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„Wir können das Spiel nicht laufen lassen, ohne was zu sagen“, sagt Blinden-Fußballreporter Niklas Batsch. Es ist Samstag, der 28. April 2018. Um 15.30 Uhr ist Anpfiff im Schwarzwaldstadion in Freiburg. Es geht um alles, den Klassenerhalt in der 1. Fußball-Bundesliga. Der SC steht auf dem drittletzten Tabellenplatz.
Zu Gast ist der 1. FC Köln, der nur noch mit einem Sieg Chancen auf den Verbleib in der 1. Liga hat. Niklas Batsch und Stefan Haupt sitzen im Presseraum des Stadions und besprechen die Aufstellung. Die beiden sind zwei von fünf ehrenamtlichen Blindenreportern des SC Freiburg. Sie sind unschwer zu erkennen. Auf ihrem blauen Überwurf steht in weißen Lettern Blindenreporter geschrieben.
„Im November 2014 haben wir damit angefangen“, erzählt Batsch, der Medienkulturwissenschaft studiert. Der damals 16-Jährige hat zur Vorbereitung mit seinen vier Kollegen einen Workshop besucht. Beim Leverkusener Blindenreporter Björn Nass bekamen beide ihr Handwerk beigebracht.
„Der Unterschied zur normalen Reportage ist das Dauerreportieren. Wir sind die ganzen 90 Minuten dabei, das ganze Spiel über“, erklärt Batsch seine Aufgabe. Es wird immer in Zweierteams gearbeitet, um regelmäßig abwechseln zu können. „Zentrales Element unserer Arbeit ist die Verortung“, sagt Haupt. Damit ist gemeint, dass der Reporter genau beschreiben muss, wo der Ball ist, wie die Spieler agieren und natürlich auch die Schiedsrichter.
Neben der Aufstellung der gegnerischen Mannschaft gehen beide Reporter auch die Vorschaumappe durch. „Diese bekommen alle Blindenreporter vorab von der Deutschen Fußballliga (DFL). Das sind rund 60 Seiten Zusatzinformationen. Die brauchen wir auch, denn wir können nicht mal das Spiel laufen lassen, ohne etwas zu sagen. Und wenn beispielsweise ein verletzter Spieler gerade auf dem Spielfeld versorgt wird, können wir den Hörern aus dieser Mappe Statistiken oder andere Zusatzinformationen mitteilen", sagt Niklas Batsch.
Um 15 Uhr gehen die beiden Reporter auf die Haupttribüne. Im Freiburger Stadion können bis zu sechs blinde oder sehbehinderte Zuschauer den Dienst der Blindenreporter in Anspruch nehmen. So viele Funkstrecken stehen zur Verfügung. Ob heute alle sechs Plätze über den Ticketshop verkauft wurden, wissen Stefan Haupt und Niklas Batsch nicht. Nur eines ist sicher, drei Plätze gehören Dauerkartenbesitzern des SC Freiburg. Wer die anderen drei Plätze über den Ticketshop bucht, muss nachweisen, dass er blind oder sehbehindert ist, mit einem Schwerbehindertenausweis zum Beispiel.
Batsch und Haupt machen einen Gerätecheck. Alles ist in Ordnung. Zwei Frauen mit Blindenstock und Begleitern kommen die Tribüne hoch. Stefan und Niklas begrüßen die beiden, übergeben die Kopfhörer und Funkstrecken. „Wir kennen die Fans sehr gut. Das sind Nina Schweppe und Regina Hillmann, Köln-Fans aus Hamburg“, sagt Stefan Haupt. Er, der gelernter Bankkaufmann ist, hat vor vier Jahren ein sinnvolles Ehrenamt übernehmen wollen. Seither arbeitet der leidenschaftliche SC-Fan im Schwarzwaldstadion als Blindenreporter.
„Wir begrüßen die Fans aus der Dom-Stadt, dröhnt es kurz vor Spielbeginn aus den Lautsprechern.“ Dann ertönt das Badener-Lied, die SC-Hymne und schließlich die Aufstellung beider Mannschaften. Anpfiff – auch für Stefan Haupt und Niklas Batsch: „Ja herzlich willkommen bei schönstem Wetter an der Schwarzwaldstraße“, begrüßt Haupt die sehbehinderten Zuhörer.
