Der Flughafen Berlin-Brandenburg (BER) hilft Gehörlosen sowie Menschen mit einer Demenz oder einem Schlaganfall seit kurzem dabei, besser auf sich aufmerksam machen. Menschen mit nicht sichtbaren Behinderungen können freiwillig ein Sonnenblumen-Umhängeband tragen, das anderen Fluggästen und dem BER-Personal signalisiert: Ich könnte in Stresssituationen etwas mehr Zeit oder Hilfe benötigen.
Am BER herrscht zu Ferienbeginn großes Gewimmel: Familien hasten mit schwerem Gepäck zum Check-In, an der Sicherheitskontrolle bilden sich lange Schlangen, und Durchsagen erschallen gleichzeitig aus mehreren Lautsprechern.
Für Janine Malik ist so eine Situation der blanke Horror. Wenn es der reisefreudigen 41-Jährigen zu stressig wird, bekommt sie Panik. Sie kann sich im Extremfall nicht mehr mitteilen. „Ich mache dann dicht“, sagt die Berlinerin.
Zwei Tage nach Ostern kommt sie ganz entspannt zum Info-Schalter in Terminal 1 zum Interview mit der VdK-ZEITUNG. Die Reisewelle ist abgeebbt, der Flughafen wirkt verschlafen. Janine Malik hat das, was man eine nicht sichtbare Behinderung nennt. Sie sieht kerngesund aus. Doch wegen einer Multiplen Sklerose ist sie gehbehindert und kann nicht lange stehen. Sie muss wegen einer Blasenfunktionsschwäche häufiger zur Toilette. Unvorhergesehene Situationen sind ihr deshalb ein Gräuel. Wenn es hektisch wird, braucht sie Hilfe, erzählt sie.
Bisher hat sie sich vor Reisen beim Mobility Service, der Mobilitätshilfe des Flughafens, angemeldet. Das war umständlich, manchmal auch unangenehm. „Die Mitarbeiter wussten nicht, wie sie mit mir umgehen sollen, weil meine Behinderung nicht sichtbar ist. Ich musste mich sogar schon dafür rechtfertigen, dass ich Hilfe brauche“, erzählt Malik. Situationen wie diese sollen am BER der Vergangenheit angehören.
Der Flughafen hat als erster deutscher Airport das Sonnenblumen-Umhängeband eingeführt. Mit dem Tragen des Bandes signalisieren Fluggäste, dass sie eine nicht sichtbare Beeinträchtigung haben und nach Bedarf Unterstützung, etwas mehr Zeit oder ein wenig Geduld oder Orientierungshilfe während ihres Aufenthalts am BER benötigen. Die Sonnenblume ist ein internationales Symbol für nicht sichtbare Beeinträchtigungen. Sie wird mittlerweile an 192 Flughäfen weltweit anerkannt.
Seit der Einführung im Februar 2023 hat der BER schon mehr als 500 Bänder auf Nachfrage ausgegeben, berichtet Sandra Zillmer, die am BER für das Sonnenblumen-Projekt verantwortlich ist. 22 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden nach und nach geschult. „Sie sollen auf die besonderen Bedürfnisse der Menschen, die dieses Band tragen, eingehen können. Dazu gehört, dass sie geduldig und respektvoll mit den Fluggästen umgehen, um herauszufinden, wo im Ernstfall das Problem liegt. So können sie entscheiden, welche Hilfe in der jeweiligen Situation angemessen ist“, erklärt Zillmer.
Janine Malik hat erlebt, wie das Reisen mit der Sonnenblume sein kann, als sie im vergangenen November in London war. Sie berichtete einem Mitarbeiter von ihrer Beeinträchtigung. Der habe dafür gesorgt, dass sie weder bei der Sicherheitskontrolle noch beim Boarding warten musste. London ist Vorreiter bei dem Sonnenblumen-Projekt, der Flughafen Gatwick war der erste, der 2016 das Sonnenblumen-Band etablierte.
Mit der Einführung in Deutschland verbindet auch Mirjam Müller große Erwartungen. Die 44-Jährige aus Hessen war bis vor zehn Jahren Flugbegleiterin und erlitt dann einen schweren Schlaganfall. Ihre linke Körperhälfte war zunächst gelähmt, und sie konnte nicht mehr sprechen. Heute hat das VdK-Mitglied in Stresssituationen manchmal noch Wortfindungsstörungen – am Flughafen zum Beispiel, wenn Müller sich ärgert, weil beispielsweise in der Sicherheitsschleuse gedrückt und gedrängelt wird oder sie bei der Passkontrolle aufgeregt ist. „Es kann sein, dass ich in diesen Momenten auf Ansprache nicht sofort reagieren kann. Dann ist das Tragen des Sonnenblumenbands Gold wert, weil das Personal entsprechend handeln und das Verhalten besser einschätzen kann.“ Aus ihrer Zeit als Flugbegleiterin weiß sie, dass es manchmal für das Personal schwierig zu erkennen ist, ob jemand etwa wegen einer Schwerhörigkeit einer Bitte nicht nachkommt oder weil zum Beispiel Alkohol im Spiel ist.
Jeder kann das Sonnenblumen-Band ohne Voranmeldung oder einen Nachweis über eine Behinderung direkt am Flughafen erhalten, betont Sandra Zillmer. „Ob jemand eine chronische Krankheit, eine kognitive Einschränkung oder eine Angststörung hat, spielt keine Rolle. Wer sich mit dem Sonnenblumen-Band auf dem Flughafengelände sicherer fühlt, soll es nutzen können.“
Info
Das Sonnenblumen-Band ist im Flughafen BER an den Fluggastinformationen in den Terminals 1 und 2 sowie beim Mobility Service erhältlich. Fluggäste und Interessierte können dort nach dem Band fragen. Es ist kostenfrei. Für den Erhalt ist kein Nachweis erforderlich.
Jörg Ciszewski