Sozialverband VdK Deutschland e.V.
5. Mai 2023
BEHINDERUNG

Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung stagniert

VdK hofft auf Wirkung der verschärften Ausgleichsabgabe

Die Corona-Pandemie beeinträchtigt die Beschäftigungssituation von Menschen mit Behinderung bis heute. Während der allgemeine Aufschwung bereits seit 2021 am Arbeitsmarkt angekommen ist, finden Schwerbehinderte noch mühsamer einen Job als zuvor. Ihre Beschäftigungsquote in den Unternehmen ist gesunken.

Symbolfoto: Junge Frau im Rollstuhl an ihrem Schreibtisch mit PC bei der Firma Böhringer Ingelheim
© Andi Weiland | Boehringer Ingelheim, Gesellschaftsbilder.de

Ab dem dritten Quartal 2021 setzte am Arbeitsmarkt eine deutliche Erholung ein. Doch Menschen mit Schwerbehinderung können offenbar nicht vom Aufschwung profitieren, so das Ergebnis der Bundesagentur für Arbeit (BA) in einem aktuellen Bericht.

An der Qualifikation kann das nicht liegen. Im Jahr 2021 hatten 55 Prozent der arbeitslosen Menschen mit Behinderung eine Berufsausbildung vorzuweisen, bei Menschen ohne Behinderung waren es mit 45 Prozent deutlich weniger. Trotz höherer Qualifizierung sind Menschen mit Behinderung viel länger ohne Job: 47 Prozent sind zwölf Monate oder länger arbeitslos gemeldet und damit langzeitarbeitslos, bei arbeitslosen Menschen ohne Behinderung sind es nur 39 Prozent.

Der hohe Anteil an Langzeitarbeitslosen ist sicherlich auch dem durchschnittlich höheren Alter von arbeitslosen Menschen mit Behinderung geschuldet. 2021 waren 46 Prozent von ihnen über 55 Jahre alt. Bei der Gruppe ohne Behinderung waren nur 22 Prozent älter als 55.

Die Diskriminierung am Arbeitsmarkt ist also frappierend, erklärt VdK-Präsidentin Verena Bentele: „Die Zahlen der Arbeitsagentur decken sich mit den Erfahrungen von VdK-Mitgliedern mit Behinderung. Viele erzählen, dass ihre höhere Qualifikation trotz gegenteiliger Beteuerung der Arbeitgeber weniger zählt. Und das Alter wiegt doppelt so schwer bei der Suche nach einem Job, wenn jemand eine Behinderung hat.“ Viele Betroffene sind gezwungen, vorzeitig in Rente zu gehen, und müssen das mit hohen Abschlägen büßen. Angesichts des Beschäftigungspotenzials von Menschen mit Behinderung kann Bentele kein Verständnis für Arbeitgeber aufbringen, die keinen Menschen mit Behinderung beschäftigen.

Mehr Null-Beschäftiger

Laut BA erfüllten 2021 nur 39 Prozent der Unternehmen mit mindestens 20 Arbeitsplätzen die gesetzliche Schwerbehindertenquote von mindestens fünf Prozent. Die Zahl ist im Fünfjahresvergleich sogar um 0,9 Prozent zurückgegangen. Die Quote der „Null-Beschäftiger“ unter den verpflichteten Unternehmen lag 2021 bei 25,9 Prozent und damit um 0,4 Prozent höher als fünf Jahre zuvor.

Unternehmen, die ihre Pflichtquote gar nicht oder nur teilweise erfüllen, müssen pro unbesetztem Arbeitsplatz eine Ausgleichsabgabe zahlen. Dies soll Anreiz sein, Menschen mit Schwerbehinderung einzustellen beziehungsweise deren Arbeitsplätze zu erhalten. „Diese Anreizfunktion ist ganz offensichtlich zu schwach, wir machen Rückschritte statt Fortschritte“, ärgert sich Bentele. Deshalb begrüßt der VdK das neue Gesetz zur Förderung des inklusiven Arbeitsmarkts, das jüngst verabschiedet wurde und eine verdoppelte Ausgleichsabgabe für Null-Beschäftiger vorsieht.

Fürsorgepflicht

Trotzdem sieht der VdK noch Nachbesserungsbedarf. „Die meisten Menschen haben ihren Behindertenstatus aufgrund einer Erkrankung und nicht von Geburt an. Unternehmen haben eine Fürsorgepflicht gegenüber ihren Beschäftigten. Deswegen muss die betriebliche Prävention verpflichtend werden, mit besseren Regelungen zur stufenweisen Wiedereingliederung von erkrankten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Zudem müssen die Schwerbehindertenvertretungen in den Unternehmen deutlich gestärkt werden“, fordert die VdK-Präsidentin. Damit lasse sich verhindern, dass so viele Beschäftigte wegen einer Behinderung ihren Arbeitsplatz verlieren.

Und noch etwas muss dringend vom Tisch, sagt Bentele: „Die Kosten der Ausgleichsabgabe können Unternehmen einfach von der Steuer absetzen. Das ist mehr als kontraproduktiv für die Inklusion.“

Dr. Bettina Schubarth


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