26. August 2015
Themen

Wohnen im Alter, Teil 2: Alltagsunterstützende Technologien (AAL)

In unserer Reihe "Wohnen im Alter" werfen wir einen Blick auf unterschiedliche Wohnformen im Alter. In Umfragen zeigt sich immer wieder sehr deutlich: Obwohl es mittlerweile viele unterschiedliche alternative Wohnformen für den Lebensabend gibt, möchten die meisten Menschen ganz klar am liebsten zuhause, also in den eigenen vier Wänden, alt werden. Einen wichtigen Beitrag dazu, möglichst lange selbstbestimmt und eigenständig in der gewohnten Umgebung wohnen zu können, können sogenannte alltagsunterstützende Technologien leisten.

Symbolfoto: Eine ältere Frau drückt den Knopf auf einem Hausnotruf-Sender als Symbol für Technologien, die im Alltag unterstützen
Gehören zu den alltagsunterstützenden Technologien: Hausnotruf-Systeme | © Imago/biky

Immer häufiger liest man im Zusammenhang mit Wohnen im Alter die Abkürzung "AAL". AAL kommt aus dem Englischen und steht für "Ambient Assisted Living", auf Deutsch in etwa: "altersgerechte Assistenzsysteme" oder "umgebungsunterstütztes Leben". Unter dem Begriff AAL werden verschiedene innovative Technologien zusammengefasst, die, idealerweise möglichst unauffällig, in die Lebenswelt integriert sind und die den Alltag auf vielfältige Weise erleichtern und unterstützen können. Unter AAL-Technologien fallen zum Beispiel Hausnotrufsysteme, Küchengeräte, die sich nach der Nutzung automatisch abschalten, oder Steuerungssysteme, mit denen die Haustechnik - Licht, Rolläden etc. - zentral bedient werden kann. AAL-Technologien können also Unterstützung in ganz unterschiedlichen Bereichen bieten: Sie tragen zur Sicherheit bei, bringen mehr Komfort und Mobilität, aber auch Unterhaltung.

Melanie Ludwig ist die Leiterin der Fachstelle Barrierefreiheit im VdK Hessen-Thüringen. Die Fachstelle bietet praktische Hilfe, um ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Sie berät zu Hilfsmitteln, Wohnraumanpassung und Barrierefreiheit. Im Interview mit dem VdK Deutschland spricht Melanie Ludwig über den Umgang der älteren Generation mit der neuen Technik, über ethische Fragen im Zusammenhang mit AAL und über ihre "Lieblingsprodukte" aus dem AAL-Bereich.

VdK: Wie häufig haben Sie in Ihrer Beratungsstelle Anfragen zum Bereich AAL, also zu alltagsunterstützenden Technologien?

Melanie Ludwig: Die Frage kann ich gar nicht so eindeutig beantworten. Das liegt allerdings an mehreren Komponenten. Zum einen ist der Begriff 'AAL' nicht einheitlich definiert. Wenn ich die Definition der VDI/VDE-IT nehme: 'AAL sind Konzepte, Produkte und Dienstleistungen, die neue Technologien und soziales Umfeld miteinander verbinden und verbessern mit dem Ziel, die Lebensqualität für Menschen in allen Lebensabschnitten zu erhöhen', dann fällt sehr viel darunter.

Nicht nur Hausautomation mit der dafür notwendigen Basisinfrastruktur (zum Beispiel intelligente Stromleitungen), sondern auch Hausnotrufsysteme, Pflegebetten, Haushaltshelfer, Treppenlifter, Schutz- und Ortungssysteme und auch Dienstleistungen durch Dritte. Die letztgenannten Assistenzsysteme sind dann schon häufiger Gegenstand unserer Beratung.

Dann ist es noch so, dass sich die jetzige alte oder hochaltrige Generation mit technikbasierten Produkten eher schwer tut. Die mittelalte und junge Generation hat einen ganz anderen Umgang mit Technik bzw. wachsen damit auf, so dass der Umgang selbstverständlich ist. Ein klassisches Beispiel ist ein Smartphone: Während wir uns damit noch einige Tage auseinandersetzen mussten, nehmen Kinder oder Jugendlich es in die Hand und bedienen auch problemlos Applikationen, die ihnen unbekannt sind.

Und: Langsam sind die Produkte, da sie für eine breitere Masse interessant geworden sind, auch kostengünstiger zu erwerben. Deshalb überwiegen momentan noch die Anfragen von Klienten zu herkömmlichen Umbaumaßnahmen und Hilfsmitteln. Es ist jedoch zu erwarten, dass das Interesse, die Bekanntheit der Produkte und dadurch auch die Anzahl der Beratungsanfragen zunehmen werden.

