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Wenn während einer Operation eine unvorhergesehene Änderung des Eingriffs erforderlich ist, können Klinik und Ärzte nur unter engen Voraussetzungen von einer hypothetischen Einwilligung des Patienten ausgehen. Ist die Patientin schon vor Beginn der Operation unzureichend aufgeklärt worden, kann eine Haftung nicht einfach mit dem Argument verweigert werden, die Betroffene hätte der Änderung schon zugestimmt, entschied der Bundesgerichtshof.
Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat in einem kürzlich veröffentlichten Urteil vom 21. Mai 2019 (Az.: VI ZR 119/18) deutlich gemacht, wann Kliniken und Ärzte bei einem missglückten Eingriff haften müssen. Dies hängt den Richtern zufolge davon ab, wie sich ein Patient bei einer von Beginn an umfassenden Aufklärung entschieden hat.
Den BGH-Richtern lag folgender Fall vor: Wegen Bindegewebsschwächen litt die Klägerin unter einer Absenkung ihrer Blase, Gebärmutter und der vorderen Scheidenwand. Im Krankenhaus besprach sie mit dem zuständigen Chefarzt eine Operation zum Anheben der Harnblase und der erschlafften Scheidenwände; weitere Einzelheiten sind umstritten. Beim späteren Aufklärungsgespräch informierte eine Ärztin die Frau, dass ihre Gebärmutter entfernt werden solle. Darüber war die Patientin derart irritiert, dass der Chefarzt hinzugezogen wurde. Schließlich unterzeichnete die Patientin aber die Aufklärungsbögen.
Wegen einer Verengung des Gebärmutterkanals konnte die Operation nicht wie geplant durchgeführt werden. Der Chefarzt entschied sich für eine andere Methode, bei der allerdings nicht nur der Gebärmutterkörper, sondern die gesamte Gebärmutter einschließlich Gebärmutterhals entfernt wird. Bei dem Eingriff wurde der Harnleiter verletzt.
Wegen dieser Verletzung verlangt die Patientin Schadenersatz. Sie behauptet, sie habe eine Entfernung der Gebärmutter ausdrücklich abgelehnt, und der Chefarzt habe ihr dies auch versprochen. Ärzte und Klinik bestreiten dies.
Aus verschiedenen, teils formalen Gründen ging der BGH für sein Urteil nun von einer unzureichenden Aufklärung aus. Entsprechend sei die Patientin auch nicht über Alternativen aufgeklärt worden, wenn der ursprünglich vorgesehene Eingriff nicht wie geplant möglich ist.
Bei diesem geänderten und erweiterten Eingriff war die Harnröhre verletzt worden. In der Vorinstanz ging das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg aber von einer fiktiven Einwilligung der Patientin zur Entfernung auch des Gebärmutterhalses aus. Denn ein Sachverständiger habe erklärt, dass der Arzt während des Eingriffs keine sinnvolle Alternative gehabt habe.
Der BGH hob dieses Urteil nun auf und verwies den Streit zur weiteren Klärung an das OLG zurück. Denn in seine Entscheidungssituation sei der Arzt nur gekommen, weil er den Gebärmutterkörper entfernen wollte. Eine fiktive Einwilligung zu der Planänderung komme daher überhaupt nur in Betracht, wenn die Patientin diesem vom Arzt geplanten Eingriff zugestimmt hatte oder bei einer umfassenden Aufklärung zumindest zugestimmt hätte.
Wie der BGH betont, reicht es für eine Haftung von Arzt und Klinik aus, wenn sich die Frau in einem „Entscheidungskonflikt“ befunden hätte. Denn weil sie im Aufklärungsgespräch für sie überraschend mit der Entfernung der Gebärmutter konfrontiert worden war, hätte sie sich dann wohl zumindest eine Bedenkzeit erbeten.
An dieser Stelle erklärt unser Rechtsexperte und Leiter unserer Bundesrechtsabteilung, Jörg Ungerer, was das Urteil für Patienten bedeutet.
vdk.de: Herr Ungerer, manchmal spricht man von fiktiver oder auch hypothetischer Einwilligung zu einer Operation. Was bedeuten diese Begriffe?
Jörg Ungerer: Der behandelnde Arzt ist grundsätzlich verpflichtet, den Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. Genügt die Aufklärung diesen Anforderungen nicht, kann sich der Arzt auf eine fiktive Einwilligung berufen, wonach der Patient auch im Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung in die Maßnahme eingewilligt hätte. Dies hat der BGH in nun verneint.
vdk.de: Was bedeutet das Urteil für Patienten?
Jörg Ungerer: Der BGH betont, dass zur Aufklärung des Patienten Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen, Dringlichkeit und Notwendigkeit der Maßnahme gehören. Wird ein Patient nur über einen ursprünglich geplanten Eingriff aufgeklärt und nicht über mögliche Eingriffsalternativen während einer Operation, macht sich der behandelnde Arzt schadensersatzpflichtig.
vdk.de: Müssen Kliniken und Ärzte nun ihre internen Prozesse ändern, um rechtssichere Einwilligungen von Patienten zu medizinischen Behandlungen und Operationen zu erhalten?
Jörg Ungerer: Der behandelnde Arzt muss in Zukunft darüber aufklären, ob es zu einer erweiterten Operation kommen kann. Ist diese unerwartet für ihn, hat der Eingriff zu unterbleiben und der Arzt muss hierüber aufklären. Dies gilt natürlich nicht, wenn lebensbedrohliche Risiken bestehen. Hier gilt die mutmaßliche Einwilligung des Patienten.
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©Juragentur / ime
Schlagworte BGH | einwilligung | Behandlung | Operation | Patient
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