21. April 2021
PFLEGE

Ein Familiendienst, der viel Zeit beansprucht

Pflegende Angehörige wie Andrea Glatzhoefer ermöglichen das Altwerden in den eigenen vier Wänden

Die große Pflegestudie des Sozialverbands VdK nimmt die Pflege zu Hause in den Blick. Pflegende Angehörige stehen dabei im Fokus. So wie Andrea Glatzhoefer aus der kleinen Stadt Schneeberg im Erzgebirge.

Zwei Hände halten sich
© unsplash

Die 63-Jährige pflegt ihre 86-jährige Mutter, die, so lange es möglich ist, zu Hause in ihrer gewohnten Umgebung bleiben möchte. Ein Pflegedienst kommt viermal am Tag zu der alten Dame mit Pflegegrad 3. Alles andere stemmt ihre Tochter, die bis vor Kurzem als Gerichtsvollzieherin noch voll berufstätig war.

Die Pflege zu Hause kann nur dort gewährleistet werden, wo engagierte Angehörige zur Verfügung stehen und bereit sind, die Pflege ganz oder teilweise zu übernehmen. Andrea Glatzhoefer hat sich dafür entschieden, ihre Mutter Gudrun Dan nicht ins Heim zu geben, solange sie die Versorgung selber gesundheitlich bewältigen kann. Wäsche waschen, putzen, einkaufen, Arztbesuche organisieren, Papierkram machen, anziehen, umziehen, Essen bringen, Gesellschaft leisten, die Haare machen. All das ist für die 63-Jährige selbstverständlich, auch wenn es an die Substanz geht. Jeden Tag schaut sie nach ihrer Mutter, am Wochenende noch intensiver. So war es die vergangenen acht Jahre.

In diesem April geht Andrea Glatzhoefer in Pension, dann kann sie sich die Zeit besser einteilen. Die 63-Jährige wohnt nur 100 Meter von ihrer Mutter entfernt. Der Weg zur 58 Quadratmeter großen Wohnung im ersten Stock ist also nicht weit. Um die Wohnung der Mutter barriereärmer zu machen, hat Andrea Glatzhoefers Mann in Eigenregie die Schwellen abgeschliffen. So kommt Gudrun Dan auch mit dem Rollator ganz gut zurecht. Seit 60 Jahren lebt sie schon in dieser Wohnung.

Gudrun Dan hat seit 45 Jahren Diabetes mellitus, seit 1986 ist sie insulinpflichtig. Die 86-Jährige hatte eine Bypass-Operation, auch wurde ein Herzschrittmacher implantiert. Hinzu kommt eine schwere Wirbelsäulenerkrankung seit der Kindheit, die immer schmerzhafter wird. Vor drei Jahren wurde auch eine leichte Demenz festgestellt.

„Sie ist eine Gute“

„Einiges kann meine Mutti schon noch selber“, betont Andrea Glatzhoefer. Sie müsse sich halt immer gut festhalten und langsam machen. Außerdem lege sie ihr zur Orientierung immer Zettel hin. Doch nach draußen könne sie nur noch mit Begleitung. „Natürlich wird es von Jahr zu Jahr schwieriger. Aber zum Glück ist sie eine Gute, sie nörgelt nicht.“ Der Arzt komme regelmäßig ins Haus, Facharzttermine müssen von langer Hand geplant werden. Ein Höhepunkt der vergangenen Wochen sei für die Mutter eine Erzgebirgsrundfahrt gewesen. Sie sei wegen Corona mit ihr nur dort ausgestiegen, wo keine Leute waren. Solche Fahrten und auch kleine Spaziergänge möchte Andrea Glatzhoefer nach ihrer Pensionierung öfter mit ihrer Mutter machen. „Ich kann mir dann mehr Zeit nehmen“, sagt sie. „Muttis Muskulatur zu verbessern, ist ganz wichtig.“ Dabei muss sie schmunzeln: „Mutti fragt mich jeden Tag: Wann gehst du in Pen­sion?“ Ein fester Bestandteil der Pflege werde aber auch in Zukunft der ambulante Pflegedienst sein.

„Mit dem Pflegedienst klappt alles ganz gut“, sagt Andrea Glatzhoefer. Insulin spritzen, Tabletten verabreichen, duschen, waschen, anziehen. Dafür ist in erster Linie die ambulante Hilfe da, auch damit diese so wichtigen Dinge jeden Tag geregelt sind.

Für die Pflegekräfte wünscht sich die 63-Jährige, dass der Beruf attraktiver wird: sowohl die Ausbildung als auch die Entlohnung. „Die Pfleger sagen selber, es ist so schade, dass wir nicht mehr Zeit haben für die Patienten.“ Sie würden sich natürlich gerne länger mit den Patienten beschäftigen, mal plaudern oder auch mit den Pflegebedürftigen basteln, wenn solche Dinge noch möglich sind. „Der Pflegeberuf muss ganzheitlicher gesehen werden“, ist Andrea Glatzhoefer überzeugt. Wenn sie selber einmal eine Pause bei der Pflege benötigt, hilft ihre Tochter Kathleen Puschbeck. Die 43-Jährige ist Juristin beim VdK Sachsen. „Oma war früher eine sehr lebenslustige Frau, hat immer alles organisiert. Es fällt ihr schwer, dass sie jetzt auf Hilfe angewiesen ist“, sagt sie. Und natürlich habe die Oma deshalb auch kleinere depressive Phasen und trauere dem alten Leben hinterher.

Enkelin hilft aus

Sie sei aber auch dankbar, dass sie umsorgt werde. „Mama ist ja jeden Tag da. Und wenn Mama mal in Urlaub ist, bin ich für sie da. Oma weiß das zu schätzen.“ Ihre Mutter sei das einzige Kind gewesen, und sie selber habe auch keine Geschwister.

Vor der Wende war Andrea Glatzhoefer im Angestelltenverhältnis und wird deshalb mit 66 Jahren eine Rente bekommen. Jetzt mit 63 kann sie in Pension gehen, weil sie seit der deutschen Einheit als Gerichtsvollzieherin einen Beamtenstatus hat. Für die Rente werden ihr für die Pflege der Mutter keine Rentenpunkte gutgeschrieben. Der Grund ist, dass sie immer Vollzeit gearbeitet hat. Rentenpunkte für die Pflege gibt es nur, wenn man unter 30 Stunden in der Woche arbeitet, erklärt VdK-Juristin Kathleen Puschbeck. „Meine Mama macht das als Familiendienst.“

Petra J. Huschke

Schlagworte häusliche Pflege | pflegende Angehörige | ambulante Pflege | Familie | Pflegekräfte

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    09.01.2023

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