Förderung

Die deutsche Förderbank KfW bietet Kredite und Zuschüsse für altersgerechten Umbau von Wohnraum. Unter die Förderung fallen auch AAL-Systeme, also intelligente Assistenzsysteme und intelligente Gebäudetechnik. Mehr Informationen dazu finden Sie hier: www.kfw.de/inlandsfoerderung/Privatpersonen/Bestandsimmobilien/Barrierereduzierung/

VdK: Passen also Senioren und Technik doch nicht so gut zusammen?

Melanie Ludwig: Das daraus abzuleiten, wäre nicht richtig. Technische Unterstützung kann durchaus den Alltag erleichtern, die Sicherheit erhöhen oder einen größeren Komfort bedeuten. Gerade für Menschen mit Beeinträchtigungen können technische Hilfen ein weitgehend selbstbestimmtes Leben ermöglichen.
Wenn eine Abwehrhaltung von Seiten der Senioren besteht, sollten Berater oder Angehörige behutsam daran arbeiten, dass die Hilfe doch akzeptiert wird. Dem hilfebedürftigen Menschen sollte ausführlich und auch mehrfach die Nutzung erklärt werden. In der Regel gilt es, Ängste und Vorurteile abzubauen. Und ganz wichtig ist, dass die Produkte auf die Bedürfnisse älterer Nutzer/innen abgestimmt sind. Das betrifft in erster Linie die Bedien- und Verstehbarkeit. Sinnvoll wäre auch ein Ansprechpartner, der hilft, wenn Probleme auftreten.

Also passen Senioren und Technik durchaus zusammen, wenn sich die Technik an den/die Nutzer/in anpasst!

VdK: In welchem Bereich sehen Sie denn den größten Nutzen beziehungsweise den größten Bedarf?

Melanie Ludwig: Nutzen und Bedarf sehe ich in Produkten, die die Sicherheit erhöhen, so dass die betroffene Person weiterhin alleine oder in Partnerschaft in der bestehenden Wohnung leben kann. Dazu gehört natürlich der gesamte Bereich des Hausnotrufs. Das Wissen darüber, im Notfall Hilfe zu bekommen, vermittelt ein ganz großes Gefühl an Sicherheit. Und das nicht nur bei der hilfebedürftigen Person, sondern auch bei den Angehörigen. Der klassische Hausnotruf ist zwar ein zuverlässiges System, allerdings wird der rote Sensor manchmal auch nicht am Körper getragen und gerade dann stürzt die Person oder aber die Person ist im Falle eines Sturzes nicht mehr in der Lage, den Knopf zu drücken.

Doch auch der Hausnotruf hat sich weiterentwickelt. Es gibt Sensoren, die eine waagerechte Lage erkennen und dann nach einer vorher eingestellten Zeit den Notruf selbständig aktivieren. Andere Sensoren erkennen eine Erschütterung und setzen so im Falle eines Sturzes den Notruf ab. Andere Systeme wiederum messen im Vorfeld den normalen Tagesablauf, zeichnen ihn schematisch auf und reagieren dann bei Abweichung mit einem automatisch abgesetzten Notruf.

Weiterhin zählt dazu ebenfalls eine elektronische Herdüberwachung. Ein recht typischer Beratungsfall ist, dass die mittlerweile alte Mutter - natürlich kann es auch bei Männern vorkommen, ich hatte bisher jedoch nur Damen - darauf besteht, weiterhin selbst zu kochen, manchmal aber auch den Topf vergisst oder zwischendrin einnickt. Die Angehörigen finden das zu gefährlich. Da könnte eine Herdüberwachung in diesem Fall den Angehörigen beruhigen, da Hitze, Stromverbrauch und Bewegung gemessen werden und bei Abweichung die Stromzufuhr unterbrechen.

Doch auch im Bereich der Mobilität und der Gesundheit gibt es großen Bedarf. Die Lebenssituationen haben sich im Vergleich zu früher verändert. Es gibt viele Senioren, die keine Kinder haben oder bei denen die nächsten Angehörigen weiter entfernt wohnen. In diesen Fällen muss der Alltag zu großen Teilen oder komplett selbständig bewältigt werden. Dabei unterstützen Treppenlifter oder Elektromobile die Mobilität. Darüber hinaus können spezielle Betten den Transfer vom Liegen in das Sitzen auf der Bettkante erleichtern oder sogenannte Dusch-WCs, die einen selbständigen Toilettengang ermöglichen.

VdK: Der erste Teil Ihrer Antwort zum Hausnotrufsystem berührt ja auch einen ethischen Aspekt. Hört sich das nicht sehr nach Überwachung an?

Melanie Ludwig: Das ist durchaus ein wichtiger Aspekt bei AAL-Systemen. Es ist ganz wichtig, ethisch sensibel damit umzugehen. Leitfragen dabei sollten sein: Was ist das Ziel? Das Ziel ist, dass der/die Nutzer/in durch das Assistenzsystem ein selbstbestimmtes Leben führen kann. Der/die Nutzer/in muss bestimmen, nicht das System. Wenn vollautomatische Schritte genutzt werden - wie zum Beispiel einen Alarm auslösen bei Abweichung von der Regel - muss der/die Nutzer/in diesem im Vorfeld zugestimmt haben. Bei kognitiv beeinträchtigten Menschen können solche Produkte erst nach Rücksprache mit den Angehörigen und/oder dem gesetzlichen Betreuer eingesetzt werden, zum Beispiel bei Menschen mit Demenz. Dabei sollten aber auch immer die Wünsche des Erkrankten oder der mutmaßliche Wille beachtet werden.

