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Anfang Oktober ist das Semester an den Universitäten wieder losgegangen, auch für Studenten mit Behinderung. Aktuell erschwert elf Prozent der Studierenden eine Behinderung oder chronische Krankheit das Studium. Bei etwa vier Prozent liegt eine mittlere bis schwere Beeinträchtigung vor. So wie bei Sophie Heinicke und Djamal Okoko, beide aus Potsdam. Ein Portrait.
Mit geübten und kräftigen Bewegungen bugsiert Djamal Okoko seinen Rollstuhl über die Sandwege im „Neuen Garten“ in Potsdam. Hier rollt der 20-Jährige oft entlang, wenn er frische Luft braucht und den Kopf frei bekommen muss. Er wohnt gleich auf der anderen Straßenseite und die öffentliche Parkanlage ist für ihn schnell erreichbar, auch mit dem Rollstuhl. Das ist nicht bei allen seinen Zielen der Fall. „Ich muss genau planen, ob ich überall durchkomme, ob es Aufzüge gibt oder Baustellen mir den Weg versperren“, erzählt der junge Mann aus Potsdam. Zur Fachhochschule wird Djamal vom Fahrdienst gebracht und wieder abgeholt, begleitet von einem persönlichen Assistenten.
Djamal Okoko braucht diese Hilfen, weil er an spinaler Muskelatrophie leidet, einer Erkrankung, die auch als Muskelschwund bekannt ist. „Ich bin nicht meine Krankheit“, sagt der Student selbstbewusst und signalisiert, dass er eines nicht will: auf seine Beeinträchtigung reduziert werden. Es war nicht einfach, einen Platz für sein Wunschstudium im Fach Produktdesign zu bekommen. Erst im zweiten Anlauf gelang ihm das.
„Aufgeben gibt’s nicht“, sagt der 20-Jährige. An seinem Traum vom eigenen Führerschein hält er fest, auch wenn es derzeit recht aussichtslos scheint. Mit einem speziell ausgestatten Auto für Rollstuhlfahrer kostet der Führerschein über 4000 Euro, etwa dreimal so viel wie üblich. Das kann sich der junge Student nicht leisten und hat daher einen Antrag auf Bezuschussung bei der Stadtverwaltung gestellt. Zweimal wurde sein Antrag bisher abgelehnt, zweimal legte er Widerspruch ein.
In seinem Blog „Ein Typ – Acht Räder“ schreibt er über seinen Kampf, den er mittlerweile seit fast zwei Jahren führt. „Stellt euch das mal vor, jemand anderes kann bestimmen, ob ihr einen Führerschein braucht!“, schreibt Djamal in seinem Blog. Dabei würde er damit weniger auf seinen Einzelfallhelfer angewiesen sein, den er braucht, selbst wenn er nur mal einen Freund auf einen Kaffee treffen will. „Ich will selbst entscheiden, wann ich etwas mache oder nicht“, sagt der 20-Jährige.
Auch im Studium geht es um Selbstständigkeit. Ein großes Problem stellen die Werkstätten in seinem Fachbereich dar, die nicht rollstuhltauglich sind. „Die Maschinen sind alle auf laufende Menschen ausgerichtet“, sagt das VdK-Mitglied. Daher könne er die Maschinen nicht nutzen, da diese nur im Stehen bedient werden können. Ebenso sei ein spezieller Arbeitstisch nötig.
Für die Studentin Sophie Heinicke lag der Besuch von Vorlesungen und das Treffen mit anderen Studenten in der Mensa vor fünf Jahren noch in unerreichbar geglaubter Ferne. Denn mitten im Abitur verschlechterte sich die angeborene Augenkrankheit Retinitis pigmentosa, die zur Zerstörung der Netzhaut führt. Von einst 30 Prozent Sehfähigkeit sackte die 21-Jährige auf etwa fünf Prozent ab. „Das musste ich erst mal verkraften, mich mit der neuen Situation arrangieren“, erzählt die junge Frau. In dieser harten Zeit sei ihre Familie eine große Hilfe gewesen. „Das war immer so“, meint Sophie mit einem dankbaren Blick auf ihre Mutter Jutta. Ihr Vater verkaufte sein Auto, um der Tochter eine Schulbegleiterin finanzieren zu können. Die Kosten wurden nur teilweise vom Amt übernommen.
Vor einem halben Jahr absolvierte Sophie Heinicke ein Mobilitätstraining des Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenvereins Berlin. „Das ist nicht nur eine Sache des Trainings, sondern ich musste den Stock auch als Hilfsmittel akzeptieren“, sagt die junge Frau. Früher habe sie Probleme damit gehabt, offensiv mit ihrer Beeinträchtigung umzugehen. „Heute gehe ich direkt auf Leute zu und mache damit meist gute Erfahrungen“, so die Psychologiestudentin. Sie wünscht sich diese Offenheit auch von den Sehenden. „Viele starren mich an und denken, das merke ich nicht“, erzählt die 21-Jährige. Für sie sind deshalb die Barrieren in den Köpfen hartnäckiger als so manche Stufe auf der Straße.
Auf dem Campus in Golm bei Potsdam ist Sophie Heinicke mittlerweile sicher unterwegs. Nur manchmal sei es ziemlich schwierig, im voll besetzten Hörsaal noch einen Platz zu finden. Ihr nächstes Ziel: ein Blindenhund. „Dann könnte ich unabhängiger von meiner Assistentin sein“, so die Studentin, die später Menschen mit Behinderung psychotherapeutisch begleiten möchte. „Diese Spezialisierung ist eine Marktlücke“, ist sich die junge Frau sicher.
Nachteile im Studium ausgleichen
Studierende mit Behinderungen und chronischen Krankheiten haben einen gesetzlichen Anspruch auf Nachteilsausgleiche im Studium. Sollten Regelungen dazu in Hochschulgesetzen fehlen, können sich Studierende auf Artikel 3 des Grundgesetzes berufen: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“
Studierende sollten möglichst frühzeitig Kontakt zu den Beratungsstellen der Hochschulen oder Studentenwerken aufnehmen.
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Schlagworte Behinderung | Studium | Universität | Nachteilsausgleich | Barriere | Blindenhund
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