Die beiden Reporter wechseln sich im Zehn-Minuten-Takt ab. Dabei schauen sie nicht genau auf die Uhr. „Das hängt vom Spielverlauf ab. Natürlich übergebe ich nicht an Stefan, wenn gerade eine rasante Szene in Gang ist. Das ist klar“, sagt Batsch. „Bei Anstoß ist Sonnenschein“ (...) „13 Meter vor dem eigenen Tor“ (...) „Das Spiel wird gerade entschleunigt“(...) „20 Meter vor dem Tor, halblinke Position, zieht rechts am Tor vorbei, aber keine Chance“. „Aytekin (Schiedsrichter) ahndet bisschen Bein und ruppigen Körpereinsatz mit einer gelben Karte“. „Die Haupttribüne springt auf! Er ist drin, er ist drin, Das war Nils Petersen!!!“ (vom SC Freiburg).
Die beiden Reporter sind exakt am Spiel, verorten und sind natürlich mit dem Herz bei ihrer Heimmannschaft. Das stört die beiden blinden Köln-Fans Regina Hillmann und Nina Schweppe nicht. „Bei Auswärtsspielen hören wir natürlich die Sympathie zum Heimatverein bei den Reportern heraus“, sagt Schweppe. „Das ist auch total okay. Entscheidend für uns ist, dass präzise reportiert wird.“ Die Reporter müssen am Spiel bleiben. Die Verortung ist das A&O. „Die Reporter sind quasi die Dolmetscher, die 90 Minuten für uns übersetzen, ergänzt Schweppe.“ Die beiden Frauen sind eingefleischte Köln-Fans. Sie kommen aus Hamburg und fahren zu allen Heimspielen nach Köln und mit dem Fan-Bus des 1. FC Kölns auch zu allen Auswärtsspielen. Heute Morgen sind sie bereits um 6 Uhr in Köln losgefahren. Aus Hamburg sind sie bereits am Vortag angereist.
„Wir mieten dauerhaft eine Ferienwohnung in der Nähe von Köln. Zwar wäre die Anreise direkt über Hamburg wahrscheinlich einfacher, aber es geht auch um das Gemeinschaftsgefühl mit den anderen Fans im Bus", sagt Hillmann. Neben ihrer Leidenschaft, dem 1. FC Köln, sind beide Frauen auch Vorsitzende des Fanklubs Sehhunde e. V., ein Fußball-Fanklub für Blinde.
„Wir sind die Gründerinnen. Seit 1991 versuchen wir damit eine Interessensvertretung für blinde Fußball-Fans aufzubauen“, sagt Hillmann. Momentan sind beide dabei, ein neues Projekt zu etablieren: Qualitätssicherung in Stadien. „Wir wollen die Sensibilisierung gegenüber Bedürfnissen von blinden Menschen vorantreiben. Wir brauchen beispielsweise nicht mehr Ordner, die uns schützen, sondern die Fans müssen lernen, dass es Menschen wie uns gibt, die sich bei Fehlverhalten nicht wehren können.“
In die zweite Halbzeit geht es mit 1:0 für die Heimmannschaft. Während Haupt reportiert, gibt Batsch ihm mit Handzeichen Hinweise, dass sich ein Kölner Spieler für den Wechsel bereit macht. Aber nicht immer läuft es so reibungslos ab wie heute: „Im Spiel diese Saison gegen Hoffenheim hatten wir nach fast 30 Minuten Stromausfall im Stadion. Unsere beiden anderen Kollegen waren an dem Tag Reporter und ich saß nur zufällig neben ihnen. Alle sechs Blindenplätze waren an dem Tag gebucht. Wir drei haben uns dann spontan zwischen die blinden Fans gesetzt und ohne Kopfhörer alle drei gleichzeitig und ohne Pause 60 Minuten am Stück reportiert. Danach war meine Stimme fast weg“, lacht Batsch.
Nach 60 Minuten spürt man die Anstrengung, auch wenn man sich abwechselt, sagt Niklas Batsch. Davon ist heute allerdings nichts zu merken. Kein Wunder, denn die zweite Halbzeit hat es in sich: Köln gleicht das zwischenzeitliche 2:0 der Freiburger zum 2:2 aus. Und in der 93. finalen Spielminute schießt Freiburg dann noch den Siegtreffer:“ Freistoß in 93. Minute!!!!!! Höler, Lucas macht das 3:2 und das ist der Sieg für den SC Freiburg. Abpfiff, liebe Zuhörer! Was für ein Fußball-Krimi!!!“
Nach Saisonende konnte der SC Freiburg in der 1. Bundesliga verbleiben. Der 1. FC Köln ist hingegen abgestiegen.
Blindenkommentatoren sind in den ersten beiden Profiligen des deutschen Fußballs längst Standard. Seit einigen Jahren wird dies auch beim Zweitligisten Holstein Kiel angeboten.
Priya Bathe
Schlagworte Blinden-Fußballreporter
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