Alle Systeme, bei denen Daten erhoben, dokumentiert, ausgewertet oder gespeichert werden, unterliegen natürlich dem Datenschutz. Das heißt, die Daten müssen vor dem Zugriff Dritter sowie vor Missbrauch bestmöglich geschützt werden.

VdK: Haben Sie denn ein AAL-Lieblingsprodukt?

Melanie Ludwig: Auch hier ist es sehr schwierig, nur eine Antwort zu geben. Die drei Produkte, die ich im Sinn habe, ermöglichen bei ihrem Einsatz einen enormen Gewinn an Selbständigkeit und Selbstbestimmung.

Aus dem pflegerischen Bereich sind es zwei Produkte. Zum einen ist es das Dusch-WC: Das Dusch-WC ist eine Kombination aus Toilette und Bidet, das eine Intimhygiene ohne Nutzung der Arme ermöglicht. Zum anderen ist es eine spezielle Sorte Pflegebett, ein sogenanntes Aufstehbett. Dieses Bett ermöglicht seinem Nutzer, sich durch einen Knopfdruck von der liegenden Position in die auf der Bettkannte sitzende Position zu bewegen.

Das dritte Produkt kommt aus dem Bereich der Unterstützten Kommunikation. Das Gerät ist ein Computer mit Sprachausgabe, der mittels einer Augensteuerung bedient werden kann. Das funktioniert folgendermaßen: Das Gerät wertet mittels einer integrierten Kamera die Augenbewegungen des Benutzers aus und setzt diese in Aktionen auf dem Bildschirm um. So kann der Benutzer nur mit den Augen kommunizieren und am Computer arbeiten; Maus, Tastatur und Sensoren werden überflüssig.

VdK: Vielen Dank für das interessante Interview!

Kostenlose Broschüre zum Thema

Der VdK Saarland bietet auf seiner Website die Broschüre "Ratgeber 'Intelligent leben - Technische Hilfen im Alltag'" an, die kostenlos als PDF heruntergeladen werden kann (in der rechten Seitenspalte und am Seitenfuß):

Informationsbroschüre "Intelligent leben – Technische Hilfen im Alltag"

Kontakt zur Fachstelle für Barrierefreiheit
im VdK Hessen-Thüringen

Sozialverband VdK Hessen-Thüringen
Fachstelle für Barrierefreiheit
Gärtnerweg 3
60322 Frankfurt/Main
Telefon: 069-714002-58
Telefax: 069-714004-16
barrierefreiheit.ht@vdk.de
Website der Fachstelle für Barrierefreiheit


Zum Thema:

VdK-TV: Intelligent Leben (Langfassung)

"Intelligent Leben" ist ein rund 30-minütiger Film des Sozialverbandes VdK über Hilfsmittel, die ein längeres und selbstbestimmtes Leben zu Hause ermöglichen sollen - und das auch in hohem Alter.

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Schlagworte AAL | alltagsunterstützende Technologien | Hausnotruf | Wohnen | Alter | selbstbestimmt | eigenständig | Unterstützung | Senioren | Technik

Filme aus dem VdK-TV zum Thema:

VdK-TV: Intelligent Leben, Teil 1 - Assistenzsysteme für zu Hause

1. Teil unserer Serie zum Thema "AAL" (Ambient Assisted Living) - technische Hilfsmittel für zu Hause


VdK-TV: Intelligent Leben, Teil 2 - Die Sophia-Uhr (untertitelt)

Selbständig und sicher wohnen im Alter: Das Notrufarmband "Sophia" erfasst Bewegungsaktivität, medizinische Daten und Stürze des Trägers und übermittelt sie an eine Zentrale.


VdK-TV: Intelligent Leben, Teil 3 - Sicherheit zu Hause (UT)

Es gibt zahlreiche Systeme und Hilfen im Haushalt, die ein Leben im Alter zu Hause bequemer, aber vor allem auch sicherer machen. Im 3. Teil unserer Serie zum Thema "AAL" stellen wir einige dieser kreativen Ideen vor.


VdK-TV: Intelligent leben, Teil 4 - Experteninterviews

Letzter Teil der Reihe mit interessanten Experten-Interviews zum Nutzen von Assistenzsystemen.


VdK-TV: Intelligent Leben (Langfassung)

"Intelligent Leben" ist ein rund 30-minütiger Film des Sozialverbandes VdK über Hilfsmittel, die ein längeres und selbstbestimmtes Leben zu Hause ermöglichen sollen - und das auch in hohem Alter.

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