 78 26 17 oder E-Mail JFrank1@gmx.de bitte direkt Kontakt aufnehmen.
Weihnachtsgeheimnisse
Joachim Frank: Weihnachtsgeheimnisse – 16 weihnachtliche Geschichten zum Träumen, Erinnern und Schmunzeln.
Kurzgeschichten, 124 Seiten, 9,90 Euro.
ISBN 978-3-95632-413-0
Wiesenburg Verlag 2016
Schlagworte Weihnachtsgeschichte | Joachim Frank
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